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Eine Mutmaßung, die sich prompt bestätigen sollte.

Als ihm Klinke die Papiere des Mannes in die Hand drückte, blinzelte Sydow nervös, und sein pennälerhafter Charme ging endgültig flöten.

»Das gibt Ärger, und zwar jede Menge.«

Klinke hatte recht. Hundertprozentig. Sydows blassblaue Augen blickten ausgesprochen düster drein. Der Ausweis des Mannes ließ keine andere Schlussfolgerung zu. »Ein Sturmbannführer von der Gestapo, der sich die Kugel gibt–das kann ja heiter werden!«, übte sich der Kommissar in Galgenhumor, während er den Dienstausweis des Mannes durchblätterte. »Mit anderen Worten, der Endsieg steht kurz bevor!«

»Sehr witzig!« Klinke, der Sydows Hang zum Sarkasmus nicht teilte, warf Boehm einen blitzschnellen Seitenblick zu. Der wiederum tat so, als habe er nichts mitgekriegt, weshalb sich Klinke wieder seinem Vorgesetzten zuwandte: »Hier, sein Abschiedsbrief!«

Sydow ließ den Dienstausweis des Toten in der Tasche verschwinden, überflog den Brief und steckte ihn ein. »Mannomann!«, ächzte er und befeuchtete den ausgedörrten Gaumen. »Und das ausgerechnet mir!«

»Und was jetzt?«, fragte Klinke und zwickte sich ins Ohr.

Sydow gab keine Antwort, sondern ließ den Blick über den in Marmor gehauenen Wagner schweifen. Hoch im Kurs, der Mann. Insbesondere beim Führer. Aber nicht bei ihm. Er stand auf Jazz, Duke Ellington, Louis Armstrong und vor allem Glenn Miller. Negermusik hin oder her. Die ganze Nazi-Kacke konnte ihm glatt gestohlen bleiben. »Wer hat ihn überhaupt gefunden?«, ging Sydow auf die Frage seines Assistenten zunächst nicht ein.

»Anonymer Anrufer.«

»Und wann?«

»So gegen 6.30 Uhr.«

»Schön, dass man das auch erfährt.«

Jetzt hatte Klinke, die personifizierte Gutmütigkeit, aber wirklich genug. »Dein Problem, wenn du wegen deiner Ex die Nacht durchgesoffen hast!«, zischte er Sydow ins Ohr.

»Meine Weibergeschichten gehen dich einen Scheißdreck an. Und außerdem: Schon mal was von dienstfrei gehört?«

»Klar. Aber nicht, wenn Not am Mann ist!« Klinke konnte niemandem wirklich böse sein, schon gar nicht dem knapp zwei Jahre älteren Sydow, der trotz seines Lebenswandels ein Vorbild für ihn war. Sein Ärger war genauso schnell verraucht, wie er gekommen war. »Was machen wir jetzt?«

»Gute Frage.« Aus dem Augenwinkel konnte Sydow beobachten, wie Boehm die Ohren auf Empfang stellte. Zeit für sein Pokerface, Zeit aber auch, einen Entschluss zu fassen. Zumal Messerschmidt sein Pulver endgültig verschossen zu haben schien.

»Und was jetzt?«, hörte sich der Endvierziger mit der Hornbrille wie das exakte Echo von Klinke an, stocksauer, weil er aus den Federn geklingelt worden war. »Ich denke, das wars doch wohl, oder?«

»Für dich vielleicht, aber nicht für uns!«, raunzte ihn Sydow an. »Du kannst wenigstens wieder in die Heia. Für Klinke und mich geht die Chose jetzt erst richtig…«

Sydow war noch nicht fertig, als sich drei Männer in sein Blickfeld schoben. Gestapo. Das konnte selbst ein Blinder mit Krückstock sehen.

»Schönen guten Morgen, die Herren!«, begrüßte ihn der Anführer des Triumvirats. »Was steht zu Diensten?«

Sydow holte tief Luft, doch bevor sein tiefverwurzelter Groll gegenüber der Gestapo außer Kontrolle geriet, kam ihm Klinke zuvor: »Ein Selbstmörder, nichts weiter!«, entgegnete er mit treuherzigem Augenaufschlag.

»Selbstmord, soso!«, gab der schmierige, mit dunklem Ledermantel und Hut bekleidete Agent zurück. Sein Bürstenschnitt und die Himmler-Brille machten Sydows Antipathie in Sekundenschnelle perfekt. Das galt auch für den Rausschmeißertyp links von ihm. Der Dritte im Bunde, ein schlaksiger Wuschelkopf mit Oberlippenbart, fiel etwas aus dem Rahmen, und Sydow wurde das Gefühl nicht los, ihn schon einmal gesehen zu haben.

»Kommt leider immer häufiger vor!«, nahm er geraume Zeit später den Gesprächsfaden wieder auf. »Apropos Selbstmord–mit wem haben wir denn die Ehre?«

Die Katzenaugen des Gestapo-Agenten blitzten kurz auf. Sydow wusste nicht, was ihm an diesem Himmler-Verschnitt mehr missfieclass="underline" die widernatürlich weiße Haut oder die Stimme, aus der man den Folterknecht schon fünf Meilen gegen den Wind heraushörte.

Außer einem Zucken des Mundwinkels blieb das Albinogesicht des Gestapo-Beamten völlig starr. Er gab sich betont lässig, gerade so, als habe er Sydows Provokation nicht bemerkt. Dieser wiederum stand ihm in nichts nach und verschränkte mit gelangweilter Miene die Arme vor der Brust.

»Moebius!«, stellte sich der Albino schließlich vor und lächelte aalglatt. »Obersturmführer Carl Gustav Moebius. Und das hier, zu meiner Linken, ist mein Assistent Kruppke und zur Rechten ein weiterer Kollege aus dem Amt.« Der Gestapo-Agent zog die Dienstmarke mit der Aufschrift ›Geheime Staatspolizei‹ und der darunter eingestanzten Nummer hervor, hielt sie Sydow unter die Nase und trug ein gekünsteltes Lächeln zur Schau. »Darf man erfahren, um wen es sich bei dem Toten handelt?«

»Selbstverständlich!«, gab Sydow unbeeindruckt zurück. Um dann zum entscheidenden Schlag auszuholen: »Das heißt, wenn die Identifizierung abgeschlossen ist. Damit jegliche Zweifel von vornherein ausgeräumt sind.«

Dass die vorgetäuschte Lässigkeit des Obersturmführers eine Finte war, bekam Sydow auf der Stelle zu spüren. »Ich muss Sie wohl nicht erst daran erinnern, Herr–«, ging er zum Gegenangriff über, geriet jedoch überraschenderweise ins Stocken.

Sein Kontrahent nutzte dies gnadenlos aus. »Sydow. Für Sie von Sydow, Obersturmführer«, ergänzte er mit breitem Grinsen im Gesicht.

Der Gestapo-Beamte gewann die Fassung jedoch schnell wieder. »Genau, jetzt erinnere ich mich!«, entgegnete er maliziös. »Ihr Vater ist ein hohes Tier im Auswärtigen Amt, kann das sein?«

»Volltreffer, Obersturmführer. Aber keine Angst. Meine vermeintlich guten Beziehungen existieren nur noch auf dem Papier. Zwischen mir und meinem Vater herrscht Funkstille. Und das seit nunmehr fast vier Jahren.«

»Und mit Ihrer Mutter?«

Jetzt war die Reihe an Sydow baff zu sein, und er tat genau das, worauf der Albino aus war: »Jetzt hören Sie mir mal gut zu, Obersturmführer!«, presste er zwischen nahezu geschlossenen Lippen hervor und funkelte Moebius wütend an. »Ich weiß zwar nicht, woher Sie Ihre Informationen haben, aber nehmen Sie zur Kenntnis, dass Sie mein Privatleben beziehungsweise das meiner geschiedenen Eltern einen…«

»... feuchten Schmutz angeht? Ist es das, was Sie sagen wollten? Oder regen Sie sich so auf, weil Ihre Mutter Engländerin ist?«

Spätestens jetzt wusste Sydow, dass er es mit einem brandgefährlichen, weil gut informierten Gegner zu tun hatte, und er wäre dem Albino ins offene Messer gelaufen, hätte er nicht im selben Moment Klinkes Pranke auf der Schulter gespürt. Sie und nicht etwa die Vernunft brachte ihn wieder auf die richtige Bahn: »Meine Schuld, wenn die germanischen Brudervölker nicht zueinanderfinden?«

Der Albino entblößte die giftgelben Zähne und lächelte. »Natürlich nicht!«, antwortete er von oben herab. »Aber das ist auch nicht weiter wichtig. Wir werden diesen Whiskysäufer von Churchill samt Roosevelt und Stalin in die Knie zwingen, darauf gebe ich Ihnen mein Wort!«

»Wenn, dann aber bitte schnell.«

»Wieso?«

»Damit nicht noch mehr Städte in Schutt und Asche gelegt werden!«, antwortete Sydow kühl. Und setzte nach: »So wie Köln vor einer Woche.«

»Soll das etwa heißen, dass Sie nicht mehr an den Endsieg glauben?«

»Das soll heißen, dass wir jetzt gerne mit unserer Arbeit fortfahren würden!«, rettete Klinke erneut die Situation. »Im Vertrauen, dass die Geschicke unseres Vaterlandes in den richtigen Händen liegen!«

Schachmatt. Sydow lachte in sich hinein. Mit allen Wassern gewaschen, dieser Klinke. Das musste ihm der Neid lassen.

Doch er hatte sich zu früh gefreut. »Ich dachte, die sei so gut wie erledigt, oder liege ich da falsch?«, mischte sich Boehm, der Pathologe, überraschenderweise ein.