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Durotan trat zu seiner Mutter, wobei er feststellte, dass sein Körper von dem langen Stehen neben dem Scheiterhaufen ganz steif geworden war. Doch bevor er etwas sagen konnte, erklärte sie: „Ich habe veranlasst, dass deine Sachen in die Hütte des Häuptlings gebracht werden. Ich werde in deine ziehen.“

Natürlich. Durotan hatte seit seiner ersten Jagd in einer eigenen Hütte gelebt, und jetzt, als Häuptling, würde er in die Heimstatt zurückkehren, in welcher er das Licht der Welt erblickt hatte. Er wünschte nur, die bitteren Umstände, die diesen Umzug begleiteten, hätten ein wenig länger auf sich warten lassen.

„Du kümmerst dich um die Dinge, bevor ich überhaupt darüber nachdenke“, sagte er traurig.

Sie versuchte zu lächeln. „Ich bin die Wissenshüterin. Es ist meine Pflicht, an die Sitten und Traditionen zu denken. Außerdem wird es in nächster Zeit mehr als genug Dinge geben, die dich beschäftigen werden.“

„Mach dir keine Sorgen, Geyah“, erklang Orgrims Stimme. „Ich werde mich darum kümmern, dass er genug schläft, selbst, wenn ich ihn dafür bewusstlos schlagen muss.“

Geyah ging wortlos zu ihrer neuen Hütte hinüber, wo sie ungestört trauern könnte. Durotan blickte ihr nach, dann wandte er sich an Orgrim. „Mutter sagte, ich werde mich während der nächsten Tage um viele Pflichten kümmern müssen.“

Sein Freund lachte. „Wenn sie mit ‚viele‘ ‚ein paar Hundert‘ gemeint hat, dann ja“, erwiderte er.

„Ich brauche jemanden, der mir dabei hilft“, sagte Durotan. „Jemanden, dem ich blind vertrauen kann. Jemanden“, fügte er hinzu, „der den Klan anführen würde, falls mir irgendetwas zustößt.“

Orgrim war stark, ausgeglichen und tüchtig. Nur wenig vermochte ihn zu überraschen. Doch jetzt weiteten sich seine Augen. „Ich … Durotan, ich bin geehrt. Ich …“

Durotan legte seinem Freund die Hand auf die mächtige Schulter. „Mein Herz tut weh, und ich habe genug von Worten und Ritualen. Außerdem ist die Wissenshüterin nicht mehr hier. Du kannst einfach Ja sagen … bitte.“

Orgrim lachte, und dann sagte er Ja.

Als Nächstes suchte der junge Häuptling Drek’Thar auf, und der Schamane berichtete ihm, was er selbst während des Rituals gespürt hatte. Die Geister hatten nichts an ihm auszusetzen, aber, wie Durotan bereits vermutet hatte, war längst nicht alles in Ordnung.

„Wir dürfen Gul’dan nicht vertrauen“, kam Drek’Thar sofort zum Punkt. „Die Geister …“ Er suchte nach den richtigen Worten, dann schüttelte er den Kopf. „Fast hätte ich gesagt, sie ‚fürchten‘ ihn, aber solche Begriffe, solche Konzepte, treffen auf sie nicht zu. Auf jeden Fall würden sie sich nicht in seine Nähe begeben. Aber … einige Dinge, von denen dieser Hexenmeister“, Drek’Thar spuckte das Wort förmlich aus, „gesprochen hat, waren nicht gelogen. Die Welt verändert sich wirklich, mein junger Häuptling. Du trittst die Nachfolge deines Vaters womöglich während der dunkelsten Zeit in der Geschichte dieses Stammes an. Unsere Nöte werden nicht abklingen. Sie werden nur noch größer werden.“

„Aber die Geister sind doch mit mir einverstanden, oder?“, bedrängte Durotan den Schamanen. Er hoffte, Drek’Thar würde die Worte so verstehen, wie er sie meinte – als Beweis seiner Sorge und nicht etwa als Bitte um Bestätigung.

„Daran gibt es keinen Zweifel, ja.“

„Dann muss ich mich ihres Vertrauens als würdig erweisen. Mein Vater war ein guter Anführer – gut genug, dass Gul’dan die lange und schwierige Reise auf sich genommen hat, nur um ihn um eine Allianz zu bitten. Ich glaube nicht, dass er aus der Güte seines Herzens hierherkam. Nein, wir haben etwas, das er will. Stärke. Widerstandskraft. Mein Vater hat sich geweigert, ihm zu folgen, weil solche Tugenden nicht zum Wohl der Südländer, sondern zu unserem eigenen – dem Wohl der Frostwölfe – bestimmt sind. Ich werde den Klan führen, wie er es tat.“

Er streckte die Hand aus und legte sie Drek’Thar aufmunternd auf den Arm. Die Muskeln unter dem Ledergewand des Schamanen waren noch immer kräftig. „Ich werde mich um unsere Leute kümmern.“

Das Geschenk der Geister war unerwartet zärtlich, wenn auch äußerst vehement gewesen. Nachdem sie beide ein wenig Zeit gehabt hatten, sich auszuruhen, ging Durotan zu seiner Mutter, und sie trauerten gemeinsam um seinen Vater. Es war nichts Beschämendes daran. Er erzählte ihr, was die Geister ihm gegeben hatten und dass er entschlossen war, den Klan zu beschützen.

„Was sie dir geschenkt haben, ist die Liebe, die Eltern für ihr Kind empfinden, mein Sohn“, sagte sie mit einem Lächeln, obwohl noch immer Tränen ihr Gesicht benetzten. „Nichts ist stärker. Ich bin noch immer deine Mutter, und ich werde es immer sein. Aber du bist jetzt mein Häuptling. Ich werde dich beraten, so gut ich es kann, als Schamanin und Wissenshüterin. Befiehl, und ich werde gehorchen.“

In dieser Nacht fielen Durotan auf den Schlaffellen seines Vaters die Augen zu, und er war so erschöpft, dass er keine Träume hatte.

Am nächsten Morgen rief er die besten Jäger des Stammes zusammen – nicht nur jene, die auf der Höhe ihrer körperlichen Stärke waren, sondern auch jene, die in der Vergangenheit durch das Erlegen mächtiger Bestien Ruhm erlangt hatten. Er erklärte ihnen, dass sie frei reden, ihm sogar widersprechen und untereinander diskutieren durften, solange sie zusammenarbeiteten und festlegten, welche Waffen am besten für welche Beute geeignet waren. Sie sollten mit den verbrannten Enden von Stöcken Karten auf getrocknete Lederstreifen zeichnen, um ihm und dem Rest des Klans zu zeigen, wo die Wahrscheinlichkeit am größten war, auf Talbuks zu stoßen, in welchen Seen sich welche Fischarten fanden und welche dieser Fische am besten zum Verzehr geeignet waren.

„Aber mein Häuptling“, sagte Nokrar, wobei er zu einem zerbrechlich wirkenden Orc hinüberblickte. „Jeder weiß diese Dinge.“

„Wirklich?“, entgegnete Durotan. „Weiß es wirklich jeder hier? Oder wahren wir Geheimnisse, damit wir unseren Wert beweisen können, wenn die Nahrung knapp wird?“ Ein paar Orcs erröteten bei diesen Worten, aber er fuhr fort: „Wir müssen daran denken, was das Beste für uns alle ist, nicht nur für den Einzelnen, nicht nur für eine Familie. Für alle. Wir sind Frostwölfe – wir sind geschickt und weise und tapfer. Tut, was ich sage, und alle werden zu essen haben.“

Mehrere Tage lang wiederholte er dieses Vorgehen mit unterschiedlichen Gruppen. So sprach er etwa mit den Kriegern darüber, Patrouillen durchzuführen. Bislang waren die Frostwölfe nur selten von Fremden gestört worden; der Altvaterberg hatte die meisten Eindringlinge abgeschreckt. Doch niemand im Klan, und am allerwenigsten ihr junger Häuptling, wollte riskieren, dass die Rotläufer zurückkehrten. Der Orc, der Garad getötet hatte, war mitsamt seiner Gruppe gestorben, aber Durotan bezweifelte, dass es sich bei dieser Handvoll um den gesamten Klan gehandelt hatte. Von diesem Abend an hielten die Krieger Wache und patrouillierten im Licht der Sonne ebenso wie im Schein des Mondes.

Auch die Schamanen rief Durotan zu sich, um mehr über ihre Heilkräuter zu erfahren und sie zu fragen, ob es eine Möglichkeit gebe, magisches Licht zu erschaffen; auf diese Weise könnten Pflanzen auch in den Monaten angebaut werden, in denen die Sonne nur selten schien. Er sprach mit den Abdeckern und Sattlern und jenen, die die Früchte ernteten und trockneten, und er drängte sie, ihre Techniken mit dem Klan zu teilen. Selbst mit den Kindern setzte er sich zusammen und spielte mit ihnen, um zu sehen, welche unter ihnen Eigenschaften eines geborenen Anführers in sich trugen.