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Während sich der Klan um das lebensspendende Feuer herum zusammendrängte, erzählte Durotan den Kindern Geschichten über seinen Vater und seine erste Jagd, als er gelernt hatte, was es wirklich hieß, ein Frostwolf zu sein. Er ermunterte Geyah, von der Zeit zu erzählen, als Garad auf der Höhe seiner Kraft und er selbst noch ein Kind gewesen war. Auch lud er die alten Orcs, die nicht mehr jagen oder kämpfen konnten, ein, am gemeinsamen Feuer zu sitzen und Erinnerungen aus ihrer Jugend mit den anderen zu teilen. Seine einzige Bitte dabei war, dass die Geschichten aufmunternd sein sollten; sie sollten den Klan zum Lachen bringen oder auf andere Weise erbaulich sein.

Die Frostwölfe überlebten den Winter, ohne dass auch nur ein Leben an Kälte oder Hunger verloren ging. Als endlich der Frühling zurückkehrte, säten und umsorgten sie die Nüsse und Samen, die sie so behutsam gelagert hatten.

Niemand wisperte mehr im Stillen darüber, wie Garad „niedergemetzelt“ worden war. Niemand sprach noch über Gul’dan, außer, um seine Angstmacherei zu verdammen. Was Geyah ihrem Sohn sagte, war, dass sein Vater stolz auf ihn wäre.

Durotan verriet es niemanden, nicht einmal Orgrim, vor dem er sonst so gut wie keine Geheimnisse hatte, aber er lag nachts oft wach und zählte in Gedanken Fässer mit getrocknetem Getreide oder fragte sich, ob sie wohl genug Kevakblätter hatten, um den Husten der Kleinen zu lindern. Ebenso behielt er für sich, dass er ständig mit Zweifeln rang, mit dem Gefühl, dass er das Falsche tat.

Er wusste genug über die Beziehung seiner Eltern, um zu verstehen, dass Garad sich stets an seine Gefährtin gewandt hatte, wenn er Rat und Beistand brauchte. Zweifelsohne hatte er ihr auch seine Ängste beichten können. Doch obwohl es eine weise Entscheidung gewesen wäre, sich selbst eine Partnerin zu wählen, spürte Durotan einfach keine romantischen Gefühle in seinem Herzen.

Vielleicht war die Bürde, die auf ihm lastete, einfach zu groß.

9

»Ich sage, es wird ein Tänzer, kein Säufer, der heute Nacht das letzte Holz ins Sommersonnenfeuer wirft«, erklärte Orgrim. »Die Tänze beginnen nämlich gerade erst – im Gegensatz zum Trinken.«

Durotan lachte. Später würde er seinen Platz auf dem Steinernen Sitz einnehmen, aber im Moment stand ihm der Stuhl noch ein wenig zu nahe am lodernden Freudenfeuer. Darum stand er mit Orgrim am Rand des Dorfes, während die Tänzer johlten und riefen und über die blumenbesprenkelte Wiese wirbelten.

Sie hatten ein langes, schwieriges Jahr überstanden und während dieser Zeit nur um vier Klanmitglieder trauern müssen. Zwei waren bei der Jagd gefallen, einer hatte durch einen Unfall sein Leben verloren, und ein alter Orc war neben einem Feuer gestorben, in endlosem Schlummer versunken, nachdem er eine Geschichte aus seiner Jugend erzählt hatte. Durotans Leute waren noch immer zufrieden. Sie beschwerten sich nicht über die harten Maßnahmen, die ihr Häuptling ergriff – als Frostwölfe waren sie an Entbehrungen gewöhnt. Durotan war froh, dass sie heute Nacht feiern konnten.

Du scheinst jedenfalls schon früh angefangen zu haben“, sagte er und deutete auf den Wasserschlauch in Orgrims Händen, der ganz sicher nicht mit Wasser gefüllt war. Mit einem Lachen hielt sein Freund ihm den Most hin. Durotan ließ die würzige, aber süße Flüssigkeit seine Kehle hinabrinnen, dann gab er Orgrim den Schlauch zurück.

„Das war ja nicht mal ein richtiger Schluck!“, protestierte dieser. „Geh deinem Klan mit gutem Beispiel voran, Häuptling, und trink aus!“

„Ich werde ein gutes Beispiel setzen, indem ich morgen nicht mit Kopfschmerzen aufwache.“

„Ich werde auch keine Kopfschmerzen haben.“

„Aber nur, weil dein Schicksalshammer-Schädel so dick ist. Ein Grollhuf könnte darauf herumtanzen, ohne dass …“ Er verstummte.

Da war eine Bewegung auf der Wiese, ein winziges Flackern in der Ferne, das keiner der Tanzenden bislang bemerkt hatte. Kein Tier bewegte sich so, und kein Frostwolf hätte sich allein so weit von den anderen entfernt. Durotan erkannte eine Gestalt und sah, dass sie direkt auf das Dorf zukam.

Rotläufer.

Seit dem Überfall im vorigen Herbst hatte Durotan seinen Leuten eingebläut, dass sie stets auf einen Angriff dieses „Klans“ abscheulicher Blutträger vorbereitet sein mussten. Doch heute hatte es keine Patrouillen gegeben; heute hatte er seinen Orcs Entspannung und Freude gegönnt. Er hatte sie rasten lassen. Durotan verfluchte sich.

Neben ihm sagte Orgrim leise: „Ich hole die Wölfe.“

Scharfzahn spürte die Anspannung seines Meisters und legte die Ohren flach an den Schädel, als er losrannte. Beißer machte seinem Namen alle Ehre und schnappte nach der Luft, während er Orgrim dahintrug. Noch hatten die beiden Orcs keinen Alarm gegeben. Der Rotläufer befand sich auf weiter Flur und war augenscheinlich allein; Durotan und Orgrim sollten keine Probleme haben, ihn zu überwältigen. Doch als sie über die offene Wiese ritten, waren sie ebenso deutlich zu erkennen wie ihr Feind, und ein Blick über die Schulter zeigte Durotan, dass die Tanzenden innegehalten hatten und ihnen mit nervösen Mienen nachblickten.

Orgrim hatte sich den Schicksalshammer hinter den breiten Rücken geschnallt, und Durotan hielt Donnerschlag in der kräftigen Hand, sein Kiefer in grimmiger Entschlossenheit vorgereckt. Der Wind wehte aus der Richtung des Eindringlings, und Durotan erwartete, den verräterischen Gestank alten, getrockneten Blutes wahrzunehmen, doch dann runzelte er die Stirn. Alles, was er riechen konnte, war der Moschusgeruch eines anderen Orcs.

Orgrim bewies einmal mehr, wie ähnlich sie einander waren, indem er sagte: „Da ist kein Gestank.“

Der kleine Punkt wuchs heran, als die beiden näher ritten. Durotan lehnte sich zurück, und Scharfzahn wurde langsamer. Beißer stürmte noch ein paar Schritte weiter, dann lenkte Orgrim ihn in einem Kreis zu der Stelle zurück, wo Scharfzahn inzwischen stehengeblieben war.

Die fremde Gestalt war Durotan zunächst stämmig erschienen, und er hatte angenommen, dass es sich um einen männlichen Orc handelte. Doch jetzt stachen ihm seltsame Rundungen ins Auge, und er erkannte, dass er eine Frau vor sich sah, die etwas auf den Schultern trug. Sie bewegte sich mit gleichmäßigen Schritten, und er sah etwas Blaues und Weißes um ihre Mitte schimmern.

Die Anspannung fiel so schnell von Durotan ab, dass er schauderte. Freude, so intensiv und schneidend wie Schmerz, durchzuckte seinen Körper.

„Orgrim, mein alter Freund, dein Häuptling ist ein Narr“, stieß er laut und fröhlich lachend hervor.

„Das dachte ich mir schon“, sagte Orgrim. „Aber warum siehst du es jetzt auch ein?“

„Was ist heute für ein Tag?“

„Sonnenwende … natürlich …“ Die Augen des anderen Orcs weiteten sich.

„Das ist kein Rotläufer da draußen. Das ist ein Frostwolf!“

Orgrim stieß einen Schrei überraschter Freude aus, dann beugten sich beide Orcs auf ihren Wölfen nach vorne und ritten hastig weiter, dem weiblichen Frostwolf entgegen. Sie war stehen geblieben und wartete auf sie, mit dem Körper eines Talbuk-Kalbs auf ihren Schultern. Der Wind erfasste eine herabhängende Ecke des Frostwolfbanners und ließ es um ihren Körper flattern. Als Durotan und Orgrim vor der Frau stehen blieben, begegneten ihre dunklen Augen dem Blick des Häuptlings, und sie stemmte den Talbuk mit einem leisen Ächzen von ihren Schultern, sodass er auf den Boden fiel. Ihr flacher Bauch war nackt, während ihre kräftigen, muskulösen Schenkel in grob gefertigten Beinlingen steckten. Sie hatte schlanke Arme, an denen sich Muskeln wölbten, und ihre Haut war von einem warmen, tiefen Braun. Ein violetter Kristall hing an einem Band aus Tiersehnen um ihren Hals, und er funkelte im Sonnenlicht, als sie den Kopf in den Nacken warf und lachte, eine kleine Axt zum Gruß erhoben.

„Heil dir, Durotan, Sohn von Garad, Sohn von Durkosh“, rief sie mit heller, klarer Stimme. „Ich bin …“