Gul’dan hingegen empfand nur eines: Zorn. Seine Augen wurden zu Schlitzen, und das grüne Feuer in ihnen loderte noch heftiger, während sich seine Lippen verzerrten. Seine knorrigen Hände schlossen sich fester um den Stab.
„Was hast du zu ihr gesagt?“, zischte er Garona an.
„Deine … Garona sagte, dass mein Partner ein Narr wäre, dein Angebot abzulehnen.“ Drakas Ton war ruhig und gemessen. „Verzeih mir, Gefährte, aber das waren ihre Worte.“
Durotan behielt seine ausdruckslose Miene bei. Er kannte die Sprache der Draenei nicht.
Aber er wusste, dass Draka log.
„Meine Sklavin hat recht“, erklärte Gul’dan mit leiser, unheilvoller Stimme. „Du bist ein Narr, ebenso, wie dein Vater es war. Und solltet ihr Kinder haben, werden zweifelsohne auch sie Narren sein. Ehre und Pflicht sind hehre Ideale, Durotan, und du hättest sie in meiner Horde wiedergefunden, hättest du dich uns angeschlossen. Aber Ehre wird deine Leute nicht sättigen, wenn ihr keine Nahrung mehr findet, wenn alle Pflanzen verwelken und die Tiere tot umfallen. Pflicht wird ihnen keinen Schutz bieten, wenn ihnen die Glieder in Schneestürmen abfrieren oder Berge aufbrechen und Feuer bluten. Nur meine Magie kann das – eine Magie, die die Orcs einmal mehr zu einem mächtigen Volk machen wird!“
Seine Augen blitzten wild, und Durotan wollte vor ihnen zurückweichen. Doch er zwang sich, reglos sitzenzubleiben. Er konnte hören, wie Geyah und Draka hinter ihm scharf den Atem einsogen.
„Verstehst du wirklich nicht, wie mächtig ich bin? Wollen die Frostwölfe und die Rotläufer und eine Handvoll anderer wirklich die einzigen Orcs sein, die zurückbleiben, um in diesem fruchtlosen Ödland zu sterben? Ich hätte euch retten können, sturer Sohn von Garad!“
Dann seufzte er. Die Flammen in seinen Augen brannten zu grüner Glut herunter. „Und vielleicht rette ich euch noch. Ich habe mich nie von einem Orc abgewandt, der bat, sich mir anschließen zu dürfen, und ich werde dich nicht zum Ersten machen, so sehr ich es in diesem Moment auch wünsche. Wenn du bereit bist, die Weisheit meines Vorschlages zu erkennen, geht nach Süden, in das Gebiet, das als Tanaandschungel bekannt war.“ Ein bitteres Lächeln verzerrte seinen Mund. „Heute ist es eine Wüste, bar jeglichen Lebens. Dort treffen wir unsere Vorbereitungen. Dort wirst du uns finden. Aber zögere nicht zu lange. Diese Welt ist krank. Und ihre Todeszuckungen werden euch früher verschlingen, als du vielleicht denkst.“
Er wandte sich zum Gehen. Geyah rief ihm nach: „Der Test der Klinge! Du kannst nicht ohne unser Versprechen sicheren Geleits gehen!“
Gul’dan drehte sich langsam um und spießte die Wissenshüterin mit einem verächtlichen Blick auf. „Ich brauche kein Versprechen von Sicherheit“, schnappte er. „Dein Gefährte hätte mir kein Haar krümmen können, und auch dein Sohn würde es nicht überleben, um davon zu erzählen.“
In seinem Zorn zerrte er heftig an der Kette, und obwohl Garona die Aktion erwartet hatte, fiel sie mit einem scharfen, schmerzerfüllten Zischen nach vorne.
Draka war so schnell an ihrer Seite, dass Durotan nur staunend zusehen konnte, wie sie sich hinkniete und der Sklavin aufhalf. Zuerst zuckte Garona zurück, aber dann zögerte sie und ließ sich auf die Beine ziehen. Die Gemahlin des Häuptlings lächelte sie gütig an, anschließend bedachte sie Gul’dan mit einem verachtungsvollen Blick. Der Hexenmeister zog lediglich ein zweites Mal an der Kette, und seine Sklavin folgte ihm – aber nicht, ohne noch einmal kurz den Kopf zu drehen und Durotan forschend zu betrachten.
Kovogor war der Letzte, der das Lager verließ. Im Gegensatz zu Gul’dan wirkte er nicht beleidigt, aber seine Augen wirkten traurig, und Sorgenfalten standen auf seiner Stirn. Durotan wollte mit ihm sprechen, aber die Zeit für Worte war vorbei, und sie beide wussten es. Kovogor zog die Kapuze seines Umhangs wieder über seinen Kopf und wandte sich ab, um seinem Häuptling zu folgen.
Die Sonne war inzwischen fast untergegangen. Unter anderen Umständen hätte Durotan Gul’dan und sein Gefolge eingeladen, zu bleiben und heute Nacht ein Mahl und eine Unterkunft mit den Frostwölfen zu teilen, nachdem sie so lange gereist waren, um sie zu besuchen. Doch Gul’dans beißende Bemerkungen hatten das unmöglich gemacht.
Die meisten Mitglieder des Klans starrten dem davonziehenden Hexenmeister wütend nach, aber nicht alle. Ein paar blickten stattdessen ihren Häuptling und seine Gefährtin an, und Durotan fragte sich, ob es Gul’dan vielleicht doch gelungen war, unter den Frostwölfen den Samen des Missmuts zu säen.
Sobald es ihm möglich war, entfernte er sich mit Draka von den anderen und wisperte: „Was hat Garona wirklich gesagt?“
Drakas Antwort war ebenso leise. „Sie sagte: ‚Mein Meister ist böse und gefährlich.‘“
Garona war nicht nur stolz, sondern auch schlau; sie hatte den Kristall gesehen, erkannt, dass Draka Kontakt mit den Draenei gehabt hatte, und daraus geschlossen, dass sie vielleicht ein wenig ihre Sprache beherrschte. So hatte sie Durotans Klan warnen können – obwohl sie dabei selbst ein großes Risiko einging.
„Und was hast du geantwortet?“
„Ich sagte: ‚Das wissen wir.‘“
16
Wie sich zeigte, war niemand glücklich über den Verlauf, den das Treffen mit Gul’dan genommen hatte. Nachdem sie gegessen hatten – ein weiteres, mageres Mahl aus Vogel- und Nagetierfleisch, in einem irdenen Topf gekocht, das weder schmeckte noch satt machte – sprach Durotan mit seinen Beratern.
Geyah war außer sich, dass Gul’dan das Ritual missachtet hatte. „Es ist uralt“, erklärte sie. „Es ist allen Orcs heilig. Wer sind wir, wenn wir alles vergessen? Er kommt in unser Lager und spricht von Einheit, und dann verlässt er uns ungehindert, nachdem er uns derartig beleidigt hat!“
Durotan wusste, dass es mehr war als die Respektlosigkeit des Hexenmeisters, was seine Mutter empörte. Sie alle hatten seit dem letzten Besuch Gul’dans große Opfer bringen müssen, und Geyah hatte mehr verloren als die meisten: ihren Partner, ihr Zuhause, die Schriftrollen der Frostwölfe, die so alt und empfindlich waren, dass sie stets mit größter Vorsicht behandelt worden waren. Zweifelsohne waren sie allein schon durch die Hitze in Flammen aufgegangen, als der Feuerfluss ihr Dorf überrollt hatte. Geyahs Identität und ihre Aufgabe im Klan – sei es nun als Gefährtin des Häuptlings oder als Wissenshüterin – hatten schwer gelitten. Sie so frustriert und unsicher zu sehen, schmerzte Durotans Herz.
Sanft legte er ihr eine mächtige Hand auf den Arm. Sein Herz schlug noch schwerer, als er spürte, wie dürr sie geworden war. „Du hast einst gesagt, Gul’dan ist derjenige, der sich beschämt“, erinnerte er sie. „Wir ehrten die Rituale, Mutter. Die Schande liegt allein bei ihm.“
„Schande ist das richtige Wort“, warf Drek’Thar ein. „Aber du hast Weisheit bewiesen, Durotan.“ Er schüttelte den Kopf. „Die Dunkelheit um ihn ist nur noch dichter geworden. Ich hätte größte Bedenken gehabt, hättest du dich entschlossen, ihm zu folgen.“
Durotan und Draka wechselten einen Blick.
„Wenn ich ihn sehe, wenn ich ihn reden höre, überkommt mich der Wunsch, ihn zu erwürgen“, brummte Orgrim. „Es juckt mir in den Fingern, wenn ich nur darüber nachdenke. Aber ich frage mich, ob es vielleicht …“ Er verstummte.
„Sprich nur, alter Freund“, forderte Durotan ihn auf. „Wir alle schätzen deine Offenheit, und ich möchte hören, was alle denken.“
Orgrim musterte seinen Häuptling. „Wir kämpfen von einem Tag zum nächsten, von einem Herzschlag zum nächsten“, sagte er. „Dein Vater stellte sich der Herausforderung in dem Glauben, dass sich alles wieder zum Besseren wenden würde. Du stellst dich ihr mit Schlauheit und Einfallsreichtum – und bislang hast du sie überlistet. Bislang …“
Ein Schauder der Beunruhigung überkam Durotan. Draka neben ihm zog die Brauen zusammen. „Nur weiter.“