Leise fragte Durotan: „Oder was?“
Der andere Orc schluckte. „Oder ich fordere dich zum Mak’gora.“
Durotan schloss die Augen. „Das hast du bereits.“
17
Die Unterhaltung hatte immer mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen, während sie langsam eskalierte, und nun war fast der halbe Klan versammelt. Nicht wenige von ihnen keuchten, und Nokrar wurde einen Moment lang blass, doch dann schoss ihm das heiße Blut des Zorns in die Wangen.
„Durotan, Sohn von Garad, Sohn von Durkosh, ich fordere dich zum Duell der Ehre heraus. Nimmst du an – oder weigerst du dich?“
„Ich nehme an“, sagte Durotan. Eine andere Option stand ihm nicht offen. „Wir treffen uns bei der Quelle. Bereite dich vor, Nokrar. Ruf deine Familie zusammen. Sag ihnen, dass du sie liebst. Und bitte sie um Vergebung dafür, dass du sie nur wegen deiner eigenen Arroganz ihres Gefährten und Vaters beraubst!“
Anschließend stürmte er zur kleinen Häuptlingshütte davon. Er zitterte, aber nicht aus Angst, sondern vor Wut. Wut auf Nokrar, weil er so dumm war. Wut auf das, was er nun tun musste, falls er weiterhin den Respekt der anderen haben wollte. Wut auf Gul’dan, der für all das verantwortlich war. Und sogar Wut auf die Geister, wegen all der Probleme und Tragödien, die einen Frostwolf zu einem so fatalen Irrtum getrieben hatten.
Durotan begann, seine Rüstung abzulegen, und warf sie frustriert auf den Boden. Die schlichte Tür öffnete sich und herein kamen Draka, Geyah und Orgrim, der in seiner Abwesenheit über die Zuflucht gewacht hatte.
„Du bist wütend“, stellte Orgrim fest.
„Ach, glaubst du?“ Durotan war kein Freund von Sarkasmus, aber er konnte die Bemerkung nicht unterdrücken.
„Du hattest keine andere Wahl.“ Geyahs Stimme war kalt und emotionslos, aber ihre Wangen waren gerötet vor Empörung. „Seit Generationen hat kein Frostwolf mehr seinen Häuptling herausgefordert. Eine solche Beleidigung durfte nicht ohne Folgen bleiben.“
„Geyah hat recht“, sagte Draka, obwohl in ihrem Tonfall eine Spur von Bedauern mitschwang. Sie kannte ihn besser als sonst jemand, und natürlich wusste sie, was er dachte; sie konnte durch seinen Zorn hindurchsehen und die Trauer erkennen, die ihn schürte. Er streckte die Arme nach ihr aus und zog sie eng an sich heran, dann drückte er seine Stirn gegen die ihre.
Seine Worte galten nur ihren Ohren, als er flüsterte: „Ich will keinen Frostwolf töten.“
Sie schloss die Augen, und als sie sie wieder aufschlug, glänzten Tränen darin. Eine Hand wanderte zu ihrem anschwellenden Bauch und streichelte das Kind in seinem Inneren.
„Ich möchte nicht nach Steinen suchen müssen, um meinen Gefährten zu beerdigen“, murmelte sie.
Durotan zuckte zusammen. Sie löste sich von ihm, eine kleine Hand an seiner Wange. „Der gesamte Klan hat die Herausforderung gesehen“, erinnerte sie ihn. „Niemand glaubt, dass du hasserfüllt zu diesem Zweikampf antrittst. Du tust, was du tun musst.“
Er drückte ihre Hand fest und hielt sie einen Moment lang an seine Brust. Sie alle wussten, dass er den Kampf gewinnen würde, sofern die Geister es nicht anders wollten. Er mochte müde von der langen Jagd sein, aber er war größer als Nokrar und der erfahrenere Krieger. Darum galt seine Sorge weniger seinem eigenen Leben als dem seines Gegners.
Kurz darauf verließ er die Hütte. Die Neuigkeit hatte sich herumgesprochen, und nun sah er, dass der gesamte Klan zusammengekommen war. Die Stimmung war gedämpft. Er erinnerte sich an das eine Mak’gora, das er miterlebt hatte, als etwas so Triviales wie ein erlegtes Talbuk zum Auslöser eines Kampfes zwischen Grukag und einem törichten Donnerfürstenorc geworden war. Damals hatte Zorn die Frostwölfe erfüllt, weil es einen wirklichen Verstoß gegeben hatte, und Grukags müheloser Sieg war von lautem Jubel begleitet worden.
Doch jetzt war Grukags Familie tot, und niemand würde jubeln, wenn Frostwolf gegen Frostwolf kämpfte.
Nokrar stand flankiert von Kagra und Shaksa da, auf dem Arm seine jüngste Tochter, die kleine Nizka, die dem Rothäher zum frischen Wasser gefolgt war. Als er Durotan erblickte, drückte er Kagra das kleine Mädchen in die Arme. Nizka begann zu weinen und streckte die Hände nach ihrem Vater aus, aber Nokrar schob sowohl sie als auch ihre Mutter sanft von sich und trat vor. Shaksa versuchte gar nicht erst, ihre Tränen zu verbergen.
Die beiden Krieger stellten sich einander gegenüber, und Drek’Thar wurde herbeigeführt. Nachdem er stehen geblieben war, ließ der alte Schamane Palkars Arm los. „An diesem Tag bin ich froh, dass meine Augen nicht sehen können“, sagte er. „Sonst müssten sie zwei Frostwölfe bis zum Tod kämpfen sehen. Es schmerzt mich, und es schmerzt die Geister, die unsere Mühen beobachtet haben. Ich kenne euch beide, seit ihr eure ersten Atemzüge getan habt. Nun wird einer von euch seinen letzten Atemzug tun, und es bedrückt mein Herz. Ich will euch beide segnen, denn allein die Geister werden über den Ausgang dieses unbesonnenen Kampfes entscheiden.“
Er griff in seine Tasche und holte ein Fläschchen mit Öl hervor. „Nokrar, gib mir deine Hände“, sagte er, und nachdem der andere Orc der Aufforderung nachgekommen war, träufelte Drek’Thar behutsam einen Tropfen auf jede Handfläche. „Die Geister von Erde, Luft, Feuer, Wasser und Leben werden dich zu deinem Schicksal führen. Begegne ihm mit Würde, wie es sich für einen Frostwolf gehört. Man muss das Leben wertschätzen, aber man darf den Tod nicht fürchten.“
Er wiederholte das Ritual bei Durotan, und nachdem beide gesegnet waren, rieben sie die Hände zusammen und legten sie an ihre Brust, damit ihnen der süße Duft in die Nase steigen konnte.
Drek’Thar beugte den Kopf und ließ sich von Palkar fortführen, wobei der jüngere Schamane kurz über die Schulter zurückblickte. Nachdem die zwei den Kreis verlassen hatten, musterten die Duellanten einander. Am liebsten hätte Durotan Nokrar aufgefordert, seine Herausforderung zurückzunehmen, aber das war unmöglich. Er würde schwach wirken, falls er darauf einginge, ebenso, wie sein Häuptling schwach wirken würde, weil er ein solches Angebot machte.
Oh, Geister, wie konnte es nur so weit kommen?
Durotan hatte kaum Zeit, den Gedanken zu Ende zu denken, als Nokrar auch schon auf ihn zustürmte wie ein Grollhuf-Bulle, den Kopf gesenkt, einen wortlosen Schrei auf den Lippen. Durotan sprang zur Seite und rollte sich auf der noch immer gefrorenen Erde ab. Nokrars Vorwärtsbewegung trug ihn mehrere Schritte weiter, bevor er sich herumdrehen konnte, doch da war sein Gegner bereits wieder auf den Beinen und in Kampfstellung, bereit, in jede Richtung zu schnellen, die einen Vorteil bot.
Durotans Wahrnehmung schmolz zusammen, bis er sich nur noch seiner selbst und Nokrars bewusst war. Fast wie in einer Trance erfasste er jede Bewegung seines Widersachers mit absoluter Klarheit. Sein Vater hatte ihm das während seiner ersten Jagden beigebracht, und er hatte diese Fähigkeit seitdem weiter geschärft. Ein Teil von ihm konnte immer noch nicht glauben, dass er sie jetzt gegen ein Mitglied seines Klans einsetzte.
Nokrar brummte und atmete durch, während er seinen Gegner musterte. Durotan nutzte die kleine Pause, um vorzuspringen, seinen Körper dabei so gedreht, dass seine rechte Schulter gegen Nokrars Brust prallte. Gleichzeitig zuckte seine linke Hand hoch, um nach dem langen Haar des anderen Orcs zu greifen und heftig daran zu ziehen. Nokrar heulte auf, als sein Kopf nach unten gezerrt wurde, und Durotan setzte seine Vorwärtsbewegung fort, sodass sein Körper über Nokrars Rücken rollte und sein Gegner mit gnadenloser Wucht auf den Boden geschmettert wurde.
Doch auch Nokrar rollte sich herum, sodass er nicht frontal, sondern seitlich auf der Erde aufprallte. Er riss seinen Kopf los, und alles, was in Durotans Hand zurückblieb, war ein blutiger Klumpen aus Haar und Hautfetzen. Er verlor das Gleichgewicht, und bevor er es wiederfand, hatte Nokrar ihm bereits die Faust ins Gesicht gerammt. Durotan spürte, wie Zähne zersplitterten, und er schmeckte Blut, während er nach hinten taumelte. Es gelang ihm, auf den Füßen zu bleiben, aber dann stürzte sich sein Gegner auf ihn, und sie gingen beide zu Boden.