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Der Orc lag mit dem Gesicht nach unten zwischen Schnee und Kiefernnadeln. Durotan schluckte seine Übelkeit hinunter und streckte Spalter vor; er brachte es nicht über sich, die blutglänzenden Knochen mit den Händen zu berühren. Vorsichtig stieß er die Leiche mit der Axt an und rollte sie herum.

Nokrars Gesicht starrte blicklos zu ihm hoch.

„Ich wusste, dass sie sich mit dem Blut von Orcs und Draenei bemalen“, wisperte Draka. „Aber das …“

„Sie … sie haben ihn geschlachtet wie …“ Gurlak brachte den Satz nicht zu Ende. Er schluckte schwer, dann fragte er: „Wollten sie eine Trophäe?“

Durotan blickte von den Wölfen zu dem Orc und schüttelte den Kopf.

„Nein“, sagte er grimmig. „Sie wollten Nahrung.“

19

»Die Kinder«, sagte Draka sofort. »Die Rotläufer haben sie mitgenommen.«

Durotan schüttelte den Kopf, um seine Gedanken zu klären und das betäubende Gefühl des Ekels abzuschütteln. „Sie mussten als Erstes die Wölfe töten, und zwar schnell“, brummte er, während er im Geiste nachzeichnete, was hier geschehen war. „Die Tiere waren die größte Bedrohung und … die größte Fleischquelle. Die Orcs konnten sie überwältigen und zwingen, aus eigener Kraft mit ihnen zu kommen. Sie haben also das Fleisch und die Felle der Wölfe genommen und …“

Aus irgendeinem Grund fiel Durotan ein sorgloser Kommentar ein, den er vor mehreren Jahren abgegeben hatte, damals, als Gul’dan zum ersten Mal zu ihnen gekommen war. Er hatte Orgrim zugeflüstert, dass Geyah aussah, als wollte sie den Hexenmeister braten. Und was hatte sein Freund selbst gesagt, kurz bevor sie aufgebrochen waren: Oder vielleicht laufen sie ja ein paar Rotläufern über den Weg. Die würden sie schneller töten als der Hunger.

Er dachte an all die Male, als eine Jagdgruppe einfach nicht zurückgekehrt war, und sein Magen zog sich zusammen.

Du musst es aussprechen, sonst gibst du ihnen Macht, sagte er sich, die Fäuste so fest geballt, dass die Hand um Spalter zu schmerzen begann. Gib deiner Furcht einen Namen, dann wirst du zu ihrem Meister.

„Sie haben auch Nokrars Fleisch genommen“, fuhr er mit ebenmäßiger Stimme fort. „Die anderen, einschließlich der Kinder, haben sie vermutlich gefangen genommen, als Nahrung für später.“

„Dann“, erwiderte Draka, ihre Worte ebenso direkt wie die seinen, „sind sie vielleicht noch am Leben.“

Durotan und die anderen hatten nur ein einziges Ziel im Kopf gehabt, als sie am Morgen aufgebrochen waren: die abtrünnigen Mitglieder ihres Klans aufzuspüren. Jetzt war aus der Jagd plötzlich eine Rettungsmission geworden.

„Die Rotläufer haben keine Reittiere, wir aber schon“, erklärte der Häuptling. „Wir werden sie finden, und dann … werden sie sterben. Lok’tar!“, rief er, und die anderen stimmten mit ein, sodass ihre Stimmen in der unnatürlichen Stille laut widerhallten. Zweifelsohne konnten die Rotläufer sie hören.

Doch das kümmerte Durotan nicht. Sollten sie ruhig wissen, welches Schicksal sie erwartete.

Sollten sie ruhig wissen, dass die Frostwölfe sie holen kamen.

Die Wölfe preschten los, so schnell sie nur konnten, und der Geruch des Lebensblutes ihrer Rudelbrüder wies ihnen den Weg. Ihre Reiter ließen sie gewähren, klammerten sich nur auf ihren Rücken fest. Die mächtigen weißen Bestien bewegten sich rasant, aber gleichmäßig, so, wie sie es auch taten, wenn sie eine Herde verfolgten, aber Durotan konnte Scharfzahns Anspannung spüren. Dies war eine gänzlich andere Art von Jagd, das wussten Orc und Wolf gleichermaßen.

Gurlak entdeckte als Erster die Rauchfahne, die sich vor ihnen zum Himmel kräuselte. Sie war so dünn, dass Durotan genau hinsehen musste, um sie zu erkennen. Der Magen drehte sich ihm um, als kurz darauf der Wind drehte und ihnen der Geruch von garendem Fleisch in die Nasen stieg. Hätte er nicht gewusst, um was für Fleisch es sich dabei handelte, hätte er den Geruch womöglich sogar appetitanregend gefunden.

Wie sein Vater vor ihm hielt Durotan sich zugute, dass er nicht nur ein Kämpfer, sondern auch ein Orc der Logik war. Es kam nur höchst selten vor, dass sich der rote Nebel der Mordlust vor seine Augen senkte, doch jetzt übermannte ihn der Blutrausch. Er erkannte erst, dass er einen Kriegsschrei angestimmt hatte, als seine Kehle rau wurde; bis dahin hatte er die Stimme in seinen Ohren nicht als die seine erkannt. Die anderen fielen in sein Gebrüll mit ein, und auch die Wölfe spürten ihre Kampfeslust; sie senkten die Köpfe und stürmten weiter, so schnell ihre Beine sie trugen.

Die Jagdgruppe bestand aus fünf Orcs, wohingegen die Fußspuren auf zwölf Rotläufer schließen ließen, aber die Frostwölfe dachten nicht daran, langsamer zu werden. Sie preschten zwischen den Bäumen hervor auf eine Lichtung, das Lager vor ihnen kaum mehr, als ein paar dunkle Flecken im Schnee. Der Nebel der Mordlust lichtete sich gerade lange genug, damit Durotan den Aufbau des Lagers zur Kenntnis nehmen konnte: eine zentrale Feuergrube, darüber mehrere Speere, auf denen halb gebratenes Fleisch aufgespießt war; ein Haufen noch immer blutiger Wolfsfelle; ein ausgebeulter Sack, aus dem rote und rötlich schwarze Flüssigkeit sickerte; und – zusammengeschnürt wie Feuerholz, aber noch am Leben – die vermissten Frostwölfe.

Die Rotläufer, die Garad getötet hatten, waren grässlich anzuschauen gewesen. Sie hatten ihre Hände in Tierblut getaucht und damit ihre Körper und Gesichter beschmiert. Doch die Kreaturen, die nun zu den Eindringlingen herumwirbelten, sahen selbst aus wie Tiere. Nein, nicht wie Tiere, korrigierte sich Durotan. Tiere waren natürliche Wesen. Was da vor ihm stand, waren Ausgeburten eines Albtraums.

Ihre Leiber wurden nicht nur von ein paar Handabdrücken getrockneten Blutes gezeichnet, vielmehr trugen sie das Blut als Kleidung. Schicht um Schicht war auf ihrer Brust, ihren Armen, ihren Beinen verkrustet. Es ließ sich längst nicht mehr sagen, welche Farbe dieses Blut gehabt hatte, als es vergossen worden war, oder wie lange es schon an ihren Körpern klebte. Eine Wolke von Frühlingsfliegen stob von ihren Leibern auf, als die Kreaturen, die einst Orcs gewesen waren, mit wahnsinniger Wildheit auf die berittenen Frostwölfe zustürmten.

Eine von ihnen, eine Frau mit langem, mattem Haar und blitzenden Augen, hielt mit einem Speer auf Durotan zu. Die Klinge der Waffe war noch immer in rotes Wolfsblut getaucht. Durotan sprang von Scharfzahns Rücken; der Wolf kannte dieses Manöver, und während sein Reiter der Angreiferin entgegentrat, sprang er nach links und stürzte sich auf einen anderen Rotläufer, der gerade mit einem Streitkolben nach Melakk schlagen wollte. Die Kiefer des Tieres klafften weit, seine Zähne ebenso weiß wie sein Fell, und dann schlossen sie sich um den Hals des Orcs. Der Kannibale ging in einem Wirbel von Schnee, Asche, Glut und einer Fontäne seines eigenen, schwarzroten Blutes zu Boden.

Draka blieb auf ihrem Wolf, während dieser in einem engen Kreis umherrannte. Sie legte einen Pfeil nach dem anderen an die Sehne ihres Bogens, so schnell, dass ihre Hände in der Bewegung verschwammen. Da riss einer der Rotläufer einen brennenden Ast aus dem Feuer und stürmte damit auf sie zu. Durotan konnte das verbrannte Fell riechen, und er hörte Eis’ schmerzerfülltes Heulen, aber schon im nächsten Moment brach der Angreifer mit zwei Pfeilen in der Kehle zusammen.

Durotan war froh, dass er Spalter mitgenommen hatte und nicht Donnerschlag. Er hätte nicht von Scharfzahns Rücken aus gegen diese Kreaturen kämpfen wollen. Nein, er wollte ihre zähnefletschenden Fratzen direkt vor sich haben, das verkrustete, verrottete Blut an ihnen riechen und sehen, wie das Leben aus ihren Augen wich, wenn er ihnen die Brust aufriss oder ihnen die Schädel von den Schultern schlug. Er hatte noch nie wirklich gehasst, aber diese Orcs hatten nichts anderes verdient.