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„Sie sieht nicht aus, als würde ihr irgendetwas von alldem gefallen“, erwiderte Durotan, wobei er sich wieder der zerbrechlichen, aber alles andere als schwachen Sklavin und dem arroganten Fremden auf dem Stuhl seines Vaters zuwandte. „Aber es ist Gul’dan, der sich beschämt, nicht wir.“

Was er unausgesprochen ließ, war, dass ihn die Sklavin an eine andere Frau erinnerte, die aus der Sicherheit des Frostwolfklans verbannt worden war. Draka, so hatte sie geheißen, hatte eine ganz ähnliche Haltung an den Tag gelegt, selbst, als sie sich mit dem Exil konfrontiert sah, das einem Todesurteil nahekam.

Wie sein Vater ihm eingebläut hatte, töteten oder folterten die Frostwölfe nicht ohne Grund. Aus diesem Grund hatten sie nichts als Verachtung für jene übrig, die Sklaven hielten oder für Lösegeld Gefangene nahmen. Doch ebenso wenig respektierten sie Schwäche, und wer schwach geboren wurde, schwächte ihrer Meinung nach den gesamten Klan.

Man ließ sie bis zur Schwelle des Erwachsenenalters heranreifen, denn es war bekannt, dass eine scheinbare Schwäche manchmal im Lauf der Jahre überwunden wurde. Doch sobald sie herangewachsen waren, wurden die Schwachen und die Zerbrechlichen fortgeschickt, um auf sich selbst gestellt zu überleben. Gelang es ihnen, durften sie einmal im Jahr zurückkehren und ihre Fähigkeiten demonstrieren: bei der Sommersonnenwende, wenn Nahrung besonders reichlich und die Gemüter besonders optimistisch waren. Die meisten Exilierten kehrten jedoch nie zum Frostfeuergrat zurück, und während der letzten Jahre waren es noch weniger geworden. Das Land veränderte sich, und das Überleben wurde immer schwieriger.

Draka war so alt gewesen wie Durotan, und er hatte einen Anflug von Bedauern verspürt, als sie ihr Exil antreten musste. Doch er war damit nicht allein gewesen. Einige andere hatten bewundernd gemurmelt, als der versammelte Klan ihrem Aufbruch beigewohnt hatte. Draka hatte gerade genug Essen für eine Woche mitgenommen, außerdem Werkzeuge für die Jagd und für die Herstellung ihrer eigenen Kleidung und eines Unterschlupfs. Sie musste gewusst haben, dass ihr der Tod so gut wie sicher war; dennoch war ihr Rücken gerade gewesen. Nur ihre dünnen Arme hatten unter dem Gewicht der „Geschenke“ ihres Klans gezittert, die über Leben und Tod bestimmen mochten.

„Es ist wichtig, dem Tod würdig zu begegnen“ hatte einer der Erwachsenen gesagt.

„Zumindest, was das angeht, ist sie ein Frostwolf“, hatte ein anderer erwidert.

Draka hatte nicht zurückgeblickt. Sie war auf ihren dürren Beinen davonmarschiert, während das blauweiße Frostwolfbanner, das sie um ihre Hüfte gebunden hatte, im Wind flatterte. Das war das letzte Mal gewesen, dass Durotan sie gesehen hatte.

Seine Gedanken wanderten oft zu Draka, und er fragte sich, was ihr wohl widerfahren war. Er hoffte, dass die anderen Orcs recht hatten und sie sich dem Tod würdig gestellt hatte.

Der Sklavin vor ihm würde eine solche Ehre jedoch ewiglich verwehrt bleiben. Durotan wandte den Blick von der furchtlosen, grünhäutigen Frau, die „Verflucht“ genannt wurde, ab und sah ihren Meister an.

„Das gefällt mir nicht“, sagte eine tiefe, grollende Stimme neben seinem Ohr. Sie gehört Drek’Thar, dessen Haar sich inzwischen fast völlig weiß gefärbt hatte, dessen Körper aber noch immer muskulös und im Gegensatz zu dem gebeugten Neuankömmling hochaufgerichtet war. „Schatten umgeben diesen Orc. Der Tod folgt ihm.“

Durotan betrachtete die Schädel, die von Gul’dans Stab baumelten und auf seinem dornenbesetzten Umhang aufgespießt waren. Jeder der Umstehenden hätte eine solche Bemerkung machen können, aber sie hätten dabei die Knochen gemustert, die der Fremde zur Schau trug. Wenn der blinde Schamane ebenfalls Tod sah, dann nicht auf dieselbe Weise wie die anderen.

Durotan versuchte, angesichts von Drek’Thars Worten nicht zu schaudern. „Die Schatten liegen im Winter lang auf den Hügeln, und ich selbst habe heute Tod gebracht. Das müssen keine üblen Omen sein, Drek’Thar. Man könnte ebenso gut sagen, das Leben folgt ihm. Immerhin ist er grün.“

„Grün ist die Farbe des Frühlings, ja“, nickte der Schamane. „Aber was ich bei ihm spüre, ist keine Erneuerung.“

„Hören wir uns erst einmal an, was er zu sagen hat. Danach können wir entscheiden, ob er als Bote des Todes, des Lebens oder als nichts dergleichen gekommen ist.“

Drek’Thar lachte. „Deine Augen sind zu sehr vom Banner des Parley geblendet, um wirklich zu sehen, Junge. Aber dein Blick wird sich klären. Hoffen wir, dass der Blick deines Vaters jetzt schon klar ist.“

Als hätte er seinen Namen gehört, trat Garad in den Kreis des Feuerscheins. Sofort verstummte das Gemurmel. Der Fremde, Gul’dan, schien die Aufregung zu genießen, die er entfacht hatte. Seine dicken Lippen verzogen sich hinter den Hauern zu einem Lächeln, das beinahe spöttisch wirkte, und er machte keinerlei Anstalten, sich von seinem Platz zu erheben. Ein weiterer Stuhl war für den Häuptling herbeigetragen worden; hölzern, schlicht, zweckmäßig. Garad setzte sich und stemmte die Hände auf die Schenkel. Hinter ihm stand Geyah, nunmehr in ihrer formellsten Kleidung aus gegerbtem, aufwendig mit Perlen und Knochen verziertem Talbuk-Leder.

„Das alte Banner des Parley ist zu den Frostwölfen gekommen, getragen von Gul’dan, Sohn von …“ Garad hielt inne. Ein verwirrter Ausdruck huschte über sein markantes Gesicht, und er warf Gul’dan einen fragenden Blick zu.

„Der Name meines Vaters ist nicht wichtig, ebenso wenig der Name meines Klans.“ Durotan stellten sich die Haare an den Armen auf, als er die Stimme des Fremden hörte. Sie war kratzend und unangenehm, und der arrogante Tonfall machte ihn nervös. Doch was in den Ohren jedes Orcs noch schlimmer klingen musste als Gul’dans Stimme waren die Worte, die er sprach. Die Namen der Eltern und des Klans waren von größter Bedeutung für ihr Volk, und die Frostwölfe reagierten schockiert, als die Frage so rasch und gleichgültig abgetan wurde. „Wichtig ist nur, was ich zu sagen habe.“

„Gul’dan, Sohn keines Orcs von keinem Klan“, begann Geyah, ihr Ton so liebreizend, dass nur jene, die sie gut kannten, den kaum beherrschten Zorn darin erkannten. „Du überspringst das Ritual und entehrst dadurch eben das Banner, unter welchem du ein Gespräch gefordert hast. Das könnte meinem Häuptling den Eindruck vermitteln, dass du nicht länger den Schutz des Parley wünschst.“

Durotan lächelte und versuchte gar nicht erst, es zu verbergen. Wie jeder im Klan wusste, war seine Mutter ebenso gefährlich wie sein Vater. Der grüne Orc schien nun zu erkennen, dass er vielleicht einen Fehler gemacht hatte.

Gul’dan neigte den Kopf. „Du hast recht. Und nein, ich möchte nicht auf die Vorzüge des Banners verzichten. Fahr fort, Garad.“

Garad sagte die förmlichen Worte des Rituals auf. Sie waren lang und kompliziert, und einige von ihnen so archaisch, dass Durotan nicht einmal wusste, was sie bedeuteten. Allmählich wurde er unruhig, und Orgrim neben ihm sah sogar noch ungeduldiger aus. Der Grundtenor war, dass jeder, der sich auf das Parley berief, Schutz genoss und angehört werden musste. Dann war es endlich vorbei, und Garad wandte sich erwartungsvoll an Gul’dan.

Der andere Orc stand auf und stützte sich auf seinen Stab. Die winzigen Schädel auf seinem Rücken schienen mit ihren offenen Mündern lautlos zu protestieren. „Die Sitten und alten Gebräuche, die dich zur Zurückhaltung verpflichten, fordern, dass ich dir drei Dinge verrate: Wer ich bin. Was ich anbiete. Und was ich verlange.“ Beinahe abschätzig musterten seine grünglühenden Augen die versammelten Frostwölfe. „Ich bin Gul’dan, und auch wenn ich, wie bereits gesagt, keinen Klan als meine Herkunft nennen kann, gehöre ich doch zu … einer Art Klan.“ Er lachte leise, aber das Geräusch verstärkte seine beunruhigende Erscheinung eher noch. „Aber dazu will ich später mehr sagen. Zunächst einmal … was ich anbiete. Es ist ganz einfach, aber eines der wertvollsten Dinge auf der Welt.“ Er hob die Arme gen Himmel, und die Schädel klackten hohl gegeneinander. „Ich biete euch Leben.