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„Drek’Thar!“, rief Durotan, aber der Schamane reagierte nicht. Er stand nur wie angewurzelt da, sein blindes Gesicht den Feinden zugewandt. Der Häuptling erwartete schon, dass der Frostwolf, den er mehr achtete als jeden anderen, vor seinen schreckgeweiteten Augen abgeschlachtet würde, doch da hob der Schamane seinen Stab und ließ ihn, begleitet von Worten, die Durotan nicht verstehen konnte, auf den Boden hinabsausen.

Mit einem Ächzen, das klang, als würde es einer lebenden Kehle entstammen, tat sich ein gezackter Riss im Schnee auf. Er wurde breiter und breiter, öffnete sich wie ein hungriges Maul, und die drei Rotläufer stürzten geradewegs hinein. Ihre Schreie hallten noch lange durch die Luft, bevor sie verstummten.

Durotan wechselte einen Blick mit Zarka und Kulzak, dann stürmten die drei in wortlosem Einklang auf die beiden verbliebenen Feinde zu und trieben sie brüllend und um sich schlagend zurück, bis auch sie in den klaffenden Riss fielen.

„Durotan!“ Es war Geyahs Stimme, und sie hallte vom Eingang zum Sitz der Geister herüber. „Hier sind noch mehr! Kommt schnell!

Durotan warf Drek’Thar einen gequälten Blick zu. „Drek’Thar, der Spalt ist eine Armlänge vor dir. Ich weiß nicht, wie ich hinübergelangen soll!“

„Töte unsere Feinde! Mir wird hier nichts zustoßen!“, rief der alte Orc. Durotan zweifelte nicht an seinen Worten – nicht, nachdem er gesehen hatte, wie auf das Bitten des Schamanen hin die Erde selbst aufgebrochen war.

„Wir kommen zurück und holen dich!“, versprach er, dann rannte er hinter Kulzak und Zarka in die Höhle.

Der Anblick war geradezu schmerzhaft schön und sogar noch beeindruckender, als es das blaue Leuchten von vorhin versprochen hatte, aber Durotan hatte keine Zeit, diese Pracht zu bestaunen. Seine Konzentration galt allein der Hässlichkeit, der Obszönität, die die Gegenwart der Rotläufer an diesem heiligen Ort darstellte. Eine aus gerechtem Zorn geborene Mordlust erfüllte ihn und lenkte seine Hände, als er sich auf die Feinde stürzte.

Er spürte, wie Blut auf sein Gesicht spritzte, schmeckte es in seinem Mund. Sein Arm schien mit jedem Schwung, jeder Parade, jedem Hieb nur noch stärker zu werden … mit jedem Mal, das Spalter seinem Namen alle Ehre machte. Er hörte die Geräusche des Kampfes ringsum, die triumphierenden Rufe, das Todesröcheln, das Knacken brechender Knochen und berstender Schädel, das Sprudeln von Blut und das Schmatzen von Eingeweiden.

Dann war es plötzlich vorbei. Durotan wirbelte um die eigene Achse und suchte nach einem neuen Feind, aber sämtliche Rotläufer lagen auf dem eisigen Boden, wo sich ihre Glieder versteiften. Keuchend senkte er die Arme, und erst jetzt merkte er, dass sie vor Erschöpfung zitterten. Eine tiefe Stille hatte sich über die Höhle gesenkt.

Er sah zu seinen Kameraden hinüber. Geyah wirkte völlig kraftlos, aber als ihre Blicke sich trafen, lächelte sie; Kulzak stand nicht weit von ihr entfernt und machte sich ebenfalls ein Bild von der Lage. Durotan wollte gerade herumwirbeln, um zu Drek’Thar zu eilen, aber da führte Zarka den alten Schamanen auch schon herein.

„Wie …“, begann Durotan.

„Die Kluft schloss sich, als ich sie nicht länger brauchte“, sagte Drek’Thar nur, als wäre das nicht weiter ungewöhnlich. Andererseits – dies war der Sitz der Geister.

Die Wunder dieses Ortes brandeten erneut über Durotan herein. Er dachte an die Geschichte des Häuptlings, der vor langer Zeit hierhergekommen war. Der Schwerpunkt bei den Erzählungen lag auf den Taten dieses Helden, darauf, dass er mit seiner Willensstärke selbst die Geister überzeugen konnte. Falls er wirklich drei Tage und drei Nächte hier ausgeharrt hatte, so überlegte Durotan nun, war ihm sicher nicht langweilig geworden. Die Schönheit dieses Ortes reichte aus, um die Sinne bis in alle Ewigkeit zu nähren.

Die Höhle, in der sie sich aufhielten, war erst der Anfang. Ein weiterer Durchgang an der Rückwand des Eisgewölbes verriet ihnen, wohin sie gehen mussten, und Durotan fühlte sich wie von unsichtbarer Hand gezogen, als er diesen sanft glühenden Weg beschritt. Er konnte jetzt sehen, dass das Leuchten nicht, wie er anfangs angenommen hatte, von Steinen im Boden stammte, sondern von den Flechten, die an den Wänden wuchsen und dank der vielen reflektierenden Eisflächen die gesamte Höhle erhellten.

Doch dann wurde Durotans Staunen von einem stechenden Schmerz verdrängt. Die Rotläufer – und auch die Frostwölfe – hatten eine beispiellose Respektlosigkeit gezeigt, indem sie hier Blut vergossen.

„Wie konnte es nur dazu kommen?“, fragte Geyah, deren Schmerz noch größer zu sein schien als der ihres Sohnes.

„Es sieht aus, als hätten sie schon eine ganze Weile hier gelebt“, stellte Kulzak fest, während er mit der Stiefelspitze eine Leiche anstieß.

„Sie kamen, als die Geister am verwundbarsten waren“, brummte Durotan. Während er sprach, ballte sich Zorn in seiner Brust zusammen. Es fühlte sich an, als würde da wirklich etwas hinter seinen Rippen kauern, hart und schwelend. „Die Geister konnten sich nicht verteidigen. Drek’Thar, glaubst du, dass sie deswegen um Hilfe gerufen haben?“

Konnte es wirklich so einfach – und gleichzeitig doch so brutal – sein? Hatten die Frostwölfe vielleicht nur den Makel der Rotläufer von diesem heiligen Ort tilgen müssen?

„Ich weiß es nicht“, erwiderte Drek’Thar mit gefurchter Stirn. „Sie rufen weiterhin nach uns.“ Er legte den Kopf zur Seite. „Nach mir … und nach Geyah.“

Durotan begriff. Er konnte nicht behaupten, dass er nicht enttäuscht war, aber er akzeptierte, dass die Geister mit den Schamanen und nicht mit dem Häuptling des Klans sprechen wollten. Vielleicht schmähten sie ihn auch, weil er ihren Sitz durch Blutvergießen beschmutzt hatte.

„Geht. Wir werden hierbleiben und versuchen, dieses äußere Heiligtum zu säubern.“

Geyah schob ihre Hand unter Drek’Thars Armbeuge und führte ihn davon, ganz langsam, damit keiner von ihnen auf dem glatten Eisboden ausrutschte. Durotan sah ihnen mit neidvollem Blick nach. Doch auf ihn wartete eine andere Aufgabe, eine, die hoffentlich ebenfalls das Wohlwollen der Geister erregen würde. Gemeinsam mit Zarka und Kulzak drehte er sich zu den Überresten des Kampfes um.

Seine Lippen verzogen sich vor Abscheu, als er die blutbedeckten Leichen der Rotläufer betrachtete.

„Früher haben wir unsere Brüder und Schwestern, die ehrenvoll in der Schlacht fielen, verbrannt, und als das nicht länger möglich war, haben wir Steine gesammelt, um ihre Körper zu bedecken. So zeigen wir unseren Respekt. Aber diese … Kreaturen haben keine solche Behandlung verdient. Wir werden sie an die Bewohner des Meeres verfüttern“, sagte er. Tatsächlich konnte er sich kein schlimmeres Schicksal für einen Orc vorstellen, als aufgedunsen im Wasser zu verwesen, während kleine Fische einem das Fleisch von den Gliedern pickten.

„Ha! Wie passend“, meinte Kulzak mit einem zustimmenden Nicken. „Aber was ist mit Delgar?“

Durotans Stimmung trübte sich. „Er fiel draußen, sein Blut bedeckt den Schnee, und im Schnee wollen wir ihn begraben. Aber erst müssen wir diese widerlichen Kreaturen aus dem Sitz der Geister schaffen.“

„Ja, jetzt gleich“, stimmte Kulzak zu. Er beugte sich, packte die Beine eines Rotläufers und wollte ihn schon nach draußen zerren, aber Durotan hielt ihn zurück.

„Nein“, sagte er. Er wünschte, es gäbe eine andere Möglichkeit, aber sie hatten keine Wahl. „Wir müssen sie tragen. Ihr Blut darf diesen Ort nicht noch weiter beflecken.“

Die beiden anderen Krieger blickten ebenso unglücklich drein, wie er sich fühlte, aber sie erhoben keine Einwände. Mit einer Grimasse lud sich Durotan die erste Leiche auf seine Arme. Das tote Fleisch war nur wenige Fingerbreit von seiner Nase entfernt, und er spürte, wie das Blut seine Lederrüstung verschmierte. Es war widerlich, diese Wesen waren widerlich, und seine einzige Genugtuung war, dass eine gänzlich unehrenhafte letzte Ruhestätte auf sie wartete. Er konnte nur hoffen, dass die Geister ebenfalls damit einverstanden waren.