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»Nein, nein, ganz im Gegenteil. Und wenn Sie schon verlangen, daß ich aufrichtig sprechen soll, so will ich Ihnen sagen, daß uns Frauen diese Schüchternheit gut gefällt. Und wenn Sie noch mehr wissen wollen: sie gefällt auch mir, und ich will Sie nicht von mir jagen, bis ich vor meinem Hause angelangt bin.«

»Sie werden damit erreichen,« begann ich, vor Entzücken kaum atmend, »daß ich meine Schüchternheit aufgebe und somit auch meine einzige Waffe aus der Hand lege...«

»Waffe? Was für eine Waffe und zu welchem Zweck? Das gefällt mir schon gar nicht.«

»Verzeihen Sie! Ich tu’s nicht wieder, es kam mir so ganz unwillkürlich von den Lippen. Wie können Sie auch erwarten, daß ich in einem solchen Augenblick gar keinen Wunsch habe...«

»Den Wunsch, mir zu gefallen, nicht wahr?«

»Ja, ja... Seien Sie doch um Himmels willen gut zu mir! Vergessen Sie nicht, mit wem Sie es zu tun haben: ich bin ja schon sechsundzwanzig Jahre alt und habe noch gar keine Bekanntschaften. Wie kann ich da vernünftig, gewandt und klug sprechen? Es ist auch für Sie vorteilhafter, wenn ich ganz offen spreche... Ich kann nicht schweigen, wenn mein Herz aus mir spricht. Nun, es ist ja gleich... Glauben Sie mir: ich hatte noch niemals eine Frau in meiner Nähe, niemals, niemals... Keine einzige Bekanntschaft! Und ich sehnte mich tagtäglich nur danach, endlich einmal jemandem zu begegnen. O, wenn Sie wüßten, wie oft ich schon auf diese Weise verliebt gewesen bin!...«

»Wieso?... Und in wen?«

»In niemand bestimmten, in ein Ideal, in die, die ich gerade im Traum sah. In meinen Gedanken spinne ich ganze Romane aus... O, Sie kennen mich noch nicht! Natürlich habe ich ja auch zwei oder drei Frauen gekannt: wie wäre es auch anders möglich! Doch was waren das für Frauen? Lauter sogenannte gute Hausfrauen... Sie werden sicher lachen: ich will Ihnen gestehen, daß mir schon einigemal der Gedanke kam, irgendeine aristokratische Dame auf der Straße, natürlich wenn sie allein ist, anzusprechen, selbstverständlich ganz nüchtern, ehrerbietig und leidenschaftlich; ihr zu sagen, daß ich in meiner Einsamkeit zugrunde gehe, daß sie mich nicht von sich jagen solle, daß ich kein anderes Mittel wüßte, ein weibliches Wesen kennenzulernen; sie davon zu überzeugen, daß es auch ihre Pflicht als Frau sei, dem schüchternen Flehen eines so unglücklichen Menschen wie ich Gehör zu leihen, und daß ich von ihr nichts mehr verlange, als daß sie mir zwei oder drei schwesterlich mitfühlende Worte sage, mich nicht gleich beim ersten Schritt abweise, mir unbedingten Glauben schenke, mich anhöre, – wenn sie will, kann sie ja über mich auch ein wenig lachen, – daß sie mich ermutige und mir zwei Worte, nur zwei Worte sage; dann – können wir ja auch für immer aus einandergehen!... Doch Sie lachen... Ich spreche ja, übrigens, auch nur dazu...«

»Seien Sie mir nicht böse! Ich lache nur darüber, daß Sie sich selbst unbedingt schaden wollen; denn hätten Sie den Versuch, von dem Sie eben sprachen, gemacht, so wäre er Ihnen sicher gelungen, selbst wenn Sie ihn wirklich auf der Straße unternommen hätten; je einfacher, desto besser... Keine einzige Frau, – wenn sie nur nicht schlecht oder dumm ist, oder sich im Augenblick über etwas ärgert, – brächte es übers Herz, Sie ohne die zwei oder drei Worte, um die Sie so demütig flehen, gehen zu lassen... Was spreche ich übrigens? Natürlich würde Sie eine jede für verrückt halten. Ich sprach ja eben nur von mir selbst. Denn ich weiß, was das Leben bedeutet.«

»Haben Sie Dank!« rief ich aus: »Sie wissen selbst nicht, was Sie für mich getan haben!«

»Gut, gut. Doch sagen Sie mir, wieso Sie es erkannt haben, daß ich eine Frau bin, mit der Sie... nun, die Sie Ihrer Aufmerksamkeit und Freundschaft für würdig halten?... Kurz – daß ich keine Hausfrau bin, wie Sie es nennen. Warum entschlossen Sie sich, mich anzusprechen?«

»Warum? Warum? Sie waren ja allein, jener Herr erlaubte sich zuviel, und dann ist es Nacht: Sie werden doch zugeben, daß es meine Pflicht war...«

»Nein, nicht das meine ich: noch früher, auf der andern Straßenseite wollten Sie mich doch auch schon ansprechen, nicht wahr?«

»Auf der andern Straßenseite? Ich weiß wirklich nicht, was ich Ihnen darauf sagen soll; ich habe solche Angst... Wissen Sie: ich fühlte mich heute so glücklich, ich bin draußen vor der Stadt gewesen und habe im Gehen gesungen; ich habe noch nie so glückliche Augenblicke erlebt! Und Sie... vielleicht schien es mir nur so... Verzeihen Sie, wenn ich Sie daran erinnere: es schien mir, daß Sie weinten, und ich... ich konnte es nicht anhören... das Herz tat mir weh... Mein Gott! Durfte ich Sie denn nicht bedauern? War es denn Sünde, mit Ihnen brüderliches Mitleid zu fühlen?... Entschuldigen Sie: ich sagte eben Mitleid... Nun, mit einem Worte, wäre es denn für Sie beleidigend, wenn es mir einfiele, Sie anzusprechen?«

»Lassen Sie es... Genug... Sprechen Sie nicht weiter ...,« sagte das Mädchen verlegen und preßte meinen Arm fester zusammen. »Ich bin selbst schuld, denn ich habe das Gespräch darauf gebracht. Doch es freut mich, daß ich mich in Ihnen nicht getäuscht habe... Ich bin übrigens gleich zu Hause: ich muß in diese Seitengasse, es sind nur noch einige Schritte... Leben Sie wohl, ich danke Ihnen...«

»Werden wir uns denn niemals, niemals wiedersehen?... Wird denn alles mit diesem einen Gespräch enden?«

»Nun sehen Sie selbst!« sagte das Mädchen lachend: »Anfangs wollten Sie nur zwei Worte, und jetzt... Ich will Ihnen übrigens keine Vorwürfe machen ...Vielleicht sehen wir uns auch noch einmal wieder...«

»Ich komme morgen wieder her,« sagte ich. »Verzeihen Sie: jetzt verlange ich es von Ihnen...«

»Sie sind wirklich ungeduldig: nun kommen Sie gar mit Forderungen...«

»Hören Sie, hören Sie!« unterbrach ich sie, »verzeihen Sie, wenn ich Ihnen wieder irgend so etwas sage... Doch es ist mir unmöglich, morgen nicht herzukommen. Ich bin ein Träumer: ich habe so wenig vom wirklichen Leben, und Augenblicke, wie die eben erlebten, sind für mich etwas so Seltenes, daß ich sie in meinen Träumen und Gedanken immer von neuem durchkosten muß. Ich werde diese ganze Nacht an Sie denken, eine ganze Woche, ein ganzes Jahr. Ich komme morgen unbedingt wieder her, und gerade auf diese selbe Stelle und zu dieser selben Stunde, und ich werde glücklich sein, wenn ich in meiner Erinnerung alles noch einmal erleben werde. Diese Stelle habe ich bereits liebgewonnen. Ich habe bereits zwei oder drei ähnliche Stellen in Petersburg. Einmal, als mich eine Erinnerung ergriff, mußte ich sogar weinen, wie Sie vorhin... Wer weiß, vielleicht weinten Sie vor zehn Minuten, weil auch Sie sich an etwas erinnerten... Doch verzeihen Sie: ich habe mich vergessen; es ist ja auch möglich, daß Sie an dieser Stelle einmal besonders glücklich waren...«

»Es ist gut,« sagte das Mädchen: »auch ich werde vielleicht morgen abends, gegen zehn Uhr herkommen. Ich sehe schon, daß ich es Ihnen gar nicht versagen kann... Ich muß nämlich morgen hier sein! Denken Sie nur nicht, daß ich Ihnen ein Stelldichein gebe: ich sage Ihnen darum in vorhinein, daß ich meiner selbst wegen herkommen muß. Doch... ich will es Ihnen lieber ganz offen sagen: ich habe nichts dagegen, wenn auch Sie herkommen; erstens könnte mir wieder irgendeine Unannehmlichkeit wie heute zustoßen, doch das ist gleichgültig... Kurz und gut: ich will Sie einfach wiedersehen, um Ihnen einige Worte zu sagen. Sie mißverstehen mich doch nicht? Glauben Sie nur nicht, daß ich so leicht jemandem ein Stelldichein gewähre... Ich täte es auch jetzt nicht, wenn... Das soll aber mein Geheimnis bleiben! Doch zuvor eine Bedingung...«

»Eine Bedingung! Sprechen Sie doch, sagen Sie mir alles: ich bin mit allem einverstanden, zu allem bereit!« rief ich entzückt aus. »Ich stehe für mich ein: ich will bescheiden und ehrerbietig sein... Sie kennen mich ja...«