Выбрать главу

Sam sagte kühclass="underline" «Wenn du so guckst, Lulu, siehst du wie eine Ratte aus der letzten Gosse aus. Monomann ist der Zustand, den die Welt erlangt, nachdem alle degenerierten Sonderlinge ausgemerzt sind.» Seine Stimme bekam etwas Bedrohliches.

Als sie später in die Pubertät kommt, führt Louie Tagebuch, notiert aber keine wissenschaftlichen Beobachtungen (wie Sam es vorgeschlagen hat), sondern verdeckte, kunstvoll verschlüsselte Anschuldigungen an ihren Vater. Als sie sich in eine ihrer Lehrerinnen, Miss Aiden, verliebt, macht sie sich daran, den sogenannten Aiden-Zyklus zu verfassen, eine Reihe von Gedichten an Miss Aiden in «jeder denkbaren Form und jedem denkbaren Metrum» der englischen Sprache. Als Geschenk für ihren Vater zu dessen vierzigstem Geburtstag schreibt sie eine einaktige Tragödie, Herpes Rom, in der eine junge Frau von ihrem Vater, der teilweise eine Schlange zu sein scheint, gewürgt wird; da Louie noch keine Fremdsprache spricht, verwendet sie eine Sprache, die sie sich selbst ausgedacht hat.

Während der Roman auf der Handlungsebene diversen Katastrophen zustrebt (Henny wird ihren langen Krieg schließlich verlieren), besteht seine innere Geschichte aus Sams Bemühungen, Louie festzuhalten und ihre Privatsprache zu zerstören. Immer wieder schwört er, ihren Geist zu brechen, behauptet, direkten telepathischen Zugang zu ihren Gedanken zu haben, beharrt darauf, dass sie Naturwissenschaftlerin werden und ihn bei seiner altruistischen Mission unterstützen solle, und nennt sie «mein dummes, kleines Lululein». Vor den versammelten anderen Kindern zwingt er sie, ihr Tagebuch zu entschlüsseln, damit alle sie auslachen. Er rezitiert Gedichte aus dem Aiden-Zyklus, über die er ebenfalls lacht, und als Miss Aiden einmal zum Essen zu den Pollits kommt, macht er sie Louie streitig, indem er ununterbrochen auf die Lehrerin einredet. Nachdem Herpes Rom aufgeführt worden ist, urkomisch und unverständlich, und Louie ihrem Vater die englische Übersetzung vorgelegt hat, verkündet Sam sein Urteiclass="underline" «Etwas so Dämliches hab ich ja noch nie gesehen.»

In einem Werk von geringerem Rang läse sich all dies womöglich wie eine düstere, abstrakte feministische Parabel, doch Stead hat bereits den Großteil des Buches darauf verwendet, die Pollits einzigartig und realistisch und witzig sein zu lassen und sie zu Charakteren zu machen, die so gut wie alles sagen und tun können; insbesondere hat sie verdeutlicht, welches Problem die Liebe für Louie darstellt (wie sehr sie sich, trotz allem, nach der bedingungslosen Zuneigung ihres Vaters sehnt), und so wird die Abstraktion unweigerlich konkret, die einander bekriegenden Archetypen bekommen das Fleisch des Mitgefühls auf die Knochen: Wir können nicht umhin, uns durch Louisas blutigen Seelenkampf mitschleifen zu lassen, in dem es für sie darum geht, sie selbst zu werden, und wir können nicht umhin, ihren Triumph zu bejubeln. Wie der Erzähler nüchtern bemerkt: «Das war das Familienleben.» Und eben dazu, die Geschichte dieses inneren Lebens zu erzählen, sind Romane, und nur Romane, da.

Zumindest war das einmal so. Denn haben wir dieses ganze Zeug nicht hinter uns gelassen? Hochmütig-tyrannische Männer? Kinder als Accessoires des Narzissmus ihrer Eltern? Die Kernfamilie als rechtsfreie Zone seelischer Misshandlung? Wir sind doch den Krieg zwischen den Geschlechtern und zwischen den Generationen leid, weil diese Kriege so hässlich sind, und wer möchte schon in den Spiegel eines Romans blicken und solche Hässlichkeit sehen? Wie viel besser werden wir uns fühlen, wenn wir aufhören, unsere peinlichen privaten Familiensprachen zu sprechen! Die Abwesenheit literarischer Schwäne scheint ein kleiner Preis für eine Welt zu sein, in der hässliche Entlein zu großen hässlichen Enten heranwachsen, die wir dann übereinstimmend schön finden können.

Aber die Kultur ist ja nicht monolithisch. Obwohl Der Mann, der seine Kinder liebte wahrscheinlich für ein Massenpublikum zu schwierig ist (schwierig zu verdauen, schwierig zu mögen), ist er ganz sicher weniger schwierig als andere Romane, die auf den College-Lektürelisten stehen, und gehört zu jener Sorte Büchern, die man, wenn man sie mag, wirklich mag. Ich bin davon überzeugt, dass Zehntausende Menschen in diesem Land den Tag loben würden, an dem dieses Buch erschienen ist, wenn sie nur die Chance bekämen, es zu lesen. Ich wäre vielleicht selbst nie darauf gestoßen, wenn meine Frau es nicht 1983 in der öffentlichen Bücherei von Somerville, Massachusetts, entdeckt und als das wahrhaftigste Buch bezeichnet hätte, das sie je gelesen habe. Immer wenn ich ein paar Jahre lang nicht hineingeschaut habe und erwäge, es noch einmal zur Hand zu nehmen, fürchte ich, dass ich mich geirrt haben könnte, weil die Welt der Literatur, der Wissenschaft und der Buchclubs ihm so wenig Beachtung zuteilwerden lässt. (Beispielsweise gibt es gegenwärtig, da ich dies schreibe, 177 Amazon-Kundenrezensionen zu Virginia Woolfs Zum Leuchtturm, 312 zu Thomas Pynchons Die Enden der Parabel und 409 zu Joyces Ulysses; zu Der Mann, der seine Kinder liebte, einem wesentlich leichter zugänglichen Buch, haben sich nur 14 Kunden geäußert.) Ich schlage es mit einer gewissen Beklemmung auf, dann lese ich fünf Seiten, bin wieder mittendrin und merke, dass ich mich überhaupt nicht geirrt habe. Ich fühle mich, als wäre ich nach Hause gekommen.

Mein Verdacht ist, dass Der Mann, der seine Kinder liebte auch deshalb aus dem Kanon verbannt bleibt, weil Christina Stead den Ehrgeiz hatte, nicht «wie eine Frau», sondern «wie ein Mann» zu schreiben: Den Feministinnen sind ihre Vorbilder zu fragwürdig, und allen anderen ist sie nicht männlich genug. Der Vorläufer dieses Romans, House of All Nations, hat größere Ähnlichkeit mit einem Gaddis, ja sogar mit einem Pynchon, als jeder andere von einer Frau geschriebene Roman aus dem 20. Jahrhundert. Stead war nicht damit zufrieden, ihren separaten Frieden zu finden, indem sie in ihrem Zimmer blieb. Sie wollte mit anderen konkurrieren wie ein Sohn, nicht wie eine Tochter, und in ihrem besten Roman musste sie zu den Ursprungsszenen ihres Lebens zurückkehren und ihren eloquenten Vater in seinem eigenen Spiel besiegen. Und auch das ist eine Peinlichkeit, denn so zentral das Konkurrenzdenken im System der freien Marktwirtschaft, in dem wir leben, auch sein mag, es sich persönlich zu eigen zu machen und unverhüllt davon zu sprechen ist äußerst wenig schmeichelhaft (der sportliche Wettbewerb bildet nur die Ausnahme, die die Regel bestätigt).

In den Interviews, die Stead gegeben hat, sprach sie manchmal offen darüber, wie unmittelbar und gänzlich autobiographisch ihr Roman sei. Letzten Endes ist Sam Pollit ihr Vater, David Stead. Sams Ideen, seine Stimme und seine häuslichen Arrangements sind allesamt die von David, wurden von Australien nach Amerika verlegt. Und wo Sam sich in eine unschuldige Kind-Frau verliebt, nämlich Gillian, die Tochter eines Kollegen, verfiel der David des wirklichen Lebens einem hübschen Mädchen in Christinas Alter, Thistle Harris, mit der er eine kurze Affäre hatte, später zusammenlebte und die er schließlich, nach vielen Jahren, heiratete. Thistle war der schmeichelnde Spiegel und die schöne Gefolgsfrau, die Christina ihm nie sein konnte, und sei es nur, weil sie zwar nicht dick wie Louie, aber auch nicht im entferntesten hübsch war. (Rowleys Biographie enthält Bilder, die das bezeugen.)

Im Roman ist Louies Aussehen ein Schlag für ihren Narzissmus. Dass sie dick und reizlos ist, schützt sie wohl davor, sich wie ihr Vater selbst etwas vorzumachen, treibt sie zur Ehrlichkeit an und rettet sie. Doch der Schmerz, den sie erlebt, weil niemand sie gerne anschaut, am wenigsten ihr Vater, speist sich gewiss aus Christina Steads eigenem Schmerz. Ihr bester Roman erscheint letztlich als ein Geschenk der Tochter an ihren Vater, die diesem damit ihre Liebe und Solidarität beweist: Siehst du, ich bin wie du, ich habe eine Sprache gefunden, die deiner ebenbürtig, ja überlegen ist — worin freilich auch der glühende Hass der Rivalin zum Ausdruck kommt. Als Louie ihrem Vater sagt, sie habe noch nie jemandem erzählt, wie es bei ihnen zu Hause zugehe, erklärt sie das mit den Worten: «Keiner würde mir glauben!» Doch die erwachsene Christina Stead hat einen Weg gefunden, es so zu beschreiben, dass ihre Leser ihr durchaus glauben. Die mündige Schriftstellerin spiegelt all das, was ihr Vater und Sam Pollit am wenigsten gern gespiegelt sehen wollten; und als der Roman herauskam, schickte sie zwar ein Exemplar nach Australien, aber nicht an die Adresse von David Stead, sondern von Thistle Harris. Die Widmung lautete: «Für die liebe Thistle. Ein Strindberg’scher Robinson. In mancher Hinsicht ein persönlicher Brief an Thistle von Christina Stead.» Ob David selbst das Buch je gelesen hat, ist nicht bekannt.