Ji, der Hersteller der Papageitaucher, war in Subei aufgewachsen, nicht weit vom Naturreservat Yancheng. Seine Eltern hatten sich als Teenager kurz vor der Kulturrevolution in Nanjing kennengelernt. Wie so viele junge Städter ihrer Generation wurden sie aufs Land geschickt, damit sie von den Bauern den Wert der Arbeit lernten. In Subei bauten sie eine Hütte aus Lehm und Stroh, als Fenster dienten ausgesparte Schlitze. Ji wurde 1969 geboren und zwei Jahre lang von seinen Großeltern in Nanjing aufgezogen, aber seine Mutter vermisste ihn und holte ihn zurück nach Subei. Jedes Jahr im Frühling, wenn das Familienschwein geschlachtet und gegessen war, wurde der Hunger der Familie so groß, dass sie zu nichts anderem fähig war, als wochenlang im Bett zu liegen, sich von Reisschleim zu ernähren und auf die Weizenernte zu warten.
Mit vierzehn bewarb sich Ji um einen der dreihundert Plätze bei der örtlichen Oberschule und wurde auf einer Liste von fünfzehnhundert Bewerbern die Nummer 302. Aber dann wurden drei Schüler vor ihm disqualifiziert, und so rutschte er hinein. Ein Jahr danach rutschte er in eine bessere Oberschule in Nanjing, und zwei Jahre danach rutschte er in die Universität Chengdu. Dort geriet er in die Reformbewegung der Studenten, marschierte auf der Straße, protestierte gegen Korruption und hatte — wieder mal — Glück, weil er im Juni 1989, beim Massaker auf dem Tiananmen-Platz, nicht in Peking war. Wie viele andere begabte Studenten jener Zeit wandte er sich von der Politik ab und den Geschäften zu und landete schließlich in der Spielwarenabteilung einer Import-Export-Firma in der Provinz. 2001 liehen er und seine Frau sich Geld von Freunden, erhielten eine Bankbürgschaft von Hallmark Cards und gründeten ihren eigenen Betrieb. Heute besitzen sie vier Fabriken und beschäftigen zweitausend Menschen. Zu ihren Kunden gehören Hallmark, Gund und Russ Berrie — die oberste Marktliga — , und unlängst wurde Ji von seiner Gemeinde zum Modellbürger in der Kategorie Arbeitsintensive Industrie ernannt.
«Ich bin ein wahrer Glückspilz», sagte Ji. Er hatte sich bereit erklärt, mir seine Zentrale zu zeigen, vorausgesetzt, ich verwendete nicht seinen wahren Namen. («Warum soll ich für mich werben?», sagte er. «Wenn ich expandieren will, brauche ich nur zu erwähnen, dass wir Hallmark Cards beliefern.») Seine Büroräume lagen an einem hübschen, baumgesäumten Fluss mit Betonbett in einer Industrievorstadt in Ostchina. Ji schritt fröhlich federnd aus, als er mich durch die kleinen Produktionsanlagen führte, die er dort noch hat. Während der vergangenen vier Jahre ist ein Großteil seiner Produktion ins Landesinnere gezogen, in die Provinz Anhui, wo die Arbeiter, wie er sagte, erheblich niedrigere Löhne akzeptierten, um näher bei ihrer Familie zu sein. Natürlich profitiert Ji finanziell von niedrigen Löhnen und geringer Arbeiterfluktuation, aber er ist der Überzeugung, dass auch die Gesellschaft daraus Nutzen zieht — weil Ehen gestärkt und die Kinder besser versorgt würden, wenn die Eltern näher am Wohnort lebten, und dass es für China ein nachhaltigeres Wirtschaftsmodell sei, die Fabriken zu den Landarbeitern zu bringen statt die Landarbeiter zu den Fabriken.
Ji zeigte mir eine selbstentwickelte Robotermaschine, die Kunstfell mit Lasern schneidet. Bei einem kleineren Gegenstand wie dem Papageitaucher wird der Stoff per Hand geschnitten. In der Design-Abteilung zeigte man mir, wie die Stücke, mit der Innenseite nach außen, maschinell zusammengenäht werden, wie man die spitzen Plastikstiele der Tieraugen durch das Fell stößt und mit Unterlegscheiben befestigt und wie man das Tier dann dramatisch umstülpt — sodass aus langweiligem Stoff ein pelziger Freund wird. Durch eine Öffnung am Rücken wird Polyesterflaum in seinen Kopf gestopft, die Öffnung per Hand zugenäht, jede Naht beschnitten, das Fell gebürstet und ein Daphne’s-Etikett angesetzt. Für den gesamten Prozess benötigt eine Arbeiterin durchschnittlich zwanzig Minuten. Ji überreichte mir drei fertige Papageitaucher, einen davon zierte der Name meines Bruders.
«Ich könnte mir denken, dass in China ein Panda als Haube beliebt wäre», sagte ich beiläufig.
«In China?» Ji lachte kopfschüttelnd. «Die Chinesen wollen vielleicht einen Seeadler als Schlägerhaube. Oder das Gesicht von George Bush.»
Als Liberaler mit schlechtem Gewissen empfand ich eine gewisse Enttäuschung darüber, dass ich nicht auf größere Industriesünden bei der Produktion meines Papageitauchers gestoßen war. Seine amerikanische Anbieterin war eine Tiernärrin, sein chinesischer Hersteller ein Modellbürger. Nicht einmal der Verschmutzungsaspekt war offenkundig schrecklich. Eine Woche davor hatte ich in Nanjing zwei Fabriken besucht, die zu Nice Gain gehörten, einem Marktführer bei Fellimitaten (oder, wie es in der Branche heißt, «Polware»), und von bestimmten Vorteilen erfahren, die synthetische Fasern gegenüber natürlichen haben. Das Nice Gain’sche Fellimitat beginnt als großer, baumwollartiger Ballen Acrylfaser, aus Japan importiert, der zu einem flauschigen Faden kardiert und in computergesteuerte Jacquardwebstühle eingeführt wird, die ihn zu breiten, streichelweichen Fellbahnen verarbeiten. Das Rohmaterial der Acrylfaser ist in erster Linie Erdöl — also keine durstigen Baumwollfelder, keine Überweidung und eine bessere Verwendung von Öl als bei der Verbrennung in Gelände-Jeeps — , und der Färbeprozess ist bei Acryl viel sauberer als bei Wolle oder Baumwolle, die mit diversen Proteinen kontaminiert sind. «Wenn die Farbe, die da herauskommt, schmutzig ist, können wir das Produkt nicht exportieren; es bedeutet, mit der Farbe hat man es vergeigt», sagte der Direktor von Nice Gains, Tong Zheng. Da Zheng wie Ji Marktführer war und sich einen sauberen Betrieb leisten konnte, kaufte er seine Naturfasern vorgefärbt und stellte seinen Zulieferern gar keine Fragen zum Färbeprozess. («Eines weiß ich», sagte er. «Wenn man es nach Vorschrift macht, ist man der wettbewerbsuntauglichste Player auf dem Markt. Als guter Bürger ist man da bald nicht mehr im Geschäft.») Das Fell meines Papageitauchers bestand gänzlich aus Acryl, und wenn die Acrylfaserfabrik in Japan auch nur annähernd der in Cixi entsprach, die von den Teenagern geleitet wurde, gab es dort auch keine großen Umweltsünden zu entdecken. Der Papageitaucher war offenbar doch ein luxuriöseres Ding, als ich gedacht hatte.
Ich fragte Ji, wie er selbst zu Tieren stehe, wo er doch Hersteller von Spielzeug sei, das Tiere abbilde. Darauf erzählte er mir die Geschichte von einem der Schweine, die seine Familie gehabt hatte, als er ein Junge war. Dieses Schwein, sagte er, habe gelernt, sich durch den Schlamm und das Stroh seines Kobens hindurchzugraben und auszureißen. Schließlich sei sein Vater wütend geworden und habe dem Schwein das Maul mit drei, vier Eisenringen durchstochen, woraufhin es nie wieder ausgerissen sei. «Heute ist das ein Running Gag zwischen mir und meinen Kindern», sagte Ji. «Ihr solltet euch lieber keinen Ring durch die Nase oder den Bauchnabel stecken, weil mich das sonst an mein Schwein erinnert!»
Nasenringe geben Grund zur Sorge, weil seine Kinder in Nordamerika aufwachsen. Ji und seine Frau hätten sie schon immer in einer, wie er es nannte, «westlichen Umgebung» groß werden lassen wollen, und der letzte Anstoß sei vor zwei Jahren gekommen, kurz nachdem Ji zum Modellbürger wurde. Wegen Chinas Bevölkerungspolitik kann ein Modellbürger eines nicht, nämlich mehr als ein Kind haben. Ji hatte schon einen Jungen aus einer früheren Ehe und seine Frau eine Tochter ebenfalls aus einer früheren Ehe. Sie erwarteten nun ihr erstes gemeinsames Kind, was für Ji dann das zweite Kind gewesen wäre. Eines Abends, seine Frau war im sechsten Monat, beschlossen die beiden, dass sie nach Kanada gehen sollte, um das Kind dort zu bekommen. Ein Vierteljahr später kam es in Vancouver zur Welt, und Ji konnte weiterhin Modellbürger bleiben.