»Keine Sorge, den vergess ich schon nicht. Das Anliegen von Herkules scheint mir dringender zu sein.« Wuff! Ein Freund, ein echter Freund.
Auf der Hundewiese angekommen: keine Cherie. Nirgends. Mit hängender Zunge renne ich mal in die eine, mal in die andere Richtung. Aber so sehr ich auch spähe und schnüffle – nichts! Zwar jede Menge Golden Retriever, aber keiner dabei, der Cherie auch nur annähernd das Wasser reichen könnte. Noch eine große Runde, dann lege ich mich hechelnd neben Daniel, der meine Fahndung von einer Bank aus beobachtet hat.
»Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass du hier jemand Bestimmtes suchst. Ich würde dir gerne helfen, aber leider kannst du mir ja nicht sagen, um wen es eigentlich geht.«
Ach was. Da stellt einer das Offensichtliche fest. Aber wen werde ich schon suchen auf einer Hundewiese? Eine Katze? Außerdem ist Cherie in den Augen von Daniel wahrscheinlich einfach nur ein Hund. Selbst wenn ich also reden könnte, würde es vermutlich nicht viel helfen. Er mustert mich.
»Lass mich mal nachdenken.« Nur zu! » Wir sind hier, weil du einen Hund suchst? Also wohl eher eine Hündin.« Wow! Gar nicht so schlecht. Hilft mir aber nicht weiter. »Kumpel, hast du etwa auch Stress mit den Frauen?« Okay, Daniel trägt vollkommen zu Recht das Prädikat denkendes Wesen. Und jetzt ist es tatsächlich schade, dass ich nicht mit Menschen sprechen kann, denn ich glaube, Daniel wäre ein sehr viel einfühlsamerer Gesprächspartner als Herr Beck. Wie gerne würde ich ihm mein Herz ausschütten – stattdessen muss ich es bei einem möglichst traurigen Blick belassen.
»Gott, du guckst ja herzerweichend, du Armer! Folgender Vorschlag: Wir machen mal ein kleines Päuschen hier, vielleicht kommt das Objekt deiner Begierde noch. Und ich kann mal in Ruhe eine rauchen, ohne von Carolin erwischt zu werden. Die ist ja so furchtbar geruchsempfindlich geworden, die würde das sofort merken. Und meckern, dass ich überhaupt wieder angefangen habe.« Er kramt in seiner Jackentasche, holt eine Schachtel hervor und fummelt eine Zigarette heraus. Brrr, muss das denn sein? Ich finde Zigarettenrauch auch nicht so doll. Zwar nicht so schlimm wie das Zigarrengequalme des alten von Eschersbach, wenn im Salon seine Herrenrunde tagte. Aber auf jeden Fall etwas, auf das ich gut verzichten kann.
»Sieben Jahre hab ich nicht geraucht – das hab ich mir gleich abgewöhnt, als ich mit Caro die Werkstatt aufgemacht habe. Aber jetzt der ganze Stress mit Aurora … ach ja, Weiber, nichts als Ärger!«
Mit dieser Einschätzung im Hinblick auf die blöde Aurora gebe ich ihm natürlich völlig Recht, aber ich verstehe nicht, was das mit Zigaretten zu tun hat. Andererseits – wenn Daniel sich Aurora vom Hals halten will, ist das wahrscheinlich ein probates Mittel.
»Dagegen ist die Arbeit mit Caro wirklich die reinste Erholung. Insofern muss ich das mit den Weibern relativieren. Es gibt auch nette. Sehr nette sogar. Zu schade, dass sie jetzt diesen Tierarzt hat. Na, ich meine, ich freu mich natürlich für sie, Marc ist ja ein Netter, und mit uns hätte das sowieso nicht geklappt. Aber es gab schon Zeiten, da dachte ich, irgendwann habe ich mal Kinder mit Carolin. War halt so ein Traum von mir, weißt du?«
Nein, weiß ich nicht. Ich weiß nämlich generell nichts von menschlichen Träumen. Das muss jetzt eines dieser menschlichen Selbstgespräche sein, die Herr Beck meint. Selbstgespräch unter Zuhilfenahme eines Tieres. Ist für das Tier allerdings relativ langweilig. Mit seiner freien Hand langt Daniel zu mir herunter und krault mich hinter dem Ohr.
»Hm, Herkules? Hoffe nur, dass sich Caro mit dem Baby nicht in eine dieser Superglucken verwandelt, die nur noch in Zweiwortsätzen reden. Es wäre mir lieb, sie bliebe ganz die Alte. Ich brauche mal mehr Beständigkeit bei meinen Bezugspersonen. Und du doch bestimmt auch.«
Wuff? Versteh ich nicht. Besteht etwa die Gefahr, dass sich bei Carolin durch das Baby irgendetwas ändert? Und was in aller Welt ist eine Superglucke? Ich persönlich kann zwar nicht mal menschliche Einwortsätze, aber ich bin mir sicher, dass Zweiwortsätze für Carolin eine deutliche Verschlechterung wären. Wie kommt Daniel denn darauf, dass so etwas passieren könnte? Leider sagt er dazu nichts mehr, sondern inhaliert den Rauch seiner Zigarette und starrt vor sich hin. Hm. So machen Männergespräche keinen Sinn. Ich meine, so als Selbstgespräch. Ich brauchte jetzt dringend genauere Informationen.
Ein Windstoß weht den Zigarettenrauch genau in die Richtung meiner Nase, ich muss niesen. Pfui, das riecht wirklich nicht gut! Ich drehe mich zur Seite und atme tief durch, um das unangenehme Kribbeln in meiner Nase wieder loszuwerden, als es geschieht: Nur der Bruchteil, der Hauch des Hauchs eines Dufts, und trotzdem weiß ich sofort, dass sich das Warten gelohnt hat. SIE ist wieder da! Meine Cherie! Ich springe hoch und schaue in die Richtung, aus der ihr Duft kam.
Tatsächlich, da steht sie! Bildschön ist sie, fast noch schöner, als ich sie in Erinnerung hatte. Ihr langes, blondes Haar weht in der leichten Brise, sie hat den Kopf gehoben und schaut ihr Frauchen an, das neben ihr steht und ihr irgendetwas erzählt. Ich will zu ihr hinrennen – doch dann zögere ich. Was, wenn sie mich gar nicht mehr kennt? Oder schlimmer: mich erkennt, aber nichts mit mir zu tun haben will? Mein Herz fängt wieder an zu rasen, aber diesmal ist es nicht freudige Erwartung, sondern: Angst. Was mir als Jagdhund natürlich sehr peinlich ist. Aber ich kann es nicht leugnen. Sosehr ich mich nach diesem Moment gesehnt habe, so sehr fürchte ich mich nun vor ihm.
»Aha. Das ist es also, das Objekt deiner Begierde.« Daniel steht wieder neben mir. Und seine Äußerung zeugt nicht einmal von besonderem Hundesachverstand. Vielmehr ist wahrscheinlich kaum zu übersehen, dass ich mittlerweile angefangen habe zu zittern, als ob ich es mit einer ganzen Rotte Wildsauen aufnehmen müsste. Kein Wunder, es fühlt sich gerade auch genauso an.
»Na, eins muss ich sagen: Geschmack hast du. Eine sehr hübsche Hündin. Das Frauchen sieht übrigens auch nicht übel aus. Lass uns doch mal näher rangehen.«
Nein!, möchte ich laut rufen, aber natürlich kann ich nicht verhindern, dass sich Daniel schnurstracks zu den beiden aufmacht.
»Einen schönen guten Tag!« Oh nein, er spricht sie auch noch an! Damit dürfte die Chance, unerkannt von dieser Wiese wieder runterzukommen, gleich null sein. Und natürlich: Frauchen dreht sich zu uns und Cherie gleich mit. Mir wird heiß und kalt.
»Ich weiß, das klingt nach einer billigen Anmache. Aber ich glaube, unsere Hunde kennen sich.«
Frauchen und Cherie starren uns an. Ich fürchte, dass mir der Sabber mittlerweile aus den Mundwinkeln läuft. Heiß ist mir nicht mehr, nur noch kalt. Eiskalt. Heute ist ein furchtbarer Tag. Wahrscheinlich der furchtbarste meines bisherigen Lebens. Ach was. Ganz sicher der furchtbarste meines bisherigen Lebens. Frauchens Blick wandert zwischen Daniel und mir hin und her. Dann fängt sie an zu lachen.
»Aber klar! Das ist doch Herkules, der Hund von Doktor Wagner!«
Uff. Die hat mich schon mal erkannt. Dann macht auch Cherie einen Schritt auf mich zu. Mein Herz macht einen so großen Sprung, dass ich fast mit hochgerissen werde. Als sie mich mit der Schnauze in die Seite stupst, fühle ich mich genauso wie damals, als ich mich an den Weidezaun unseres Nachbarn angelehnt hatte. Ein gigantischer Schlag, dann sträuben sich meine Nackenhaare. Ich bekomme dermaßen starkes Ohrenrauschen, dass ich zuerst kaum verstehe, was mir Cherie jetzt ins Ohr raunt.
»Herkules! Du bist es tatsächlich! Wie schön, dich zu sehen!«
Sie freut sich, mich zu sehen! Sie FREUT sich, MICH zu sehen! Es ist ein großartiger, es ist ein grandioser Tag! Möglicherweise der schönste Tag meines bisherigen Lebens. Ach was. Ganz sicher der schönste Tag meines bisherigen Lebens. Auch Daniel scheint mit diesem Zusammentreffen ganz zufrieden zu sein, er unterhält sich angeregt weiter mit Cheries Frauchen.