»Tja. Auf alle Fälle ist Daniel deutlich charmanter als du. Besser kann ich dir das auch nicht erklären. Aber vielleicht fragst du einfach mal den fetten Kater. Der weiß doch sowieso immer alles besser.« Cherie klingt eingeschnappt.
»Tut mir leid, das war jetzt doof von mir. Aber du weißt doch, dass ich dich total schön finde. Du bist für mich die schönste Hündin der Welt. Ich bin so glücklich, dass du wieder da bist, ehrlich!«
Cherie guckt mich an, als würde sie etwas überlegen. Dann schnellt ihr Kopf vor, und sie schleckt mir einmal über die Schnauze. Wahnsinn – ich habe das Gefühl, dass mich gerade ein gewaltiger Blitz getroffen hat.
»Danke, Herkules, das ist lieb von dir! Ich habe dich auch vermisst. Vielleicht bin ich momentan einfach etwas empfindlich. Claudia sagt immer, das seien die Hormone. Ist eben ein besonderer Zustand.«
Hormone. HORMONE? Eine sehr, sehr ungute Ahnung beschleicht mich. Ich mustere Cherie.
»Wie meinst du denn das?«
Cherie rückt ganz nah an mich heran, ihre Stimme ist nur noch ein leises Flüstern.
»Ich bin trächtig. Ich werde endlich, endlich Mutter! Ist das nicht schön?«
ZEHN
Wieso ist das Leben so ungerecht? Warum bin ich kein preisgekrönter Golden-Retriever-Rüde und höre auf einen klangvollen Namen? Warum biegen sich zu Hause nicht die Regale unter der Last der Pokale, die ich dann schon als Bundessieger, internationaler Champion und Gott weiß noch was alles gewonnen hätte? Wieso bin ich nur ein kleiner, kurzbeiniger Rauhaardackelmix, den kein Züchter jemals als Vater der Kinder einer so tollen Hündin wie Cherie in Erwägung ziehen würde? Warum? WARUM?! Warum bin ich getauft auf Carl-Leopold von Eschersbach und sehe doch keinen Deut imposanter aus als Herkules Neumann? Kurz: Wieso bin ich nur ich und nicht Alec of Greensbury Hills?
»Papa, ich glaube, Herkules ist krank. Kannst du ihn dir mal angucken?«
Luisa ist schon aus der Schule zurück und hat mich runter in die Praxis von Marc getragen. Das Kind ist einfach ungeheuer zartfühlend. Sie hat gleich gemerkt, dass mein Leben ein absolutes Jammertal ist. Gut, vielleicht hat auch geholfen, dass ich seit ungefähr einer Stunde in eine Art Dauerheulton verfallen bin.
»Wie kommst du denn darauf, dass Herkules krank sein könnte?«, will Marc wissen, als er mich aus ihren Armen nimmt und vorsichtig auf seinen Untersuchungstisch stellt.
»Er jault schon, seit ich aus der Schule bin. Und fressen will er auch nichts. Nicht mal die gute Kalbsleberwurst.«
»Verstehe. Der Fall ist also ernst.«
»Sehr ernst!«
Luisa ist einfach meine beste Freundin in dieser überaus tristen Welt. Während der fette Kater sich wahrscheinlich nur an meinem Unglück weiden würde, versucht sie sofort, mir zu helfen. Das ist wundervoll – auch wenn dieser Versuch in einer tierärztlichen Untersuchung mündet.
Marc streicht mit einer Hand über meinen Rücken, guckt in meine Ohren und tastet meine Beine ab. Dazu legt er den Kopf schief und murmelt hm, hm oder so, so. Schließlich öffnet er meine Schnauze und schaut in mein Maul. Okay, wenn er von da aus bis zu meinem Herzen sehen kann, ist das eine schlaue Idee. Denn das ist mit Sicherheit gebrochen und bietet einen jämmerlichen Anblick. Als Marc meine Schnauze wieder loslässt, jaule ich ein bisschen.
»Oh, das klingt in der Tat nicht gut!«
»Konntest du denn irgendetwas finden, Papa?«
»Ich würde sagen, Herkules bedrückt etwas. Man könnte meinen, sein Herz tut weh.« Wuff, jetzt bin ich platt! Ist Marc am Ende doch der Meister aller Hundeversteher? »Hast du eine Idee, was das sein könnte?«
»Vielleicht macht er sich Sorgen, weil das Baby bald kommt.«
Nein, falsch, Freunde! Marc war doch schon auf der richtigen Spur. Es geht um mein Herz!
»Glaubst du? Aber warum sollte er sich denn deswegen Sorgen machen?«
»Vielleicht hat er Angst, dass sich dann niemand mehr um ihn kümmert, weil alle nur noch mit dem Baby beschäftigt sind.« Also – wie kommt das Kind bloß auf solche Sachen? Klar mache ich mir über das Baby ab und zu Gedanken, aber deswegen liege ich doch nicht im Körbchen und heule!
»Hm. Hat dir Herkules so etwas erzählt?«
Luisa kichert. »Nein, Papa. Herkules kann doch gar nicht sprechen. Jedenfalls nicht richtig. Aber es kam mir irgendwie so vor, als würde er so etwas denken.«
Jetzt schaut Marc Luisa ganz nachdenklich an.
»Glaubst du das, weil du dir selbst deswegen Sorgen machst?«
Erst sagt Luisa nichts, dann nickt sie langsam.
»Ein bisschen schon. Ich meine, ich freu mich ganz doll auf das Baby, und ich habe mir immer ein Brüderchen oder ein Schwesterchen gewünscht – aber manchmal, da denke ich, dass du dann nicht mehr so viel mit mir machen kannst, wenn wir ein Baby haben.«
Marc legt seinen Arm um Luisa und zieht sie ganz nah an sich heran.
»Luisa, du bist doch mein kleines Mädchen. Und das wirst du auch immer bleiben. Mach dir bitte keine Sorgen – es wird sich nichts ändern, das verspreche ich! Großes Indianerehrenwort!«
Er hebt eine Hand hoch und reckt drei Finger in die Luft. Lustig – was soll das denn wohl bedeuten?
Luisa scheint es zu wissen, denn jetzt strahlt sie von einem Ohr zum anderen.
»Hugh! Ehrenwort angenommen!«
Aha. Na, ein kleiner Dackel muss schließlich nicht alles verstehen.
»Außerdem hat Mama gesagt, dass ich jederzeit zu ihr kommen kann, wenn ihr euch nicht mehr richtig um mich kümmert.«
Marc geht einen Schritt zurück und guckt Luisa sehr ernst an.
»Bitte, was hat deine Mutter gesagt?«
»Am Wochenende habe ich sie gefragt, wie ich eigentlich als Baby ausgesehen habe. Wir haben uns zusammen mein Babyalbum angeguckt. Na, und dabei hat Mama erzählt, wie viel Arbeit so ein Baby macht. Und dass es sein könnte, dass du für mich bald keine Zeit mehr hast.«
Dazu sagt Marc erst einmal nichts. Stattdessen presst er seine Handflächen so fest aufeinander, dass die Adern darauf deutlich hervortreten. Dann atmet er tief durch und setzt mich wieder auf den Boden.
»Glaube mir, Luisa, das wird nicht passieren. Damit kannst du auch deinen Freund Herkules beruhigen, wenn ihr euch mal wieder über das Thema unterhaltet. Ich bin nämlich ein ganz hervorragender Kümmerer.«
Wirklich schön zu wissen. Tröstet mich aber gerade überhaupt nicht. Schließlich will ich nicht, dass Marc sich um mich kümmert. Sondern Cherie. Ach, Cherie …
»Mein Gott, Herkules! Jetzt versuch doch bitte mal, die ganze Geschichte etwas sachlicher zu betrachten.«
Okay, im Rahmen seiner Möglichkeiten gibt sich Beck tatsächlich alle Mühe, mich zu trösten. Aber so wird das nichts. Denn das Letzte, was ich hören will, sind gute sachliche Argumente. Schließlich tut mir das Herz weh, nicht der Kopf. Das hat Marc schon ganz richtig erkannt.
»Überleg mal – sie kennt doch diesen Alwin gar nicht wirklich.«
»Alec. Er heißt Alec.«
»Wie auch immer. Mit dir ist sie richtig befreundet. Diesen Alec hat sie wahrscheinlich nur einmal im Leben gesehen. Dann haben sie rasch die Babys gemacht – und gut war’s.«
Becks Worte bohren sich regelrecht in meine Brust, ich spüre einen stechenden Schmerz und gehe jaulend zu Boden.
»Herkules?! Was ist los?«
»Ich habe Schmerzen.«
»Echt?«
»Ja. Echt!«
»Dann bist du krank.«
»Das sag ich ja die ganze Zeit. Aber du glaubst mir ja nicht.«
»Nein, ich meine: richtig krank.«
»Ich bin RICHTIG krank! Es tut RICHTIG weh!«
Herr Beck steht auf und geht um mich herum, um mich besser betrachten zu können.
»Hm. Aber was tut denn weh, wenn es weh tut?«
»Wie meinst du das?«
»Na ja, was genau tut dir denn weh?«
»Ich habe das Gefühl, dass mein Brustkorb auf einmal zu klein für mein Herz ist. Und das Herz selbst ist wie eingequetscht, richtig zusammengedrückt. Ich kann nicht mehr tief durchatmen, es ist schrecklich.«