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Beck seufzt.

»Herkules, mein Freund. Das war mit Sicherheit nicht der echte Weihnachtsmann.«

»War er nicht? Er sah aber so aus. Genau wie so ein Schokoladenkerl, nur in echt.«

»Nein. Der echte Weihnachtsmann kommt nur an Weihnachten und bringt die Geschenke.«

»Ach? Die Geschenke sind vom Weihnachtsmann? Bist du sicher?«

»Ganz sicher. Er kommt und verteilt sie an die Kinder. Ich habe ihn schon selbst dabei gesehen.«

»Wo denn? Nina hat doch gar keine Kinder. Weder eigene noch geliehene. Und ihr Freund Alex hat auch keine.«

Herr Beck lebt nämlich bei Nina, Carolins bester Freundin, und das praktischerweise in der Wohnung über Carolins Werkstatt. Insofern kenne ich Nina sehr gut und weiß aus eigener Anschauung, dass sie eine echte Kinderallergie hat. Die Vorstellung, dass Nina eine für Menschen so wichtige Veranstaltung wie Weihnachten womöglich freiwillig mit fremden Kindern verbringen könnte, ist geradezu ausgeschlossen. Der Kater gibt also nur an, sonnenklar.

»Doch nicht bei Nina. Ich habe ihn bei Frau Wiese gesehen.« Frau Wiese war Becks altes Frauchen. Die hatte allerdings auch keine Kinder. Ich hole tief Luft, Beck macht eine hektische Bewegung mit seiner Tatze.

»Stopp, stopp – ich weiß, was du sagen willst: Ja, Frau Wiese hatte auch keine Kinder. ABER sie hatte ja diesen nichtsnutzigen Neffen. Der wiederum bekanntermaßen drei ungezogene Kinder hat.«

Stimmt. Ich erinnere mich. Herr Beck war einmal ein paar Tage bei Wiese junior untergebracht und kehrte danach mit Geschichten heim, die denen vom alten Eschersbach über etwas, was er Krieg nannte, in nichts nachstanden. Herr Beck blickt nur bei dem Gedanken an diese Familie ausgesprochen finster drein.

»Und diese ganze grausame Sippe war auch an Weihnachten einmal zu Besuch. Du kannst dir ja gar nicht vorstellen, wie schlimm –«

»Beck«, unterbreche ich ihn, »was war denn nun mit dem Weihnachtsmann?«

»Äh, richtig. Der Weihnachtsmann. Na, der kam mit einem großen Sack voller Geschenke für diese furchtbaren Gören. Die Kinder sangen ein Lied, der Weihnachtsmann guckte sehr streng und las vor, wann die Kinder im letzten Jahr unartig waren. Das hat natürlich ziemlich lange gedauert, und als der Weihnachtsmann dann auch noch mit der Rute gewedelt hat, fing das kleinste Kind an zu weinen, und die anderen beiden versteckten sich hinter dem Sofa. Da hat sich der Weihnachtsmann beeilt, doch noch etwas Nettes zu sagen und Geschenke zu verteilen. Die Kinder haben dann gelobt, in Zukunft immer brav zu sein. Aber als der Weihnachtsmann wieder weg war, haben sie sich natürlich sofort um das Spielzeug gestritten, das er ihnen mitgebracht hatte. Die Erwachsenen tranken viel Alkohol und stritten sich schließlich auch. Irgendwann fing Frau Wiese an zu weinen, die Frau des Neffen keifte sehr laut, und der Neffe selbst schlief auf dem Sofa ein. Das ist also Weihnachten. Wenn alle vier Kerzen brennen.«

Wow! Da bin ich geradezu froh, dass bei uns der Weihnachtsmann noch nie da war. Allerdings haben wir bisher auch immer ohne Kind gefeiert. Sondern sehr kuschelig zu dritt, nur Caro, Marc und ich. Gestritten hat niemand, gesungen Gott sei Dank auch nicht. Stattdessen gab es ausgesprochen leckeres Essen, sogar für mich. Allerdings gab es auch Geschenke. Ein Punkt, der mich stutzig macht.

»Beck, bei uns gab es aber auch Geschenke für Marc und Carolin. Vom Weihnachtsmann hingegen keine Spur.«

Becks Schwanzspitze zuckt wieder hin und her.

»Hm. Wahrscheinlich schickt der Weihnachtmann die den Leuten ohne Kinder mit der Post. Damit er mehr Zeit für die Familien hat. Der gute Mann kommt ja ganz schön rum.«

Aha. Ob der Weihnachtsmann wegen Luisa diesmal also auch zu uns kommt? Ich muss dringend nachschauen, wie viele Kerzen auf diesem Kranzdings schon gebrannt haben. Vielleicht habe ich noch etwas Zeit, mich zu wappnen. Schließlich werde ich Luisa wegen Carolin trösten und womöglich diesen Weihnachtsmann im Auge behalten müssen. Dieses Weihnachtsfest, so viel ist schon jetzt klar, wird den ganzen Hund erfordern.

DREI

Hatte ich Beck wirklich erzählt, dass es in diesem großen Kaufhausdings neulich voll war? Ich hatte ganz offensichtlich keine Ahnung. Denn jetzt ist es voll. Ich hetze hinter Marc her und versuche, ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Das ist keine leichte Aufgabe, vor und neben mir sind dermaßen viele Menschenbeine unterwegs, dass ich mich eigentlich in Marcs Hose verbeißen müsste, um sicher an ihm dranzubleiben. Luisa ist schon vor einiger Zeit verschwunden, ich hoffe sehr, dass das Absicht war und sie einen guten Plan hat, wie sie zu uns zurückfinden will.

Es ist im Übrigen auch nicht so, dass die anderen Menschen nur einfach da sind und gemütlich herumstehen oder – gehen. Im Gegenteil – verglichen mit dem sonst eher schwach ausgeprägten Bewegungsdrang von Zweibeinern scheinen nun gerade hier und heute alle wild entschlossen, den diesbezüglichen Mangel ganzer Monate auszugleichen. Sie rennen wild hin und her, bleiben sehr abrupt stehen, wenn sie etwas entdeckt haben, nur um einen Augenblick später wieder loszusprinten. Noch dazu schieben sie sehr rigoros andere Menschen zur Seite, die ihnen dabei in die Quere kommen. Ich muss höllisch aufpassen, dass mir hier niemand auf die Pfoten tritt.

Warum habe ich bloß darauf bestanden, Marc und Luisa zu begleiten? Das war wirklich eine saublöde Idee – allerdings hatte mich auch niemand gewarnt. Ich dachte, die beiden gehen einfach ein bisschen in dem frisch gefallenen Schnee spazieren. Für einen kleinen Kerl wie mich ist das hier der völlig falsche Ort. Das scheint auch Marc gerade zu dämmern. Jedenfalls beugt er sich zu mir runter, um mich hinter den Öhrchen zu kraulen, und riskiert dabei, von seinen Mitmenschen überrannt zu werden.

»Na, Herkules, geht’s noch? Ganz schön viel los hier. So sind die Menschen eben: Jeder will noch auf den letzten Drücker Weihnachtsgeschenke kaufen.«

Hä? Ich denke, die bringt der Weihnachtsmann? Und wenn er schon nicht persönlich vorbeikommen kann, besorgt er sie wenigstens. Irgendetwas stimmt hier doch nicht. An dieser Weihnachtsmanngeschichte ist etwas faul, das spüre ich genau. Bloß was? Wenn Herr Beck es während seiner gesamten Karriere als Haustier noch nicht herausgefunden hat, muss es schon sehr, sehr mysteriös sein. Ich mustere Marc. Bestimmt weiß er mehr. Leider kann ich ihn nicht fragen.

»Aber ich kann dich beruhigen, Kleiner. Ich habe fast alle Geschenke zusammen. Nur eine Sache für Luisa fehlt noch, dann machen wir hier die Biege, versprochen!«

Wir sind also hier, um ein Geschenk für Luisa zu besorgen. Sehr aufschlussreich! Es kann also auch nicht sein, dass der Weihnachtsmann sich um die Geschenke für die Kinder kümmert und alle anderen selbst sehen müssen, wo sie ihren Kram herbekommen. Denn dann müsste Marc sich ja nicht in dieses entsetzliche Getümmel stürzen, sondern könnte an Weihnachten schön abwarten, was der Weihnachtsmann für sein Töchterchen mitgebracht hat. Ich bin verwirrt.

In diesem Moment tritt mir eine große, dicke Frau kräftig auf die linke Pfote. Autsch! Ich jaule auf und knurre, schnappe aber nicht zu. Bin schließlich wohlerzogen. Die Frau fährt zu uns herum.

»Was war das denn? Wer kommt denn auf die bekloppte Idee, einen Hund in dieses Gedränge … oh, hallo, Herr Dr. Wagner! Das ist aber eine Überraschung! Habe ich etwa gerade Ihren kleinen Hund getreten? Das tut mir leid, aber bei diesen Menschenmassen habe ich den Winzling wirklich übersehen.«

Winzling? Unverschämtheit! Ob es noch als Reflex durchgeht, wenn ich sie jetzt doch beiße? Bevor ich mich entscheiden kann, hat mich Marc schon hochgehoben.