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»Bleckede mein Name. Ich bin hier der Abteilungsleiter. Dürfte ich Sie in mein Büro bitten?« Ganz offensichtlich ist Marc damit gemeint. Der scheint die Situation fast lustig zu finden, jedenfalls verzieht er seinen Mund zu einer Art Grinsen. Kein Wunder, vor so einem Männlein hat er natürlich keine Angst.

»Warum? Wie Sie sehen, bin ich gerade damit beschäftigt, den Umsatz Ihres Hauses zu mehren, und mein Zeitbudget ist heute sehr beschränkt.«

»Es tut mir leid, Herr … äh …«

»Wagner. Marc Wagner.«

»Äh, Herr Wagner, aber diese Kundin hat sich über Sie beschwert, und ich würde über den Vorfall gerne etwas abseits dieses Trubels sprechen.«

»Ja? Ich nicht. Ich bin mir im Übrigen auch keiner Schuld bewusst und habe nichts zu verbergen, also nur heraus damit.«

Marc schiebt sein Kinn etwas nach vorne, was ihn für menschliche Verhältnisse sehr angriffslustig aussehen lässt. Hoffentlich kommt Luisa nicht gleich zurück und findet ihren Vater in einen Kampf mit diesem Bleckede verstrickt. Andererseits – Marc ist locker zwei Köpfe größer, das sollte für ihn kein Problem sein. Dabei fällt mir auf, dass ich Menschen noch nie miteinander habe kämpfen sehen. Eigentlich seltsam. Mit Worten streiten sie sich häufiger mal, selbst wenn sie Paare bilden wie Carolin und Marc. Aber so ein richtig ehrlicher Kampf, Mann gegen Mann oder meinetwegen auch Frau gegen Frau? Fehlanzeige. Da ist an jedem normalen Tag auf der Hundewiese an der Alster mehr los als hier, obwohl hier gerade so viele Menschen rumlaufen und die Stimmung so angespannt ist. Selbst in Standardsituationen habe ich das bisher nicht beobachtet. Also, als beispielsweise Carolin und Marcs Exfrau Sabine aufeinandertrafen, da hätte man doch zumindest mal ein wenig Haareziehen erwarten können, oder? Aber nichts von alledem. Fast ein bisschen schade. Die Art allerdings, wie Marc jetzt guckt, verheißt zumindest den Hauch einer Chance auf eine Keilerei. Ah – und jetzt plustert sich auch Bleckede merklich auf. Sehr gut!

»Herr Wagner, ich muss Ihnen wirklich sagen …«

»Doktor Wagner, übrigens. So viel Zeit muss sein.«

»Meinetwegen, Herr Doktor Wagner. Unsere Kundin, Frau Goldberg, hat Sie dabei beobachtet, wie Sie diesen kleinen Hund geschlagen haben. Als sie Sie darauf ansprach, sind Sie ihr gegenüber beleidigend und handgreiflich geworden. Außerdem haben Sie zugegeben, dass der Hund gar nicht Ihnen gehört.«

»Bitte? Ich soll die Frau beleidigt haben? Und handgreiflich geworden sein? Das ist doch Humbug! Den Hund habe ich natürlich auch nicht geschlagen, ich bin mir sicher, dass Frau Goldmann ein Opfer ihrer schlechten Augen oder ihrer lebhaften Phantasie wurde.«

Jetzt mischt sich die Frau ein.

»So eine Frechheit! Ich bin doch nicht blind! Und eingebildet habe ich mir das auch nicht – UND außerdem heiße ich Goldberg, nicht Goldmann!«

»Von mir aus, dann eben Goldberg. Deswegen habe ich Herkules trotzdem nicht geschlagen. Ich bin doch kein Tierquäler.«

»Frau Goldberg sagt, Sie hätten sie beschimpft. Und ihr einen Schlag versetzt.«

»Quatsch. Ich habe lediglich darauf hingewiesen, dass ich sehr in Eile sei und vermutlich nicht so viel Zeit hätte wie Frau Goldmann als Rentnerin.«

»Goldberg! Ich heiße Goldberg!«

»Aha. Sie geben also zu, dass Sie Frau Goldberg beschimpft haben?«, versucht Bleckede, das Gespräch wieder an sich zu reißen.

»Gar nichts gebe ich zu. Rentner ist keine Beleidigung, sondern eine Tatsache. Oder will Frau Goldmann etwa behaupten, dass sie die siebzig noch nicht gesehen hat?«

Die Goldberg schnappt wieder hörbar nach Luft.

»Sehen Sie? Es geht schon wieder los!«

»Herr Dr. Wagner, bitte kommen Sie mit in mein Büro!«

»Ich denke gar nicht daran.«

»Nun seien Sie doch vernünftig!«

»Das ist ein freies Land. Sie können mir gar nichts, Sie Zwerg!«

VIER

Du hast was? Ein Hausverbot bei Karstadt?«

»Na ja, Hausverbot ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Sagen wir mal so: Ich konnte meinen Einkauf dort nicht wie geplant fortsetzen.«

Wie wahr. Denn Bleckede war zwar in der Tat ein Zwerg. Aber er konnte trotzdem was. Nämlich zwei weitere Herren hinzubitten und uns dann den Weg zur Tür zeigen. Sehr unangenehm, sehr unangenehm. Soweit ich das vom Boden aus beurteilen konnte, haben alle anderen Menschen auf dem Weg zur Tür ziemlich geguckt. Gott sei Dank unterhielt sich Luisa direkt vor dem Kaufhausdings mit dem dicken falschen Weihnachtsmann und ging uns bei der ganzen Aktion nicht verloren. Ich hätte nicht Carolins Gesicht sehen mögen, wenn wir nicht nur ohne Geschenk, sondern auch ohne Luisa wieder aufgekreuzt wären.

Auch so ist Carolin nicht sonderlich begeistert vom Verlauf unserer kleinen Einkaufstour. Interessanterweise scheinen es Menschenweibchen nicht sehr zu schätzen, wenn die Männer aneinandergeraten. Während die durchschnittliche Dackeldame von einem ehrlichen Kampf Rüde gegen Rüde durchaus angetan und einem Rendezvous mit dem daraus hervorgehenden Sieger bestimmt nicht abgeneigt ist, kommt bei Carolin schon die Schilderung von Marcs kleinem Wortgefecht mit Bleckede überhaupt nicht gut an. Dabei haben sich die beiden nicht mal gehauen. Oder wäre das besser gewesen? Andererseits  – man kann nicht wirklich sagen, dass Marc als Sieger vom Platz gegangen ist. Vielleicht ganz gut, dass es bei ein bisschen Rumgeschrei geblieben ist.

Die Stimmung im Hause Wagner-Neumann ist jedenfalls richtig schlecht. Man kann die Anspannung fast mit Pfoten greifen. Ob das auch irgendetwas mit dem Weihnachtsmann zu tun hat? Marc ist sonst nicht aufbrausend, ich habe jedenfalls noch nie erlebt, dass er sich quasi aus dem Nichts heraus so mit anderen Menschen gestritten hat wie mit Zwerg Bleckede. Was hat diese Frau Winkelmann noch gesagt? Das Fest der Liebe? Das passt alles irgendwie nicht zusammen. Oder es ist Carolins schwere Krankheit, die Marc verzweifeln lässt.

Marc und Carolin schweigen sich derweil ein bisschen an, von Versöhnung keine Spur. Ich beschließe, meinen Zweitlieblingsplatz vor dem Sofa aufzugeben und mich zu verziehen. Luisa scheint es ähnlich zu gehen, die ist bereits in ihr Kinderzimmer abgetaucht. Am besten leiste ich ihr ein wenig Gesellschaft, geteiltes Leid ist halbes Leid. Mit der Vorderpfote kratze ich an der Zimmertür, sofort macht Luisa auf.

»Na, Süßer? Doof, wenn die sich streiten, oder? Komm rein, ich kraul dich ein bisschen.«

Das muss sie mir nicht zweimal sagen! Kaum, dass sich Luisa auf ihr Bett gesetzt hat, hüpfe ich mit einem Satz auf ihren Schoß und drehe mich dann auf den Rücken. Zirkusreif, möchte ich meinen, denn so ein Satz ist mit meinen kurzen Beinen gar nicht so leicht. Sie sind zwar ein klein wenig länger als bei reinrassigen Dackeln, aber immer noch ziemlich kurz – kein Vergleich etwa zu Cheries Beinen. Cherie ist eine Golden-Retriever-Dame mit unglaublich schlanken Fesseln und außerdem die schönste Hündin, die ich jemals gesehen habe. Aber das ist eine andere Geschichte. Mit dem Weihnachtsmann hat sie jedenfalls nichts zu tun.

Luisa krault mich unter dem Kinn und am Bauch, ich zucke vor Vergnügen mit den Pfoten. Herrlich, am liebsten würde ich schnurren, aber ich habe bis heute nicht herausgefunden, wie Beck das immer hinkriegt. Also schlecke ich einmal kräftig um meine Schnauze, in der Hoffnung, Luisas Finger zu erwischen. Das klappt und Luisa kichert.

»Mach dir keine Sorgen um Papa und Carolin, die vertragen sich schon wieder.« Redet Luisa jetzt mit sich selbst oder mit mir? Ich fühle mich thematisch natürlich sofort angesprochen, denn genau darüber mache ich mir gerade Gedanken. Herr Beck vertritt allerdings die These, dass Menschen im Grunde genommen immer Selbstgespräche führen, wenn sie mit Tieren reden. Nur, dass sie sich dabei besser fühlen, weil es schon etwas komisch ist, wenn so gar niemand zuhört. Will sich Luisa also nur selbst trösten? Ich versuche, in ihr Gesicht zu schauen. Weil Menschen ihre Haare nicht im Gesicht, sondern nur darüber tragen, kann man aus ihrer Mimik immer eine ganze Menge über ihren Seelenzustand ableiten. Hochgezogene Mundwinkel bedeuten gute Laune, heruntergezogene schlechte. Kommen dann noch Tränen dazu, wird es ganz finster. Ich bin vielleicht noch kein solcher Experte wie Herr Beck, aber zu einer gewissen Kennerschaft bei der Beurteilung von menschlichen Gemütszuständen habe ich es mittlerweile auch schon gebracht.