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Ich schnappte mir das Telefon und lümmelte mich aufs Sofa. Wen sollte ich überfallen oder, besser noch, zu mir einladen? Es musste jemand sein, mit dem das Gespräch nicht in besoffenes Gequatsche über Gott und die Welt ausartete.

In dem Moment klingelte das Telefon.

»Hallo?«, sagte ich nervös. Meine Eltern werden es sich doch wohl nicht haben einfallen lassen, bei mir zu Hause anzurufen, um dann diese ... diese Vettel an der Strippe zu haben?

»Kirill?«, erklang eine aufgeräumte Stimme. »Ha! Hab ich dich also doch erwischt! Dein Handy ist abgeschaltet, bei dir zu Hause faselt Anka etwas daher, dass du nicht mehr dort wohnst ... Was heißt das? Bis du verrückt geworden und hast ihr die Wohnung überlassen? Bist du wirklich ausgezogen?«

»Anka?«, fragte ich, während ich mein Handy hervorkramte. Mist. Das Ding war leer. Und das Ladegerät lag natürlich in der Wohnung ...

»Wer denn sonst? Da war irgendein Weib ...«

Alle Frauen dieser Welt teilten sich für Kotja in ›Weiber‹ und ›Damen‹. ›Weiber‹ umfassten sämtliche Personen weiblichen Geschlechts. Bei einer »Dame« handelte es sich um das Weib, in das er gerade verliebt war.

»Kotja, jetzt hör mir mal zu«, bat ich. »Hier sind Dinge im Gang, da brauche ich deinen Rat.«

»Und ich deinen!«, meinte Kotja fröhlich. Aus Katzen machte er sich nicht das Geringste, doch seinen offiziellen Namen Konstantin konnte er aus irgendeinem Grund nicht leiden, weshalb er sich von klein auf gern Kotja oder Kotjonok, ›Katerchen‹, nennen ließ. Normalerweise bleibt dieser Spitzname nur an kräftigen gemächlichen Kerlen kleben, die ihm ihrerseits mit Ironie gegenüberstehen. Kotja war jedoch nicht besonders groß, schmächtig und agil bis zur Zappeligkeit. Kein Quasimodo, aber mit Sicherheit auch kein Apoll, besaß Kotja einen außerordentlichen Charme. Manch Bild von einem Mann, das in seiner Gesellschaft ein paar Mädchen anbaggerte, musste erstaunt feststellen, dass die attraktivste Frau von allen unbeirrbar Kotja den Vorzug gab. »Verzichten wir doch auf die Formalitäten, sagen wir einfach Kotjonok«, bot Kotja einer neuen Bekanntschaft lächelnd an, was erstaunlicherweise weder manieriert noch aufgesetzt klang.

»Komm einfach her«, lud ich ihn ein. »Zu meinen Eltern. Weißt du noch, wo sie wohnen?«

»Ja.« Jetzt schaltete Kotja auf einen geschäftigen Ton um. »Hör mal, ich muss unbedingt noch einen Artikel raushauen. Das sind noch zwei Stunden Arbeit. Komm du doch einfach her, ja?«

»Hat denn deine Dame nichts dagegen?«, fragte ich.

»Die Weiber sind doch alle gleich«, sinnierte Kotja niedergeschlagen.

Alles klar. Wieder einmal war eine Dame in die Kategorie ›Weib‹ gewandert, nachdem sie meinen allzu zappeligen Freund nicht vor den Traualter zu schleppen vermochte. Und am Horizont zeigte sich bislang keine neue.

»Gut, ich komme zu dir«, gab ich seufzend nach. »Obwohl es mir nicht passt, meinen Sofaplatz aufzugeben ...«

»Ich habe einen guten Kognak«, lockte Kotja. »Das ist doch ein gewichtiger Grund, oder?«

»Vergiss deinen Kognak!«, seufzte ich. »Okay, ich komme. Was soll ich mitbringen?«

»Du bist doch hier der Schlaukopf«, konterte Kotja. »Alles, was du willst, von Weibern abgesehen!«

So kam es, dass ich mich, meiner Wohnung beraubt, zu einem Besäufnis mit meinem Freund begab. Eine durchaus übliche russische Variante, mit der die Dinge ihren Lauf nehmen können. Etwas anderes zu erwarten wäre geradezu absurd gewesen.

Kotja lebte in einer großen Zweizimmerwohnung in einem alten Stalinbau im Nordwesten. Mitunter herrschten in der Wohnung Ordnung und Sauberkeit, doch jetzt, in Ermangelung einer Dame, griff nach und nach das für Kotja typische wüste Chaos um sich. Der Staub auf den Fensterbrettern sowie der schmutzige Herd ließen darauf schließen, dass Kotjas Abschied von seiner letzten Passion mindestens eine Woche zurücklag.

Bei meinem Erscheinen riss sich Kotja vom Computer los, stellte eine Flasche Kognak auf den Tisch - in der Tat ein vorzüglicher, fünf Jahre alter ›Ararat‹ - und rieb sich zufrieden die Hände. »Jetzt wird es wie geschmiert laufen«, sagte er. »Ohne ein Gläschen kriege ich die Geschichte nicht hin, aber allein trinke ich nicht.«

Mit diesen Worten leitete er stets ein Schlückchen ein. Ohne seine hundert Gramm war er nicht bereit, über den neuerlichen Abgang einer Dame hinwegzukommen, eine Geschichte zu Ende zu schreiben oder einen klugen Rat zu erteilen. Allein trank er, nebenbei bemerkt, jedoch wirklich nie.

Wir schenkten uns jeder ein Gläschen Kognak ein. Nachdenklich betrachtete Kotja mich. In meinem Kopf schwirrten Dutzende von Fragen, doch ich stellte die dümmste: »Kotja, was ist eine Vettel?«

»Ist es das, was du von mir wissen willst?« Kotja rückte sich die Brille zurecht. Seine Kurzsichtigkeit hielt sich im äußerst geringfügigen Bereich, aber jemand hatte ihm versichert, eine Brille stünde ihm gut. Im Prinzip stimmte das, zudem Kotja bebrillt wie ein typischer, kluger jüdischer Bursche aussah, der ›irgendwo im kulturellen Bereich‹ arbeitet. Womit bei ihm der Nagel auf den Kopf getroffen war. »Eine Vettel, mein naiver Freund, ist eine Prostituierte untersten Ranges. Eine Bahnhofsnutte, eine Kühlerfigur...«

»Eine Kühlerfigur?«

»Na, eine, die es den Fernfahrern besorgt ...« Kotja runzelte die Stirn. »Und lass dir eins von mir gesagt sein: In jedem Weib steckt eine Vettel!«

»Darauf erhebe ich mein Glas nicht«, protestierte ich.

»Dann einfach auf die Weiber.«

Darauf tranken wir.

»Wenn du in deinem Kummer zu einer Prostituierten willst ...«, setzte Kotja an.

»Nein. Was wolltest du mich denn fragen?«

»Dein Herr Papa ist doch Frauenarzt, oder?«

»Hm.«

»Welche Geschlechtskrankheiten gibt es? Exotische, meine ich?«

»Zerbrichst du dir den Kopf darüber, welche Diagnose du deinem Helden stellen sollst?«, platzte ich heraus. »Aids, Syphilis ...«

»Das ist doch alles kalter Kaffee«, seufzte Kotja. »Ich schreibe gerade einen Brief an eine Zeitung, die Beichte eines Mannes, der ein ausschweifendes Sexualleben geführt hat und infolge dessen an ... Der wird sich doch nicht Syphilis eingefangen haben! Und auch kein Aids! Das ist alles Schnee von gestern, langweilig ...«

»Greif doch auf deine eigenen Erfahrungen zurück«, schlug ich scheinheilig vor. »Ich hab davon doch keine Ahnung, mein Alter. Zu Hause könnte ich das nachschlagen, aber aus dem Kopf ... Schließlich bin nicht ich der Arzt.«

Kotja verdiente sich seinen Lebensunterhalt auf recht originelle Weise: Er schrieb Erzählungen für Boulevardblätter. Die er als authentische Berichte ausgab. Beichten von Müttern, die sich an ihren Söhnen vergingen, die Qualen von Schwulen, die sich in Heteros verliebten, Aufzeichnungen von Zoophilen, die in Leidenschaft für Stachelschweine entflammten, Geständnisse minderjähriger Mädchen, die ihr Nachbar oder Lehrer verführt hatte. Diesen ganzen Scheiß schied er kilometerweise aus, sobald ihn seine nächste Freundin verließ. Wenn sein Sexleben in normalen Bahnen lief, griff er auf Sensationsmeldungen über fliegende Untertassen, Geister und Gespenster, das Privatleben von Prominenten, freimaurerische Verschwörungen, Intrigen von Juden und kommunistische Geheimnisse zurück. Im Grunde war ihm völlig schnurz, was er schrieb, denn es gab für ihn ohnehin nur zwei Phasen: eine mit Sexgeschichten, eine ohne.

»Gut«, gab sich Kotja zerknautscht zufrieden. »Dann also Aids ... schließlich ...«

Ich ging zu seinem Computer hinüber und schaute auf den Bildschirm. »Ist dir eigentlich selbst klar, was du hier schreibst, Kotja?«, fragte ich kopfschüttelnd.

»Wie?«, horchte Kotja auf.