»Für dich«, stellte Illan klar.
Ich breitete die Arme aus. »Wirklich, dass ist zu viel der Ehre. Ich bin gerührt. Und euch zutiefst verbunden.«
Weder Kotja noch Illan gingen auf meinen Sarkasmus ein.
»In jeder Welt entsteht früher oder später eine Untergrundbewegung, die gegen die Funktionale kämpft«, begann Illan. »In eurer Welt dürfte sie vermutlich ebenfalls existieren - aber ich kenne hier niemanden. Da war nur Nastja, und wir haben nichts weiter gemacht, als die Leute um uns herum genau zu beobachten ... Aber da ist auch noch meine Welt, Veros, dann gibt es Antik ... und ...« Sie stockte kurz. »... und Feste. Eine Welt, in der die Menschen über die Funktionale Bescheid wissen.«
»Ist das da, wo die Pfaffen allen den Kopf verdrehen?«, fragte ich mit jener Lässigkeit, die nur Menschen zeigen, die irgendwie gläubig sind, sich dessen aber gleichzeitig schämen.
»So kann man’s auch ausdrücken«, bestätigte Illan. »Aus ihrer Sicht sind unsere Welten eine Verunglimpfung der göttlichen Vorsehung. In den Funktionalen sehen sie Handlanger des Teufels, die auf dem Scheiterhaufen verbrannt gehören.«
»Entzückende Bundesgenossen«, stellte ich fest.
»Sie sind sehr stark.« Illan weigerte sich hartnäckig, auf meinen ironischen Ton einzugehen. »Wenn du es schaffen würdest, sie davon zu überzeugen, dass die Zerschlagung Arkans das Ende der Herrschaft der Funktionale bedeutet und alle Welten von der teuflischen Versuchung befreit, würden wir wichtige Verbündete gewinnen.«
»Eine Horde von Pfaffen mit Weihrauchschalen?«
»Kirill! Feste ist die Welt, in der sich die Biotechnologien durchgesetzt haben. Dort hat die Kirche es geschafft, sich die ganze Welt untertan zu machen ...«
»Stopp«, fiel ich ihr ins Wort. »Welche Kirche?«
»Das ist ja das Gute: unsere. Also, zumindest eine christliche. In Detailfragen gibt es erhebliche Differenzen, aber insgesamt ist es etwa wie die katholische Kirche zur Zeit der Renaissance.«
»Ihr Einfluss ist also bereits nicht mehr ganz so stark?«
»Keinesfalls. Die Kirche ist im Gegenteil dermaßen stark, dass sie unterschiedliche Glaubensrichtungen zulässt. Sie studiert sie, wenn du so willst.«
»Das ist wie in den ersten Jahren nach der Revolution in Russland, als noch ziemlich viel Gedankenfreiheit zugelassen wurde«, mischte sich Kotja ein. »Solange du die Hauptpostulate der Bolschewiken nicht angefochten hast, konntest du jeder philosophischen Richtung anhängen und dir absolut irrsinnige Gesellschaftsentwürfe einfallen lassen. Das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke ...«
»Was wir am wenigsten begreifen können, ist ihr Verzicht auf jegliche technische Entwicklung«, bemerkte Illan. »Soweit ich es verstehe, handelte es sich dabei ursprünglich wie gehabt um ein Experiment der Arkaner, bei dem sie jedoch endlich mal den Kürzeren gezogen haben: Die Herrscher von Feste haben von ihrer Existenz erfahren, das Ganze in den falschen Hals gekriegt - und daraufhin angefangen, Jagd auf jeden Fremden zu machen. Dabei sind sie übers Ziel hinausgeschossen. Statt Technik haben sie jetzt Tiere ... sehr seltsame Tiere, wenn du mich fragst ...«
»Kurz gesagt, sie haben eine Art Hunde, die Fremde wittern«, warf Kotja ein. »Jeder Besucher aus einer fremden Welt riecht ein klein wenig anders - und wird sofort verhaftet.«
»Und verbrannt?«
»Ja.«
»Vielen Dank, Freunde!«
»Wart’s doch erst mal ab!« Kotja fuhrwerkte mit den Händen herum. »Wir haben das alles bereits durchdacht!«
»Du glaubst doch nicht wirklich, wir würden dich in den sicheren Tod schicken?«, fragte Illan. »Wir haben einen völlig ungefährlichen Weg ausgearbeitet.«
»Auf Veros gibt es einen Zöllner. Andrjuscha«, setzte mich Kotja in Kenntnis. »Er kann das alles regeln.«
»Andrjuscha?«
»Veros besteht schließlich nicht nur aus Kimgim. Da ist beispielsweise auch noch Orysaltan.«
»Oryssultan«, korrigierte Illan ihn.
»Hör mal, du bist diejenige, die das nicht richtig ausspricht!«
Es gab ein kurzes Wortgefecht zwischen den beiden, einigen konnten sie sich trotzdem nicht.
»Egal.« Kotja strich als Erster die Segel und wandte sich wieder mir zu. »Sie sprechen jedenfalls fast eine Art Russisch, du wirst sie also verstehen. Andrjuscha ist für den Kontakt zwischen den Welten der Funktionale und den Herrschern auf Feste zuständig.«
»Was für Kontakte? Wenn die da alle Fremden auf Scheiterhaufen ...«
»Was heißt das schon? Glaubst du etwa, zwischen der UdSSR und Deutschland hätte es während des Zweiten Weltkriegs keine geheimen Kontakte und Vermittler gegeben? Krieg hin oder her, die Regierungen bleiben in Kontakt.«
»Schon verstanden. Und wer ist dieser ... Andrjuscha?«
»Er wird dafür sorgen, dass du mit den Machthabern von Feste verhandeln kannst. Auf meine Bitte hin, schließlich bin ich immer noch Kurator. Wenn auch in einer anderen Welt. Er kennt mich, und das ist keine große Sache. Worüber du mit den Leuten reden willst, interessiert ihn nicht. Wir werden uns die Kanäle zunutze machen, die der Feind angelegt hat!«
»Der Feind?« Allmählich reichte es mir. »Kotja, sprich bitte Klartext. Was hast du vor? Plagt dich dein Gewissen so sehr, dass du auf Teufel komm raus gegen deine ehemaligen Herren vorgehen willst? Das nehm ich dir nicht ab! Sicher, du bist ein anständiger Kerl. Als du versucht hast, mich zu erwürgen, lag in deiner Miene ein Ausdruck echter Trauer ... Aber du kannst doch nicht ernsthaft auf einen Sieg hoffen, Kotja! Du bist ein Kurator mit eingeschränkter Zuständigkeit. Wer ich bin, ist völlig unklar, was ich vermag, ebenfalls. Uns steht eine ganze Welt gegenüber, außerdem dreihunderttausend Funktionale bei uns auf der Erde! Hoffst du vielleicht, ich würde bei diesen Pfaffen draufgehen, ohne dass du dir die Hände schmutzig zu machen brauchst?«
»Kirill!«, schrie Illan, die sich zwischen uns stellte, als befürchte sie, wir würden gleich aufeinander losgehen. »Lass uns endlich ausreden! Wir haben einen guten Plan!«
»Die Machthaber auf Feste träumen davon, die unterworfenen Welten von Arkan loszueisen«, setzte mich Kotja ins Bild. »Bisher ist ihnen das noch nicht geglückt. Dafür bräuchten sie nämlich einen Mann in einer fremden Welt. Im Idealfall einen eigenen Kurator. Wenn ich mich bereit erklären würde, mit ihnen eine Allianz einzugehen, dann würden meine Möglichkeiten und ihre Biotechnologien die Sache entscheiden. Arkan würde die Kontrolle über unsere Erde verlieren! Wir könnten sie endlich selbst regieren!«
»Wir? Oder die Menschen?«
»Mhm ...« Kotja grinste. »Sind wir beide etwa keine Menschen?«
»Dann würden wir über die Ressourcen der Erde verfügen und könnten - eventuell zusammen mit Feste - auch meine Welt von den Arkanern befreien«, sagte Illan. »Wir müssen nur aufpassen, dass wir Feste auf Abstand halten und ihnen nicht erlauben, die Stelle Arkans einzunehmen ...«
»Dann hast du also nicht vor ...« Ich stockte, denn ich wollte die Sache möglichst auf den Punkt bringen. »... alles kurz und klein zu schlagen? Und beispielsweise die Funktionale zurück in normale Menschen zu verwandeln? Oder alle Menschen in Funktionale? Oder ... eben alles kaputtzumachen?«
»Wozu?«, fragten Kotja und Illan unisono. Sie blickten sich an.
»Du hast zu viele alte Filme geguckt«, meinte Kotja.
»Revolutionsfilme. Warum sollten wir ein gut funktionierendes System zerstören?«
»Um die Funktionale ... vor der Sklaverei zu bewahren.« Ich guckte zu Illan rüber.
Die zuckte bloß mit den Achseln. »Die Sklaverei besteht doch nur darin, dass wir von Arkan aus kommandiert werden. Dass sie uns mit der Leine an unsere Funktion ketten. Ansonsten ... ist an dem System doch nichts auszusetzen. Gefällt es dir etwa nicht, ein Funktional zu sein?«