Выбрать главу

Kotja und ein Satellitentelephon, das war ebenfalls eine erstaunliche Kombination. Das stellte sogar die Tatsache in den Schatten, dass er der Kurator für die Funktionale auf unsere Erde war ...

»Ich selbst habe keineswegs die Absicht, in der Zwischenzeit die Hände in den Schoß zu legen«, informierte mich Kotja. »Gleich werde ich einen Politiker treffen ...«

»Dima?«, brillierte ich mit meinen profunden Kenntnissen.

»Du bist genau wie der Mann, der einen Chinesen kennt«, kicherte Kotja, »und dann einen zweiten trifft, dem er erklärt: ›Ich bin ein Bekannter von Herrn Sun Win. Kennen Sie ihn?‹ Nein, Kotja. Ich werde jemanden treffen, der wirklich wichtig ist. Pjotr Petrowitsch ... falls dir der Name etwas sagt.«

»Richte Sascha, seinem Referenten, einen Gruß von mir aus«, erwiderte ich.

Kotja verschluckte sich und fixierte mich mit unverhohlener Verwunderung. »Oho ... und wann hast du ... ach, egal. Kannst du zufällig eine Krawatte binden?«

Der Tasche seines Jacketts entnahm er eine aufgerollte Seidenkrawatte, die golden schimmerte und mit kaum erkennbaren violetten Fischen bedruckt war. Ein offenkundig teures Stück.

»Ja«, antwortete ich. »Das mache ich für meinen Vater auch immer. Ständig bittet er entweder meine Mutter oder mich darum.«

»Ich hab’s nie gelernt«, gestand Kotja.

Schweigend legte ich mir die Krawatte locker um den Hals und knüpfte einen einfachen Windsorknoten.

»Danke«, sagte Kotja, nachdem er sich die Krawatte über den Kopf gezogen hatte. »Nimm meine Jacke. Nur im Hemd kommst du in Moskau jetzt nicht mehr weit. In der Innentasche ist Geld ...«

Die Jacke lag auf einer Bank vor der Wand. Wirklich warm war sie nicht, eher etwas für den Übergang, aus festem grauem Stoff und mit Knöpfen. Aber vermutlich würde ich mich ja nicht lange in Moskau aufhalten.

»Mal überlegen, zu wem schicken wir dich jetzt?«, dachte Kotja laut nach. »Möglichst jemand, der noch nichts über dich weiß.«

»Wenn er ein Funktional ist, wie sollte er dann nichts über mich wissen?«, äußerte ich meine Zweifel. »Ist das überhaupt denkbar, Kotja? Ich habe den Eindruck, sie alle lesen die Wöchentliche Funktion.«

»Nein.« Kotja schüttelte den Kopf. »Es gibt auch welche, die ganz bewusst Abstand zum Leben der Funktionale halten und gewissermaßen ›Menschen spielen‹. Dann gibt es desinteressierte, die schon ein paar Hundert Jahre leben und nur noch ihre Hobbys im Kopf haben, zum Beispiel das Sammeln von Briefmarken mit Orchideendarstellungen, die Zucht seltener Panzerwelse im Aquarium, die Erstellung von Porträts großer Schriftsteller in Kreuzstickerei ... Und es gibt analphabetische Funktionale.«

»Analphabetische?«, japste ich.

»Genau. In der Regel aber nur in Afrika oder Asien. Ich werde dich jedoch über Moskau nach Orysaltan schleusen ...« Kotja dachte mit gerunzelter Stirn nach. »Danila würde dich durchlassen, aber er würde dich auch erkennen. Anna müsste dich nicht unbedingt erkennen, aber ... Halt! Nikolenka! Der erkennt dich mit Sicherheit nicht!«

»Warum nicht?«, fragte ich misstrauisch.

»Er hat einen alternativen Informationszugang für sich gefunden.« Kotja setzte das durchtriebene Lächeln eines Menschen auf, der das Geheimnis eines nur ihm bekannten Zaubertricks nicht vor der Zeit zu lüften gedachte. »Keine Sorge, mit ihm ist alles in Ordnung, er ist ein guter Zöllner. Ihr wäret Kollegen gewesen, bald bestimmt auch dicke Freunde geworden, er lebt ganz in der Nähe, in Marjina Roschtscha. Hier ist seine Adresse ...«

Er zog eine weitere Visitenkarte aus der Tasche, schrieb rasch und ohne groß überlegen zu müssen etwas auf die Rückseite und reichte sie mir. Ich las: Von der Frauenklinik Nr. 9 gehst du ... Es folgten drei Zeilen mit Anweisungen. Unwillkürlich schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass ein derart bemerkenswertes Gedächtnis verdächtig ist. Vermutlich hatte Kotja schon vorab alles entschieden, wohin und zu wem er mich schicken würde. Die Show hatte er dann nur abgezogen, um mir die Bedeutung des Ganzen klarzumachen.

Oder sollte ein Kurator doch alle seine Zöllner kennen?

Vielleicht fand Kotja aber auch nur Gefallen daran, andere Welten zu besuchen und sich die interessantesten Übergänge einzuprägen?

Nein, ich konnte nicht mit jemandem einen Krieg der Welten anzetteln - und ihm dann nicht vertrauen! Außerdem blieb mir sowieso keine andere Wahl, als Kotja zu vertrauen ...

»Fehlt nur noch eine Satellitenaufnahme«, frotzelte ich.

»Die würde dir auch nicht helfen«, winkte Kotja ab. »Da würdest du nur einen hellen Fleck oder einen anderen Fehler bei der Darstellung sehen.«

Oho! Von solchen Dingen hatte ich keine Ahnung.

Aber wie viel hatte ich denn schon über das Leben der Funktionale in Erfahrung bringen können?

»Ich hoffe bloß, dieser Nikolai erkennt mich nicht ...«, murmelte ich.

»Dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Die Geschichtchen der Funktionale sind ihm schnurzegal.«

»Werde ich seinen Turm sehen? Oder auch nur ... einen hellen Fleck?«

»Ich glaube, du wirst ihn sehen. Du musst dir einen Teil deiner Fähigkeiten bewahrt haben. Schließlich hast du auch Wassilissas Haus gefunden!«

Ich nickte. Einerseits wollte ich nicht aufbrechen, andererseits wünschte ich mir nichts sehnlicher, als endlich die normale, gewohnte Welt wiederzusehen.

»Also, ich suche diesen Nikolai ...«

»... und zeigst ihm die Visitenkarte. Wenn was ist, ruf mich an, dann erteile ich ihm einen Befehl.« Kotja grinste.

»Nikolai wird dir auch erklären, wie du zu Andrjuscha in Orysaltan gelangst. Dem gibst du den Brief und bittest ihn, für dich Gespräche mit den Regierenden von Feste anzuleiern.«

Ich nickte erneut, genau wie die chinesische Porzellanfigur aus dem Märchen von Andersen. Nicht umsonst wurde bei ihr betont, dass sie ständig nickte. Wer immer nur nickt, ist irgendwann zu nichts anderem mehr fähig.

»Hauptsache, diese verbohrten Pfaffen kommen nicht auf die Idee, den Platz der Arkaner einzunehmen«, sagte ich eher schon aus Beharrungsvermögen und nicht, weil ich es auf Streit mit Kotja abgesehen hatte.

In meinem Kopf herrschte ohnehin nur noch ein Gedanke: Moskau!

Wie mir das inzwischen alles zum Hals raushing, Charkow, Nirwana, Janus, Polen und überraschenderweise sogar Tibet! Auf einer seltsamen Route war ich durch drei Länder und drei Welten gerauscht, hatte immer wieder flüchtige Blicke nach links und nach rechts geworfen - und war bloß wütender und wütender geworden. Warum eigentlich? Hatte ich mir zu wenig Zeit genommen? Nein, im Grunde machten mir selbst solche Kurztrips Spaß. War es zu viel auf einmal? Kaum. Anja und ich waren mal im Autobus durch Europa gereist und hatten es genossen.

Ob eine Reise einen richtigen Anfang und ein richtiges Ende haben musste? Und einen nicht so überrollen und überrumpeln durfte?

Vermutlich.

Selbst Tibet bereitete mir keine Freude, und in Polen war irgendwie alles verquer gelaufen (mit dem sechsten Sinn wusste ich, dass Marta und ich, hätte die Polizei nicht dazwischengefunkt, eine ganz eigene Art gewusst hätten, den Abend ausklingen zu lassen).

Würde ich jetzt, unterwegs auf einer von vornherein abgesteckten und klaren Route nach Feste, mehr Gefallen an der Reise finden?

»Dann schick mich mal auf die Reise, Kotja«, sagte ich. »Also ... wenn ich aus deinem Arassultan zurück bin, dann hol mich sofort zu dir. Klar?«

Kotja nickte, stand auf und wischte sich die Lippen mit der Serviette ab. »Klar. Ich schicke dich an einen Ort ganz in der Nähe, bei der Frauenklinik ...«

Seine Hand glitt durch die Luft, als würde er Runen zeichnen. Seine Finger zogen blaue Feuer nach sich. Mir schoss unwillkürlich durch den Kopf, dass Kotja eine wandelnde Reklamefigur für ›Gasprom‹ abgeben würde.

Oder, wenn er in Amerika leben würde, für irgendeinen Comic-Helden.

Burner.