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»Dann werden wir einander leichter verstehen«, vermutete ich. »Ich hatte angenommen, bei Ihnen sei alles wesentlich strenger ... Was werfen Sie den Funktionalen denn nun eigentlich vor? Dass sie Ihnen ihren Willen aufzwingen?«

»Das ist nicht das Problem.« Marco lächelte. »Das sollten sie mal versuchen ... Streit ist eine Conditio sine qua non für jegliche Entwicklung. Nein, Kirill, was uns empört und demütigt, ist, dass die Funktionale ihre göttliche Natur verraten haben. Sie haben sich von dem abgewandt, was ihnen von Gott gegeben wurde, und haben sich dem zugewandt, was vom Teufel kommt. Das ist nicht wörtlich zu verstehen ... selbst wenn das Auftauchen der Funktionale eindeutig von Schwefelgeruch begleitet wird ...«

Abermals lächelte Marco. Was für ein fortschrittlicher Kirchenmann! Der mich die ganze Zeit über anhielt, nur nicht jedes Wort von ihm auf die Goldwaage zu legen.

»Aber Sie experimentieren doch selbst mit Biotechnologien. Sie manipulieren Tiere ...«

»Tiere, Kirill. Ausschließlich Tiere. Und die tragen das Abbild Gottes nicht in sich, weshalb der Mensch das Recht hat, sie zu vervollkommnen und damit den Willen des Schöpfers zu erfüllen.«

»Verstehe«, sagte ich hintergründig. »Also liegt das Problem darin, dass die Funktionale ... sich zu Übermenschen aufgeschwungen haben?«

»Zu Unmenschen!« Marco hob den Finger. »Und das entspricht nicht dem Willen Gottes. Zwischen den Segnungen Gottes und den Versuchungen des Teufels gibt es einen klaren Unterschied. Die Wunder des Herrn sind unerschöpflich, weil auch seiner Stärke keine Grenzen gesetzt sind. Wenn ein heiliger Mensch zu heilen vermag, dann ist er dazu jederzeit imstande. Oder er kann es nicht, wenn dies denn der Wille des Herrn sei. Den Verlockungen des Teufels haftet dagegen etwas Starres an. Sie gehen mit einer klaren Grenze und strikten Verboten und Regeln einher: Man heilt nur fünf Menschen pro Tag oder nur bei Vollmond oder nach Durchführung eines zuvor klar festgelegten Rituals ...«

»Die Leine«, sagte ich. »Die Leine der Funktionale, die sie an die Funktion kettet ...«

»Richtig!«, meinte Marco erfreut. »Genau das ist das Zeichen des Teufels. Der Leibhaftige ist nicht imstande, etwas ohne Einschränkung zu geben, seine Geschenke« - das letzte Wort stieß Marco mit unverhohlener Verachtung aus - »haben stets ihre Grenzen, seine Großzügigkeit ist knapp bemessen, seine Möglichkeiten sind bescheiden. Der Teufel ist stark, aber seine Stärke ist nicht unerschöpflich. Natürlich sind die Funktionale keine Teufel, sondern lediglich Menschen. Ehemalige Menschen, verführt vom Leibhaftigen.«

Ich sagte keinen Ton. »Dann glauben Sie also ernsthaft an den Teufel?«, fragte ich nach einer Weile.

»Wie könnte ich an Gott glauben - aber nicht an den Teufel?«, antwortete Marco mit einer Gegenfrage.

Der Kampfterrier zu meiner Rechten kläffte laut. Vermutlich beschimpfte er auf diese Weise die sinistren Pläne des Teufels.

Ich verstummte.

Irgendwie stellte sich Feste als nicht so beängstigend dar, wie ich angenommen hatte. Andererseits machte mir die Unterhaltung auch endgültig klar, wie schwer es sein würde, mit den hiesigen Machthabern zu einer Übereinkunft zu gelangen. Wenn neben den eigentlichen Verhandlungspartnern auch noch Gott und der Teufel in ihrer unsichtbaren Gestalt am Tisch saßen, würden es sehr, sehr schwierige Gespräche werden ...

Für eine Welt, in der alle Ankömmlinge aus anderen Ebenen des Daseins als freiwillige oder unfreiwillige Werkzeuge des Teufels gelten (ja, ja, vielen Dank, dass nicht gleich alle Fremden für Dämonen gehalten werden!), wurde ich einfach großartig aufgenommen. Die Kutschfahrt dauerte nicht länger als eine halbe Stunde, dann stiegen wir in einem abgeschlossen Hof mit weinumrankten Mauern und einem Springbrunnen aus, dessen Wasser in ein kleines Becken plätscherte. Zum Hof hin lagen die Fenster und Balkons eines einstöckigen Hauses, ein altehrwürdiges, sich im Sonnenschein erhebendes Gebäude, aus dessen Steinfugen Gras hervordrängte. Es war so still, als befände sich die Stadt in weiter Ferne, einzig Zikaden zirpten. Dieses Haus, so erklärte man mir, sei mir als Residenz für meinen Aufenthalt auf Feste zur Verfügung gestellt worden. Jemand erkundigte sich, ob ich gerade faste und was ich, falls nicht, zu speisen wünsche. Die Gardistinnen blieben im Erdgeschoss, Marco verabschiedete sich mit offenkundigem Bedauern, da er seinen Dienst an der Zollstelle fortzusetzen hatte. Ich ging in den ersten Stock hinauf und inspizierte neugierig die mir zugeteilten Zimmer.

Wie ich vermutet hatte, gingen alle Fenster in den Innenhof hinaus. Alles in allem erinnerte meine Residenz eben doch an ein Luxusgefängnis. Die Zimmer waren dennoch sehr schön, groß und hell, der Boden mit altem kühlem Parkett, Gobelins in Pastelltönen, einige Gemälde, Stillleben und bukolische Landschaften. Insgesamt gab es im ersten Stock drei Schlafzimmer (Platz genug für eine kleine Delegation), drei Bäder (zwei kleine und ein gigantisches, mit einer riesigen Marmorwanne und einer ungewöhnlich konstruierten Dusche, bei der das Wasser nicht aus einer Brause kam, sondern aus einem breiten Bronzetrichter), außerdem noch einen großen Gemeinschaftsraum mit Sesseln und Tischen, ein Raucherkabinett (ich hatte nicht erwartet, dass man auf Feste rauchen durfte, weshalb ich von der Kiste mit Zigarren und den Päckchen mit filterlosen Papirossy angenehm überrascht war) sowie eine kleinere Bibliothek.

Mehr als alles andere beschäftigte mich die Bibliothek. Ich hatte den Eindruck, die Bücher seien sorgfältig ausgewählt worden, um Gästen gegenüber ja nicht allzu viel preiszugeben. Das eine oder andere erschloss sich mir aber dennoch - und das machte mich völlig baff.

Den Luxusausgaben nach zu urteilen musste beispielsweise Voltaire ein hochgeschätzter Autor sein. Die Bände waren in braunes Leder gebunden und mit einem Zitat in Goldschrift verziert: Wir müssen unseren Garten bestellen; darunter prangte auf jedem Einband ein rebenumwundenes Kreuz.

In unserer Welt hätte diesen scharfsinnigen Freidenker niemand für einen Freund der Kirche gehalten. Mein Vater verehrte diesen Autor ungeheuer, ich selbst hatte jedoch nur Die Jungfrau von Orleans gelesen, noch dazu als Teenager, verführt von dem Wort Jungfrau und den zahllosen amüsanten Frivolitäten. Ich weiß noch, dass jeder in dem Buch davon träumte, der tapferen Jeanne d’Arc an die Wäsche zu gehen, von dem hermaphroditischen Dämon angefangen bis hin zu ihrem eigenen Esel. Als ich die hiesige Variante der Jungfrau von Orleans durchblätterte, wurde mir klar, dass ich ein völlig anderes Buch in Händen hielt. Tolkien hätte es geschrieben haben können. Ein Heldenepos in Versen, von Satire nicht die geringste Spur.

Fünf andere Werke kannte ich nur dem Titel nach. Allerdings war ich fest davon überzeugt, dass Voltaire zwar auch ein Buch mit dem Titel Zadig, oder das Geschick vorgelegt hatte, dies jedoch niemals zusammen mit dem Werk Achill, oder das Missgeschick in einer Dilogie erschienen war.

Ich entdeckte Dickens, Swift, Hugo und Dostojewski. Wie gesagt, ich bin kein großer Freund der klassischen Literatur, aber ich war mir doch relativ sicher, Gulliver habe nur vier Reisen gemacht, nicht sieben. Zumindest hatte ich von einer »Reise nach Dagoma«, der »Reise ins Land der Kjonk« oder der »Reise nach Hargenlog« noch nie gehört.

Und gewiss, Dostojewski hatte die Dämonen geschrieben - aber hatte er auch Engel und Teufel geschrieben?

Die Schlussfolgerung, die sich quasi von selbst aufdrängte, war im Großen und Ganzen recht positiv: Auf Feste hatten die Schriftsteller zwar andere Bücher geschrieben, dafür aber mehr.

Ein ganzes Fach war Kinderbüchern vorbehalten, als rechne man damit, in diesem Haus Familien mit Kindern einzuquartieren. Pinocchio schien mir dem Original sehr nahe zu sein, wohingegen der Zauberer von Oz keinesfalls Abenteuer in einem Zauberland schilderte. Eher schien es vor jeglichem Kontakt zu Wesen aus anderen Dimensionen zu warnen ... Aber nahm das wunder?