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Ich hielt nach Harry Potter Ausschau. Mich interessierte brennend, wie die Geschichte des Zauberlehrlings auf Feste aussah. Anscheinend hatte sich die Abspaltung jedoch zu früh vollzogen. Vielleicht war Rowling hier nie geboren worden. Oder sie war eine glückliche Hausfrau mit vielen Kindern. Womöglich gab es in den Cafés in dieser Welt aber auch einfach keine Papierservietten.

Mit einem gewissen Bedauern verließ ich die Bibliothek wieder, bewaffnet nur mit einem schmalen Band Aphorismen von Montaigne. Wenn du nicht weißt, wann du deine Lektüre unterbrechen musst, nimmst du dir am besten einen kurzen Text vor. Ich zündete mir eine Papirossa an (der Tabak stellte sich als überraschend leicht heraus) und fing an zu lesen. Ob ich überwacht wurde? Ihre Technik war nicht sonderlich hoch entwickelt, aber echte Meister brauchten ja nicht mehr als ein Loch in der Wand, einen Spiegel und ein geschickt verlegtes Lauschrohr.

Gerade als ich mich im Raucherkabinett an der Beobachtung »Mit einem Wirrkopf guten Willens zu diskutieren ist unmöglich« ergötzte, bekam ich Besuch.

»Gott schütze dich, mein Freund.«

Ich sprang hoch, legte das Buch weg und machte gleichzeitig die Zigarette aus. Das Zimmer hatte ein angejahrter Mann betreten (hinter dem kurz die bunten Uniformen aufgeblitzt und sogleich wieder verschwunden waren), der eine leuchtend rote Soutane und ein rotes Birett trug. Faltenreich, glatt rasiert, silbergraues Haar, aber so funkelnde Augen wie ein junger Mann.

Ein Kardinal?

Der Mann trug einen friedlich schlummernden Terrier auf dem Arm. Sein Gesicht wirkte sehr intelligent und klug. Andererseits: Auf einem solchen Posten würde man in keiner Welt einen Idioten antreffen.

»Eure Eminenz ...«, brachte ich zu meiner eigenen Überraschung heraus, mich an ein Buch erinnernd oder an den Film von den drei Musketieren und ihrem gascognischen Freund. Obendrein vollführte ich noch eine ungeschickte Verbeugung.

Der Kardinal musterte mich eindringlich. Nach einer Weile nickte er. »Ja, du hast recht. Mein Name ist Rudolf, ich bin einer der Kardinäle des Konklaves. Friede sei mit dir, Kirill aus Demos. Du bist auf einem Umweg zu uns gekommen, verängstigt und an solche Missionen nicht gewöhnt. Gleichwohl bist du von dem Wunsch erfüllt, sie zu Ende zu bringen ... Mithin hältst du sie für wichtig. Setz dich.«

Wir nahmen einander gegenüber Platz. Ich verbrannte mir die Finger, als ich die immer noch hartnäckig vor sich hinqualmende Kippe ausdrückte.

»Du kannst gern rauchen«, bot der Kardinal lächelnd an. »Besser du bist ruhig als nervös, weil du gegen dein Laster kämpfst. Wenn der Herr den Tabak geschaffen hat, dann hat er sich etwas dabei gedacht.«

»Ich komme mit einer Botschaft von Erde-2«, erklärte ich. »Von Demos, wie Sie es nennen.«

»Wen vertrittst du?«, wollte Rudolf ruhig wissen.

»Grob gesprochen mich und meinen Freund«, teilte ich ihm mit.

»Und wer ist dein Freund?«

»Der Kurator unserer Erde.«

Die Finger des Kardinals, die über das Fell des Yorkshires strichen, erzitterten und hielten inne.

»Wie interessant«, kommentierte er. »Wie ausgesprochen interessant. Ist deine Zeit sehr knapp bemessen?«

»Unser aller Zeit ist knapp bemessen«, sagte ich. »Aber sie reicht für einen Bericht.«

»Dann berichte mir alles von Anfang an«, forderte Rudolf mich auf. »Fang mit dir an.«

»Ich bin Kirill«, stellte ich mich vor. »Kirill Maximow. Ich habe in Moskau gelebt, in Russland. Das ist die Hauptstadt unseres Landes ... aber das spielt eigentlich keine Rolle. Nach der Schule habe ich am MAI studiert ... das ist das Institut für Luftfahrt. Wir haben solche Maschinen, Flugzeuge, sie fliegen durch die Luft ...«

»Wir haben gewisse Vorstellungen von eurer Welt«, versicherte der Kardinal lächelnd. »Erzähl nur, wenn mir etwas unverständlich ist, werde ich dich um eine Erklärung bitten.«

»Gut. Ich war also an der Uni, irgendwann habe ich das Studium abgebrochen ... Es war nicht sonderlich interessant, das heißt, interessant war es eigentlich schon, aber nicht gerade aussichtsreich. Ich habe dann in einem Computerladen angefangen ... als ... als Verkäufer, um die Wahrheit zu sagen.«

»Das ist eine ebenso anständige Arbeit wie jede andere auch, sofern sie ehrlich ist«, merkte der Kardinal ernsthaft an.

»Ich habe allein gelebt, ich hatte eine Freundin, doch wir hatten uns getrennt ... Eines Tages bin ich nach Hause gekommen und habe gesehen, dass die Tür zu meiner Wohnung offen stand ...«

Nach und nach beruhigte ich mich. Vielleicht weil mein seltsamer Gesprächspartner (falls jemand häufig mit Kardinälen aus fremden Welten plaudert, bin ich sofort bereit, das Wort »seltsam« zurückzunehmen) zuzuhören verstand. Das ist eine wichtige Tugend aller Priester und Politiker - und immerhin war er das eine wie das andere.

Ich berichtete, wie ich aus unserer Realität ausgelöscht worden war. Wie sie mich zum Zöllner gemacht hatten und ich fremde Welten besucht hatte. Wie ich aber beschlossen hatte, der Wahrheit auf den Grund zu kommen und herauszufinden, wer noch über den Funktionalen selbst stand. Wie ich nach Arkan gelangt war, wie sie mich gejagt und die Frau, in die mich verliebt hatte, ermordet hatten, wie mein Freund mich umbringen wollte, wie ich dahintergekommen war, dass er Kurator ist, und wie ich abermals durch die Welten geschliddert war, wie Kotja und ich uns ausgesprochen und beschlossen hätten, gemeinsam zu kämpfen ...

Zweimal brachte jemand Getränke, für mich Kaffee, für den Kardinal Tee. Auf einen kleinen Tisch stellte man uns Schalen mit Obst und Nüssen hin. Mit einem missbilligenden Blick besorgte mir eine der Frauen in den Michelangelo-Uniformen außerdem einen neuen Aschenbecher.

Der Kardinal stellte nur selten eine Frage. Mich überraschte nicht, dass er sich besonders für Arkan interessierte, aus mir nicht einsichtigen Gründen weckte aber auch Janus seine Neugier. Über meine Welt und Veros ging er dagegen hinweg. Ob es auf der Erde vielleicht Agenten von Feste gab?

Am Ende war ich fix und fertig. Da es bereits dämmerte, mussten wir mindestens fünf, sechs Stunden miteinander gesprochen haben.

»Eine interessante Geschichte«, meinte Rudolf. »Eine höchst interessante ... Du bist also ein ehemaliges Funktional, das noch über gewisse obskure Reste seiner Fähigkeiten verfügt, dein Freund ist Kurator, das Hauptfunktional von Demos, und hat seine Fähigkeiten teilweise eingebüßt, und ihr beide wollt ...« Er machte eine Pause. »Darin genau besteht die Frage: Was ihr eigentlich wollt. Euch gegen Arkan verteidigen und danach normale Menschen werden?«

»Kann man sich denn als normaler Mensch gegen Arkan zur Wehr setzen?«, antwortete ich mit einer Gegenfrage. Der Plan, den ich mir für dieses Gespräch zurechtgelegt hatte, erschien mir mit einem Mal naiv und falsch.

»Wir konnten es schließlich auch.«

»Aber wie? Wie entdecken Sie die Portale, die in Ihre Welt führen, überhaupt? Wie identifizieren Sie die Emissäre von Arkan? Nein, ich habe nicht die Absicht, das auszukundschaften«, beeilte ich mich klarzustellen. »Glauben Sie nicht, dass ich als Spion hierhergekommen bin ... obwohl ich es natürlich gern wissen würde, aber das ist nicht das Entscheidende. Doch vielleicht könnten Sie mir schildern, wie und warum Sie Arkan besiegt haben? Sie sind natürlich nicht verpflichtet, mir zu glauben, dennoch könnten Sie mir womöglich das eine oder andere sagen, was für die Arkaner kein Geheimnis ist, uns in unserem Kampf jedoch helfen würde.«

»Auch in diesem Fall stellt sich die Frage, wogegen euer Kampf gerichtet ist«, gab der Kardinal seufzend zu bedenken. »Kirill, unsere Welt ist - sei dies nun Gottes Wille oder ein Ränkespiel des Teufels ... ja, auch diesen Gedanken ziehe ich in Erwägung, denn der Teufel, wiewohl in seiner Macht beschränkt und nicht allwissend, kann uns das Böse wünschen, doch die Gnade des Herrn verwandelt dieses Böse in Gutes -, kurz und gut, unsere Welt ist eine religiöse.«