Dafür gab mir das gleich ein Betätigungsfeld! Ich würde als Gentechniker arbeiten. Ich würde lebende Computer züchten! Bei uns diskutierte man doch auch schon überall, ob es möglich war, einen Computer aus lebender Materie zu bauen. Und hier, wo Infrarotsichtgeräte und UV-Detektoren aus Quallen hergestellt wurden, würde das viel einfacher sein. Immerhin war dieser Planet doch auch eine Erde, wenngleich eine andere. Cervantes kannten sie nicht, dafür hatte Swift über seinen Gulliver eine ganze Serie geschrieben! Es hatte eben alles seine Vor- und Nachteile ...
Ihr Cognac war vorzüglich, der Tabak nicht verboten ... und die Frauen hübsch. Obwohl man vermutlich besser kein Auge auf diese wackeren Karmeliterinnen warf ...
Ich schlief mit den friedlichsten Gedanken ein.
Wofür unter Umständen auch der Cognac aus dem fremden Frankreich verantwortlich sein konnte.
Mich weckte ein Vogel, der vor meinem Fenster sang. Ich hob den Kopf hoch und starrte fassungslos zum Fenster hinaus.
Der Tag war bereits angebrochen, am blauen Himmel hing nicht eine Wolke. Ein buschiger grüner Zweig wippte hinter dem offenen Fenster auf und ab. Ein kleiner Vogel, der nur etwas größer als eine Meise war und einen azurblauen Körper und himbeerrote Flügel hatte, saß festverkrallt auf dem schaukelnden Ast und sang:
Mein Freund, der neue Tag ist da!
Die Liebe kehrt in dein Haus ein,
Ein Himmel voller Sonnenschein.
Mein Freund, der neue Tag ist da!
Der Vogel hatte zwar ein zartes, aber kein piepsiges Stimmchen. Eine angenehme Stimme, fast als sänge in der Ferne eine Frau.
Als der Vogel bemerkte, dass ich ihn ansah, zwitscherte er und hüpfte über den Zweig weiter ans Fenster heran. Ich bettete den Kopf wieder auf das Kissen.
War das ein Weckvogel? Oder ein Weck- und Wettervogel?
Lieber Freund, wach auf!
Preise den Herrn, halleluja!
La, la, la, la, la, la, la, la, la!
Lieber Freund, wach auf!
»Hau ab, du Unglücksvogel!«, rief ich aus. Als mir die Art und Weise einfiel, in der sich Andrej aus Oryssultan ausdrückte, fügte ich noch hinzu: »Schweig still, Sohn des Kummers und Stiefvater der Entspannung!«
Zumindest den Ton verstand der Vogel. Er tschilpte empört und flog davon.
Sollte ich mich über ihn wundern? Können Wellensittiche nicht etwa auch sprechen? Eben! Man musste es also nur noch bewerkstelligen, dass ihre Stimme angenehmer klang. Und ihnen ein paar Lieder beibringen. Wenn es regnet, würden sie wahrscheinlich singen:
Leichter Regen, darauf warten
Alle Gräser und der Garten!
Und wenn es sich bezieht, würden sie anstimmen:
Schwarz, schwarz, Schatten,
Der Himmel ist voller Matten!
Wenn man mal in Ruhe darüber nachdachte, war ein normaler Elektrowecker mit eingebautem Barometer und Hygrometer ja nicht weniger erstaunlich.
Ich stand auf und ging ins Bad. Unter der Dusche genoss ich das Gefühl des auf meinen Körper einprasselnden Wassers über alle Maßen. Ich nahm mir vor, zu Hause die dämliche Brause mit all ihren Löchern für normalen Strahl und für Massagestrahl abzuschrauben und mich nur noch direkt aus dem Schlauch zu bespritzen ...
Das Frühstück servierte man im Gemeinschaftsraum. Das Essen brachte ein junger Koch, der sehr ernst aussah. Ich hatte den Eindruck, er befürchte, die heißen Brötchen, der Camembert, die weichgekochten Eier, der Capuccino und der frisch gepresste Saft könnten mir nicht schmecken. Zu meiner Verwunderung handelte es sich bei dem Saft um Gemüsesaft - Tomate schmeckte ich heraus, Rote Bete und Sellerie -, der mit einer dicken Schicht fein gehackter Kräuter bestreut war. Er schmeckte erstaunlich gut, auch wenn ich persönlich auf den Sellerie verzichtet hätte.
Noch besser gefiel mir allerdings, dass ich nicht allein frühstückte. Marco tauchte zwar nicht auf, dafür aber die Korporalin von gestern. Die Frau trug heute keine Uniform, sondern ein weißes Kleid. Und sie kam nicht allein: Ihr Yorkshire sprang munter hinter ihr drein.
»Wollen Sie allein frühstücken, Kirill?«, erkundigte sie sich wie eine gute Bekannte. »Oder darf ich Ihnen Gesellschaft leisten?«
»Mit Vergnügen«, sagte ich. Auch ein Kompliment konnte ich mir nicht verkneifen. »Die zivile Kleidung ... steht Ihnen sehr gut.«
Von der Zivilkleidung abgesehen, hatte die Frau auch zu ein wenig Schminke gegriffen, die Lippen waren fraglos gefärbt. An ihrem Hals schimmerte zudem ein ungewöhnlicher, aber aparter Schmuck: Kleine goldene Bienen, die hintere stets an der vorderen festgeklammert.
»Vielen Dank.« Sie quittierte das Kompliment mit einem Lächeln. »Während der Ausbildung musste ich immer eine strenge Tracht tragen. Das ist so Vorschrift. Und jetzt bei der Garde die Uniform. Aber im Moment habe ich frei. Ach ... wie ungehörig. Ich heiße Elisa.«
Ich rückte der Frau den Stuhl zurecht und ertappte mich dabei, wie ich leicht nervös wurde. Natürlich ist es weitaus angenehmer, in Gesellschaft zu frühstücken. Aber wer wusste denn, welche Regeln in dieser Welt bei Tisch galten. Fügte ich meinen freundlichen Gastgebern womöglich eine tödliche Beleidigung zu, wenn ich Elisa nicht half, Zucker in den Kaffee zu geben oder ihr Ei zu pellen?
Sollte ich bisher in irgendeinen Fettnapf getreten sein, hatte sich die Frau zumindest nichts anmerken lassen. Im Gegenteiclass="underline" Ich durfte selenruhig und ohne ein Wort zu sagen frühstücken, während sie mich mit ihrem Geplauder unterhielt. Dem Anlass entsprechend fiel ihr zunächst ein, wie das Frühstück in dem Kloster gewesen war, in dem sie, Elisa, die Ehre gehabt hatte, ihre Ausbildung zur Gardistin zu absolvieren. Der Bericht kam dann wie von selbst auf das Kloster und die Ausbildung einer Horde junger, lebenslustiger Frauen in der Kunst des Kampfsports, der meisterlichen Handhabung der Pike und »anderer Spezialutensilien«. Als Elisa einen Witz über eine Klostervorsteherin, eine Pike und einen überstrengen Kardinal erzählte, der die militärische Ausbildung kontrollierte, verschluckte ich mich fast am Kaffee, denn ich musste aus vollem Hals lachen.
»Ich hätte mir nie im Traum einfallen lassen«, gestand ich schließlich, »dass hier der Ausdruck phallisches Symbol bekannt ist. Ich bin davon ausgegangen, diese Gesellschaft sei weit puritanischer.«
»Und wer sind die? Diese Puritaner?«
»Äh ... also, die gab’s bei uns mal. Kurz gesagt, Gläubige mit sehr strengen Ansichten.«
»Der Glaube darf nie eng sein«, meinte Elisa, die gerade ein Stück von ihrem Brötchen abgebissen hatte. »Ich bin verpflichtet, meine Jungfräulichkeit zu bewahren, solange ich der Garde angehöre, das ist meine heilige Pflicht. Aber das heißt nicht, dass mich die Beziehungen zwischen Frauen und Männern nicht interessieren. In drei Jahren verlasse ich die Garde und werde vermutlich nicht ins Kloster zurückkehren. Ich möchte einen anständigen Mann heiraten. Eine Gardistin ist übrigens eine gute Partie.«
»Das glaube ich gern. Dürfen Sie den Hund behalten?«
»Selbstverständlich.« Sie zerzauste ihrem kleinen Gefährten das Fell. »Sie würden kein anderes Frauchen akzeptieren. Deshalb wird Pfündchen bei mir bleiben.«
Ich nickte begeistert.
Was für eine herrliche, idyllische Welt! Unsere Erde ist wahrscheinlich die rückständigste und chaotischste aller bewohnten Welten!
»Man hat mir vorgeschlagen, hier bei Ihnen zu bleiben«, sagte ich. »Wenn ich das Angebot annehme, könnte ich Sie in drei Jahren ja mal in ein schönes Restaurant einladen.«
»Ich mag schöne Restaurants«, erwiderte Elisa lächelnd. »Also laden Sie mich ruhig ein. Sind Sie denn irgendwie bedroht?«
»Etwas ... in der Art«, meinte ich. »Ich habe mich mit den Funktionalen überworfen.«
»Die sind widerlich«, erklärte die Frau mit fester Stimme. »Bleiben Sie bei uns, wir werden Sie verteidigen.«