Bedrückt sann ich darüber nach, dass meine Chancen bei Elisa gewaltig sinken würden, wenn sie erfuhr, dass ich ein ehemaliges Funktional war. Aber vielleicht gab es in Italien ja gar nicht so wenig Elisas?
»Es ist allerdings bedauerlich, dass es hier überhaupt keine Technik gibt«, fuhr ich fort. »Ein Flugzeug macht das Reisen so viel leichter, auch das Telephon ist eine bequeme Sache ...«
»Ich weiß nicht, was ein Flugzeug ist, obwohl ich seinen Zweck erahne.« Sie nickte abwägend. »Aber noch kennen Sie unsere Welt ja überhaupt nicht. Vielleicht entdecken Sie bei uns etwas, das Ihnen gefällt?«
»Das habe ich schon«, machte ich ihr erneut ein Kompliment. Irgendwie war ich heute in Hochform.
Diesmal ging Elisa nicht darauf ein. »Nach dem Mittagessen erwartet Sie das kleine Konklave«, informierte sie mich. »Eine Eskorte wird sie abholen, ich werde Sie ebenfalls begleiten. Marco ist der Ansicht, Sie bräuchten jemand, den Sie kennen, damit Sie nicht so nervös sind. Er selbst musste jedoch wegfahren.«
»Verstehe ...«
Noch bevor ich enttäuscht sein konnte, weil ihre ganze Zuvorkommenheit nur Folge eines Befehls war, senkte Elisa bescheiden den Blick zu Boden und bemerkte: »Ich bin sehr froh, dass gerade mir die Ehre zuteil wurde, Ihre Freundin in unserer Welt zu sein.«
Kurzum, das Frühstück und die Zeit danach gestalteten sich mehr als angenehm. In Elisas Gegenwart wollte ich lieber nicht rauchen, weshalb wir in die Bibliothek gingen, um die Schriftsteller der Erde - oder genauer gesagt von Demos - mit denen Festes zu vergleichen. Elisa war recht belesen, möglicherweise kannte sie sogar mehr Werke als ich. Wir entdeckten noch ein paar Differenzen. Zum Beispiel existierte der Schriftsteller Daniel Defoe auf Feste entweder überhaupt nicht oder war kaum bekannt. In Dumas’ Œuvre fehlten die Drei Musketiere. Das brachte mich dermaßen auf, dass ich Elisa den Inhalt des Romans mit verteilten Rollen nacherzählte, wobei ich versuchte, den heiklen Moment, in dem sich die drei Musketiere und D’Artagnan gegen Kardinal Richelieu erheben, möglichst glimpflich darzustellen. Dabei kam etwas in der Art der modernen Fassung sowjetischer Bücher über den Bürgerkrieg heraus, die für Kinder bearbeitet werden, indem man das Revolutionspathos und die Ideologie vollständig herausnimmt. Es kämpften sogenannte Weiße gegen sogenannte Rote, wobei die einen als die Guten galten, weil der Autor ihre Abenteuer beschrieb, während die anderen die Bösen waren, welche die Guten aufhängen oder erschießen wollten.
Die drei Musketiere verkrafteten die Bearbeitung aufs Vorzüglichste. Elisa zeigte sich begeistert und meinte, eine derart spannende Geschichte würde hier sicher ungeheuer populär werden. Ich sollte meine Erzählung ruhig aufschreiben und als literarische Nacherzählung auf Feste veröffentlichen.
Mir gingen die Augen über, als ich den Vorschlag vernahm. Aber in der Tat. Warum sollte ich der Jugend einer ganzen Welt nicht die spannenden Abenteuer der vier Freunde bescheren? Der Schriftsteller Melnikow müsste mal hier herkommen, der würde sich fühlen wie die Made im Speck! Oder Kotja! Wie der hier schalten und walten könnte! Illan hatte ihm verboten, weiter seine erotischen Geschichten zu schreiben, es juckte ihn literarisch aber nach wie vor in den Fingern. Er würde hier der größte Schriftsteller aller Zeiten und Völker werden, wenn er auf die Stoffe zurückgriffe, die aufgrund einer ironischen Wendung des Schicksals nicht in diese Welt gelangt waren ... Apropos Ironie des Schicksals. Man könnte natürlich auch Filme nacherzählen oder sie zu Stücken umarbeiten. Eine weitere Nische!
Und erst all die glücklosen, unermüdlichen Graphomanen, die sich im Internet auslassen! Statt ihre eigenen Geschichten über einen bescheidenen jungen Mann zu entwerfen, den es in eine fremde Welt verschlägt, wo er sich als Erbe des Elfengeschlechts herausstellt, sich magische Kenntnisse aneignet und gegen den Schwarzen Herrscher in den Krieg zieht, könnten sie die Romane Stevensons, Coopers, Mayne Reids, Tolkiens, Kings und anderer populärer Autoren ausschlachten. Bei Tolstoi oder Shakespeare würde der Trick vermutlich nicht klappen, denn bei ihnen hing nicht alles vom Sujet, sondern viel von der Kunst des Schreibens ab. Aber Abenteuerromane, Fantasy, Science Fiction und Krimis würden dergleichen schadlos überstehen.
Ich war von unserer Unterhaltung und meinen Überlegungen derart abgelenkt, dass ich das Erscheinen des Kardinals nicht einmal bemerkte. Erst als Elisa aufsprang, eine stramme Haltung annahm und trotz der Zivilkleidung militärisch salutierte, bekam ich mit, dass wir nicht mehr allein in der Bibliothek waren.
Rudolf stand in der Tür, seinen alten Hund auf dem Arm. Hinter ihm hatten sich zwei Frauen in Uniform aufgebaut.
»Guten Morgen, Elisa. Guten Morgen, Kirill.« Der Blick des Kardinals schien mir besorgt zu sein. Aber vielleicht hatte das Engelsauge auch nur schlecht gefrühstückt ... »Wie hast du geschlafen?«
Die Frage galt wohl mir, denn Elisa hüllte sich in Schweigen.
»Gut, vielen Dank. Ein lustiges kleines Vögelchen hat mich geweckt.«
»Ach ja ...« Die Andeutung eines Lächelns huschte über Rudolfs Gesicht. »Sie gehören hier zu jedem Schlafzimmer ... ein überflüssiger Luxus, wie mir scheint, auf dem Land reichen ein, zwei Vögel für alle Häuser ... Gut, sehr gut. Hat Elisa dich darüber in Kenntnis gesetzt, dass wir vors Konklave treten müssen?«
»Ja, Eure Eminenz.«
»Gehen wir!« Er zögerte kurz. »Übrigens, Elisa, Sie fahren mit uns. Ist Ihre Uniform greifbar?«
»Sie ist in der Kaserne. Ich könnte ...«
»Dann vergessen wir das. Wir sollten uns damit jetzt nicht aufhalten.«
Der schlichte Hinweis, man bräuchte sich mit etwas nicht aufzuhalten, bekam, ausgesprochen vom Kardinal, die Kraft eines Befehls, sich zu sputen. Schnellen Schrittes verließen wir das Haus. Ich wunderte mich nicht, als ich im Hof nicht nur eine Kutsche mit zwei vorgespannten Pferden, sondern auch vier berittene Gardistinnen erblickte, die zwei weitere Reittiere am Zügel hielten. Der Kardinal, Elisa und ich nahmen in der Kutsche Platz, die sechs Frauen in ihren Papageienuniformen, die uns eskortieren sollten, bezogen eine klassische militärische Schutzformation: zwei vorneweg, zwei hinten und zu jeder Seite der Kutsche eine Gardistin. Damit war auch der letzte Zweifel beiseite gefegt: Die Luft knisterte vor nervöser Anspannung. Selbst der alte Hund im Arm des Kardinals schlummerte nicht, sondern beäugte mich mit einem aufmerksamen, absolut nicht hündischen Blick.
»Ist etwas passiert, Eure Eminenz?«, konnte ich meine Neugier nicht zügeln.
Der Kardinal seufzte.
»Ja. Es ist dein gutes Recht zu wissen, dass ... Wer wusste über deinen Besuch hier auf Feste Bescheid?«
»Mein Freund Kotja. Der Zöllner Zebrikow auf der Erde ... auf Demos. Der Zöllner Andrej auf Veros. Nein, Zebrikow wusste meiner Meinung doch nicht, wohin ich weiter wollte ...«
»Das ist indes nicht schwer zu erraten, wenn seine Zollstelle einen Ausgang in der Nähe des wiederum einzigen Tors in unsere Welt hat ...« Der Kardinal verzog das Gesicht, als die Kutsche über Stein rumpelte. Der Kutscher trieb die Pferde zum Äußersten an. »Nein, das ist nicht die Erklärung. Nach meinem Dafürhalten dürften die Arkaner vielmehr in der Lage sein, deine Bewegungen durch die Welten zu verfolgen.«
»Das trifft wahrscheinlich zu. Auf der Erde haben sie es jedenfalls mit Sicherheit gekonnt.«
»Vor zwei Stunden sind Parlamentäre aus Arkan bei uns eingetroffen.«
Ich erschauderte.
»Das kommt bisweilen vor«, fuhr der Kardinal fort. »Ich hatte gehofft, es handle sich erneut um Gespräche über unsere Aussöhnung oder über den Austausch von ...« Er verstummte. Dennoch wusste ich nun sicher, was ich bisher nur geahnt hatte: Nicht nur Arkan schickte seine Agenten in fremde Welten, sondern auch Feste. Aber das war jetzt zweitrangig.
»Es ging um mich?«, fragte ich.