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Hier fochten beide Seiten für ihren Glauben. Arkan, das seine utopische Welt von Funktionalen aufbaute und alle anderen Welten kontrollieren wollte. Und Feste, das ein theokratisches Metaimperium von einer solchen Solidität geschaffen hatte, dass es sich sogar Glaubensfreiheit leisten konnte. Und unabhängig davon, welche Risse es unter der Oberfläche dieser Ideologien geben mochte, im Moment trat sowohl die eine als auch die andere Seite stark und geschlossen auf.

Abgesehen davon fiel die technische Rückständigkeit kaum ins Gewicht. Arkan hatte zwar seine Technik, Feste jedoch seine Biotechnologie. Der alte Streit aller SF-Schriftsteller darüber, welche Form progressiver und lebensfähiger ist, dürfte damit gleich vor meinen Augen entschieden werden.

Aber verdammt noch mal, ich hatte mich nicht darum gerissen, der Klärung dieser Frage beizuwohnen!

»Raus!«, schrie der Kardinal mit überraschend lauter Stimme. »Wir müssen hier raus! Schnell!«

Ich sprang aus der Kutsche und fand mich inmitten von drei tänzelnden Pferden wieder. Für einen Städter von heute ein sehr, sehr unangenehmes Gefühl! Auch wenn die Frauen, wie ich mich überzeugen konnte, virtuos mit den Pferden fertigwurden. Sie zogen sich vor der Kutsche zusammen, um mit ihrem Körper und dem der Tiere unseren Rückzug zu decken.

Trotzdem hatte ich fürchterliche Angst.

Nach mir schoss Elisas Hund wie eine Kugel aus der Kutsche und sprang mir um die Beine. Ihm folgte Elisa, die anschließend dem Kardinal beim Aussteigen half.

Einen Moment lang standen wir wie angewurzelt da und starrten auf die Kuppel des Doms. Die Straße, in der die Kutsche stand, stieß hundert Meter weiter auf die hohe weiße Mauer mit dem breiten Tor. Gerade schloss sich ganz langsam das Tor. Die Menschen davor rannten weg, vielleicht Pilger, vielleicht aber auch Bettler, die damit ihren angestammten Posten aufgaben. Abermals ratterten MPis los, diesmal bereits mehrere Waffen. Immer wieder hatte ich den Eindruck, das Geräusch der Schüsse würde verebben, doch nach ein paar Sekunden fielen dann weitere Gewehre ein. Ich stellte mir sogar vor, wie das alles ablief, wie aus dem offenen Portal die bis zur Unkenntlichkeit beschleunigten Soldatenfunktionale in ihren Schusswesten herausdrängten, die Waffen in der Hand ... Ihnen stürzten sich die winzigen, furchtlosen Hunde entgegen, die ihnen an die Kehle sprangen, ins Gesicht, an die Hände, ihnen stürmten die Frauen in den bunten Uniformen mit ihren naiven Spielpiken entgegen ...

»Worauf warten die denn noch?«, presste Rudolf hervor. »Wird’s bald ...«

Plötzlich schoss jemand über die Mauer, ein Fremder, die dunkle Figur eines Menschen, der auf einer Rauchsäule zu reiten schien. Hinter ihm tauchte erst eine zweite, dann eine dritte Figur auf. Der Kardinal bekreuzigte sich flugs. Unwillkürlich ahmte ich seine Geste nach, auch wenn mir klar war, dass das da vor mir keine Höllenteufel waren, sondern nur die arkanischen Soldaten mit ihren Raketenrucksäcken.

Was dann geschah, überstieg jede Vorstellungskraft. Von der Kuppel des Peterdoms lösten sich nach und nach die steinernen Wasserspeier. Halt! Wieso aus Stein? Wie lebendig gewordene Figuren aus einem Horrorfilm breiteten sie ihre Flügel aus und stürzten sich auf die Soldaten. Erneut ballerten die MPis los. Einer der Steinvögel trudelte mit einem langgezogenen Krächzen nach unten. Die Zahl der Tiere lag jedoch weit über der der in die Luft aufsteigenden Soldaten. Gebannt verfolgte ich diese apokalyptische Luftschlacht. Schreie waren zu vernehmen, ausgestoßen sowohl von den Männern, die von den Krallen der Steinvögel zerfetzt wurden, als auch von den Steinvögeln, die in den Auspuffgasen der Raketenranzen aufleuchteten. Wer waren sie, diese unglückseligen Vögel, die sonst als reglose Hüter des Vatikans dienten? Adler? Fledermäuse? Wiederauferstandene Pterodaktylen?

Es ertönte ein dumpfes Krachen. Hinter der Mauer erhob sich eine Säule aus Staub und Rauch. Der Boden unter unseren Füßen bebte, in den Häusern klirrte das Glas. Ich vermutete schon fast, die Arkaner hätten ihre Artillerie durch das Portal gebracht, doch da stieß Rudolf einen Seufzer der Erleichterung aus: »Na endlich!«

»Was ist das?«, fragte ich.

»Wir können den Turm eines Zöllners nicht zerstören«, erklärte der Kardinal, »aber er ist jetzt hundert Meter tief in die Erde verfrachtet worden, in einen Schacht, und von oben mit Schwefel- und Salpetersäure geflutet worden. Herr ... erbarme dich deiner Diener, die ihr Leben für dich gaben ...«

»Steh hier nicht wie angewurzelt rum!« Elisa knuffte mich. »Beweg dich!«

Die beiden wollten schnellstens weiter, in Richtung der Mauern des Vatikans, hin zur heiligen Stadt, die über jenem Steinbruch erbaut worden war, der den Arkanern eben zum Verhängnis geworden war - und zu einem Sammelgrab für die Landeeinheiten, Gardistinnen, Hunde und Steinvögel.

Wenn du einen Rattenbau nicht zustopfen kannst, setz ihn unter Wasser.

Nein, ich konnte die Herrschenden dieser Welt nicht verurteilen. Ihre Art, gegen den Feind vorzugehen. Vor allem weil ja gerade mein Erscheinen die Konfrontation heraufbeschworen hatte.

Trotzdem fiel mir unwillkürlich die kleine Uhrenhandlung des Zöllners Andrej ein, seine Uhren, in denen anstelle der Kuckucke hölzerne Krähen lebten, er selbst, dieser wortverliebte Mann im orientalischen Hausmantel.

Eine Atombombe zerstört ein Portal.

Aber was ist mit Säure, die in einen Turm strömt?

Natürlich wollte ich glauben, der Turm stürze in den anderen Welten nicht ein. Und der Zöllner, der seinen unliebsamen Zugang in die gegen die Funktionale revoltierende Welt eingebüßt hatte, würde fortan ein ruhiges Leben führen, seine Uhren reparieren und mit den »Moslems« darüber streiten, wessen Glaube besser ist.

Wir rannten die Straße hinunter. Die berittenen Gardistinnen störten ein wenig mit ihrer Absicht, uns von allen Seiten Deckung zu geben. Die Farben tanzten mir vor den Augen. Unweigerlich drängte sich mir der Gedanke auf, die bunten Uniformen hätten neben der rein dekorativen auch eine weitere Funktion, nämlich die Aufmerksamkeit der Angreifer auf die Gardistinnen zu lenken.

Der Kardinal schnaufte bereits schwer. Ihm machten das Alter und die prachtvolle Soutane zu schaffen.

Vielleicht hätten wir doch lieber die Kutsche nehmen sollten?

Vielleicht bestand auch gar kein Grund mehr zu dieser Rennerei, schließlich waren die Soldaten liquidiert, die Attacke abgewehrt, die Feinde vernichtet. Oder etwa nicht?

In dem Moment sah ich etwas, das selbst die Arkaner mit ihren Raketenrucksäcken, die zum Leben erwachten Wasserspeier sowie die Hölle, die sich unter der Zollstelle aufgetan hatte, noch in den Schatten stellte.

Ich sah, wie ein neues Portal entstand.

Die Häuser standen hier dicht an dicht. Nicht sehr hohe Gebäude, zwei- oder dreistöckig, mit kleinen runden Balkons, die über der Straße hingen, und Fensterflügeln, die nach außen geklappt waren. Die Gassen waren nicht mehr als schmale Schlitze, Torbögen führten zu den Höfen. All das war derart zusammengezwängt und vom Staub der Jahrhunderte zementiert, dass man im Grunde nicht sagen konnte, wo ein Haus anfing und das andere endete.

Doch jetzt erzitterte die Straße vor uns. Als würden Milchzähne von einem durchbrechenden zweiten Zahn zur Seite gedrängt. Genauso - indem es die Wände wackeln ließ und den Putz zermalmte - zwängte sich zwischen zwei alte Häuser ein neues Bauwerk. Turm wollte ich es nicht nennen, Haus noch viel weniger. Es war einfach eine Mauer, schlecht verputzt, sodass die Ziegel stellenweise hervorlugten. Diese Mauer wurde jedoch immer breiter, schob die Nachbarhäuser zur Seite und legte sich im ersten und zweiten Stock Fenster sowie im Erdgeschoss eine Tür zu. Letztere, noch ganz schmal, vielleicht zwanzig Zentimeter, wirkte wie ein an den Seiten eingequetschtes Bild in einem nicht richtig eingestellten Fernseher, ein extrem schmales Türchen nur, gedacht womöglich für die Alice aus Carrolls Märchen, genauer für eine halbverhungerte Alice, die schon lange nicht mehr von dem Zauberkuchen gegessen oder von der Zauberflüssigkeit getrunken hatte.