»Eine Zollstelle!«, schrie ich und zeigte mit der Hand in die Richtung.
Die Gardistinnen trieben ihre Pferde vorwärts und jagten zu dem entstehenden Portal. Auch ihnen war es nicht entgangen!
Die Mauer schwoll an und schob mit einer wahren Kraftexplosion die Häuser auseinander. In dem einen Nachbarhaus barsten mit einem missbilligenden Quietschen Balkongitter, und die frisch gewaschene Wäsche auf der gerissenen Leine schwankte und segelte bis zum Kopfsteinpflaster hinunter. Aus der Balkontür tauchte eine dicke Frau im Bademantel auf, die, den verzweifelten Blick starr auf uns gerichtet, nach der Leine angelte, um ihre Wäsche zu retten.
Die Tür zur Zollstelle verbreiterte sich auf das normale Maß. Und sie flog weit auf.
Drei Männer - einer hockte, die beiden anderen standen hinter ihm - hielten ihr MPis im Anschlag. Ich sah Gesichter hinter getöntem Glas - die Soldaten trugen Helme mit heruntergelassenem Visier. Die armen Kampfyorkshire...
Ich warf mich auf das Kopfsteinpflaster und schützte meinen Kopf mit den Armen, als könnten meine Hände das Blei aufhalten.
Es krachte.
Klatschend drangen die Kugeln in lebendes Fleisch ein.
Die sterbenden Pferde wieherten.
Funkelnd zischten die Piken durch die Luft.
Bis zum letzten Moment hoffte ich, diese Faschingswaffen würden sich als etwas Gefährlicheres entpuppen, so wie die Wasserspeier auf dem Dom. Aber es blieben Piken.
Allerdings sehr spitze.
Eine durchschoss das Visier und bohrte sich in den Kopf des Soldaten. Er fiel zu Boden, feuerte aber weiter; die Kugeln zischten jedoch nur noch wild durch den Turm. Zwei weitere Piken nagelten den hockenden Schützen am Boden fest. Dem Dritten war noch nichts passiert und er ballerte weiter. Ich sah, wie eine Gardistin nach der nächsten fiel. Alle drei, die das Portal angegriffen hatten. Zwei andere Gardistinnen zogen den Kardinal fort, wobei sie ihm mit ihren Körpern Deckung gaben. Mich zog auch jemand mit einem Ruck hoch. Es waren Elisa und die dritte Leibwächterin.
»Weg hier!« Elisa riss sich ihren aparten Schmuck vom Hals und schleuderte ihn Richtung Portal.
Diesmal erwartete mich in der Tat eine Überraschung.
Die goldenen Bienen lebten. Sie lösten sich voneinander und sausten als surrende Wolke ins Portal. Die Schreie, die dann folgten, ließen mich annehmen, alle Waffen dieser Welt seien Kinderkram - im Vergleich zu diesen Bienen.
Die Yorkshire bemerkte ich nicht gleich. Sie stürzten sich nicht direkt auf den Feind, wie ich es erwartet hatte. Sie teilten sich in zwei Gruppen und postierten sich links und rechts der Tür, reglos an die Mauer gepresst. Sie warteten.
Ich hoffte aufrichtig, die Arkaner hätten sich vor dieser Invasion nicht allzu sehr mit der Polsterung ihres Hintern aufgehalten.
Immerhin griffen die Arkaner nun nicht mehr an. Ich weiß nicht, was dabei die ausschlaggebende Rolle spielte, der selbstmörderische Mut der Gardistinnen, der Hinterhalt der blutdürstigen Yorkshireterrier oder Elisas Halsschmuck. Vermutlich doch Letzterer, die Schreie und das Jaulen im Inneren des Turms wollten und wollten nicht verstummen, dazu noch die Schüsse, die nahelegten, dass die in ihrem Schmerz irren Soldaten mit ihren MPis auf die Bienen ballerten.
Zu unserem Unglück tauchten jedoch auf dem Weg zum Vatikan neue entschlossene Figuren auf, die mich an den nicht gerade glücklichsten Tag in meinem Leben erinnerten, an den Tag nämlich, als ich Arkan einen Besuch abgestattet hatte.
»Hierher!«
Eine der Frauen trat eine Tür ein. Was hier entscheidend war - die Kraft und das Training oder das in dem gesegneten italienischen Klima spröde gewordene Holz -, vermag ich nicht zu sagen. Wir drangen in das fremde Haus ein. Eine Frau schrie auf und schob zwei kleine Kinder hinter sich. Der Kardinal schlug im Laufen das Kreuz über ihr und gab seinem Segen einen noch weit wertvolleren Rat bei: »Versteckt euch! Rasch!«
Die Frauen verbarrikadierten bereits die Tür, indem sie ein altes, wuchtiges Büffet davorschoben. Meiner Ansicht nach hätten sie sich das sparen können, schließlich standen die Fenster noch auf.
»Gibt es einen zweiten Ausgang?«, fragte ich die Frau, die ihre Kinder ins andere Zimmer brachte.
»Natürlich«, antwortete mir an ihrer Stelle Elisa. »Hast du geglaubt, wir würden uns in den Straßen Roms in eine Mausefalle treiben lassen? Vorwärts!«
Durch den Korridor.
Eine Tür.
Die Küche mit einem Kochtopf auf dem Herd, in dem es brodelte. Ein eingeschlagenes Fenster. Noch mehr Schüsse waren zu hören. Auf dem Boden lagen Spaghetti und ein zerbrochener Teller.
Mit einem Mal begriff ich, dass wir nur noch fünf waren. Eine Frau war zurückgeblieben, um unseren Rückzug zu decken.
»Sie wittern dich, Kirill.« Der Kardinal sah mich voller Mitgefühl an. »Wenn wir dich nicht verstecken können ... Elisa!«
»Schon verstanden«, erwiderte die Frau.
Ich hatte es ebenfalls verstanden - und diese Aussicht gefiel mir nicht.
Ein weiterer Korridor.
Eine Tür, die unter Elisas Schlag barst.
Eine schmale Gasse, in der sich die Dächer der Häuser fast berührten.
Wir rannten nicht mehr, das war hier kaum möglich. Außerdem bekam Rudolf kaum noch Luft.
»Was ist an dir nur so ... wichtig?«, fragte er keuchend. »Herr im Himmel ... wenn ich darauf bloß eine Antwort wüsste!«
»Auf welche Frage? Ob Sie mich umbringen oder nicht?«, fragte ich im Laufen zurück. Der Kardinal antwortete mir nicht, stolperte aber.
Erneut waren Schüsse am Himmel zu hören - und die Schreie lebendig gewordener Wasserspeier. Ich stellte mir vor, wie all das für die gottesfürchtigen Einwohner Vatikanstadts aussehen musste. Wie das Ende der Welt, mit Sicherheit ...
»Noch hundert Meter und dann nach rechts«, teilte Elisa mir mit. »Da sind die Kasernen der Polizei. Da wird es leichter. Halten Sie durch, Eure Eminenz.«
Der Kardinal blieb stehen und sah sie an. »Ich ... nehme den Befehl zurück«, meinte er überraschend.
»Selbst wenn sie ihn gefangen nehmen?« Elisa streifte mich kurz mit ihrem Blick.
»Wenn es noch einen Schatten des Zweifels gibt ...« Er beendete den Satz nicht, sondern bekreuzigte sich und wandte sich mir zu. »Kirill ... finde das Herz der Finsternis. Selbst das absolut Böse muss ein Herz haben.«
Ich nickte nur.
Wir stürzten schnellen Schrittes weiter. Eine der Gardistinnen spähte um die Ecke. Sie drehte sich um und winkte uns zu. Wir folgten ihr auf einen kleinen, von Häusern eingekeilten Platz. An einem Brunnen, der nicht mehr sprudelte, lag ein ekelhaft zerschmetterter Körper, aus dem Blut sickerte. Ein abgestürzter Steinvogel. Aber Feinde entdeckten wir keine.
»Irgendwas ... irgendwas stimmt hier nicht«, flüsterte der Kardinal, während er umherspähte. Der Hund auf seinem Arm knurrte mit einem Mal los, sprang runter und blieb stehen. Er nahm Witterung auf. Mit gefletschten Zähnen pirschte er sich langsam an eine absolut leere Grünfläche heran. Der Rasen war platt getreten, als habe auf ihm ein lang andauerndes Handgemenge getobt.