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Also machte ich mich auf den Weg.

Mit der Beschreibung dieses Tages könnte ich sehr viel Zeit verbringen. Ich könnte berichten, wie ich meinen Weg zurücklegte und immer wieder kleine Pausen machte. Wie ich einen alten Steinsturz überwand, durch den das Wasser sich einen Tunnel gebohrt hatte und wo ich über glitschige, moosbewachsene Felsbrocken klettern musste. Wie ich mich mittags vor der vom Himmel sengenden Sonne versteckte und sogar ein Stündchen schlief. Wie ich einen Ameisenhaufen entdeckte, keinen Waldameisenhaufen, kein Gebilde aus Tannennadeln und Zweigen, sondern eine von winzigen Bauten durchlöcherte Felswand, und gerührt die Insekten beobachtete: die ersten lebenden Wesen, die ich hier traf. Wie ich versuchte zu verstehen, in welche Welt des Multiversums es mich verschlagen hatte. Nach Reservat? Gar nicht so unwahrscheinlich. Schließlich dürfte nicht der ganze Planet mit dichtem Grün bewachsen sein. Janus? Auch nicht ausgeschlossen. Irgendwo an der Grenze zwischen Sommer und Winter, womit ich ziemlich viel Glück gehabt hätte. Unsere Erde? Selbst das wäre denkbar. Nur wir Städter glauben, der ganze Planet sei unwiderruflich durch die Zivilisation zerstört worden. Stattdessen gibt es auf ihm mehr als genug Flecken, mit denen der Mensch nicht das Geringste anzufangen weiß, da sie völlig ungeeignet sind, um sich dort anzusiedeln.

Ich könnte es aber auch kurz und knapp halten: Ich lief den ganzen Tag, überwand einige nicht allzu schreckliche Hindernisse, verfluchte mich für meinen Geiz, der es mir nicht erlaubte, die MPi wegzuschmeißen, ließ in der Abenddämmerung den Cañon hinter mir und erreichte das Meer.

Oder den Ozean?

Ich stand auf einem Felsen, von feinen Wasserspritzern besprenkelt. Links versank die Sonne im Meer. Vor mir zogen die Wolken über das Meer dahin. Direkt unter mir stürzte sich aus hundert Metern Höhe ein Wasserfall ins Meer.

Der Cañon fiel zum Meer hin nicht ab. Der Cañon erhob sich als senkrechte Felswand am Meeresufer. Und ich stand wie der letzte Idiot vor diesem Abgrund.

Hinauf - das bedeutete fünfzig Meter steiler, fast senkrechter Felsen. Hinunter - hundert Meter absolut steiler Felsen.

Wohin sollte ich jetzt?

Lange blieb ich wie angewurzelt stehen und schaute nach oben. Würde ich es schaffen, diesen Hang zu erklimmen? Hmm ... angesichts des Sedimentgesteins ... wohl schon. Natürlich nicht jetzt, sondern morgen früh, wenn es hell war.

Aber was würde mir das nützen? Ich würde mich auf einem Felsplateau hoch über dem Meer befinden.

Und nach unten?

Auf allen vieren kroch ich an den Rand der Felswand. Sie war mit Moos bewachsen und glitschig. Unmittelbar am Abgrund legte ich mich auf den Bauch und spähte hinab.

Nein, das war unmöglich. Nach unten würde ich es auf gar keinen Fall schaffen. Wenn ich ein sehr, sehr langes Seil hätte, könnte ich es irgendwo befestigen und mich langsam parallel zum Wasserfall herunterlassen. Aber ein Seil gehörte nicht zur Ausrüstung der arkanischen Soldaten, nur eine Rolle mit Faden ...

Mit einem Faden und ohne Nadel.

Wozu eigentlich?

Ich kroch vom Rand weg, holte die Rolle heraus und spulte ein wenig von dem Faden ab. Ich begutachtete ihn genau. Keine Baumwolle und keine Seide, irgendein synthetisches Material ... Ich zerrte an dem Faden. Er riss nicht.

Nachdem ich eine große Schlinge geknüpft hatte, warf ich sie über einen Felsvorsprung und wickelte den Faden dann wieder auf die Spule, bis er sich stramm spannte. Danach zog ich die Beine an - und baumelte an dem feinen, weißen Faden. Ich schaukelte und stieß mich mit den Füßen vom Felsen ab.

Der Faden riss nicht.

Aha!

Jetzt war mir die Bestimmung des Fadens klar. Damit ließ sich ein Gefangener fesseln, den konnte man als Seil benutzen ... Nahm ich jedenfalls an.

Aber wie sollte ich mich an einem solch dünnen Faden herunterlassen, selbst wenn er stabiler als ein Kletterseil war? Er würde meine Hände in wenigen Sekunden völlig aufreißen. Wenn ich aber meine Hände mit irgendwas umwickelte, dann könnte ich den Faden nicht mehr richtig packen. Also bräuchte ich eine Art Umlenkrolle.

Was benutzten Alpinisten und Kletterer?

In meinem Gedächtnis ertönte plötzlich mit absoluter Klarheit der Ausdruck »Flaschenzug mit Steigklemmen«. Bedauerlicherweise begleitete ihn keine erklärende Skizze.

Trotzdem gab mir das Hoffnung! Ich stand vor einer Wahl, wenn sich meine Fähigkeiten melden!

Was stand mir zur Verfügung? Ein Flaschenzug mit Sicherheit nicht. Mir war vage in Erinnerung - und zwar nicht aus meinem Funktionalswissen, sondern aus meinem Physik- oder aus einem Sachbuch -, dass ein Flaschenzug ein System von Umlenkrollen ist, das wahrscheinlich schon die alten Griechen kannten. Mit den Hilfsmitteln, die mir zur Verfügung standen, würde ich so ein Ding allerdings garantiert nicht konstruieren können. Und die Steigklemme war mir ohnehin ein Buch mit sieben Siegeln. Das musste etwas völlig Spezifisches sein. Eine Bergsteigerausrüstung konnte jedoch nicht nur aus komplizierten Geräten bestehen. Da musste es noch etwas anderes geben. Etwas Einfaches. Und je einfacher, desto besser.

Ich zwirbelte den Faden zwischen den Fingern. Ich brauchte einen festen Metallgegenstand, durch den ich ihn ziehen konnte. Irgendeinen Ring. An dem würde ich mich dann festhalten und mich ... Nein, das war auch noch nicht die Lösung. Der Faden müsste so geführt werden, dass die Reibung meinen Fall abbremste. Ein Ring, das war zu einfach.

Aber zwei Ringe? Zwei Ringe, zwei Enden, ein Nagel in der Mitte, hier ist die Schere, bitte! Also, ein Nagel in der Mitte war nicht nötig, eher etwas wie eine Acht, durch die ich den Faden ziehen konnte.

Ich betrachtete das Gewehr von allen Seiten. Aber klar, da war ein Ring, nämlich der Bügel, der um dem Abzug lag. Was konnte als zweiter Ring herhalten? Vielleicht das runde Visier?

Wenn ich den Faden erst durch den einen Ring führte, dann durch den anderen, konnte ich mich bequem an Lauf und Kolben festhalten. Was passierte dann aber mit dem Faden?

Ich fädelte den Faden entsprechend durch die Ringe und führte an demselben Vorsprung ein Experiment durch, wobei ich vorsichtshalber das Magazin herausnahm und prüfte, ob die Waffe gesichert war. Der Faden lief absolut sicher über die Waffe. Mich an Lauf und Kolben festhaltend, baumelte ich in der Luft. Ziemlich bequem sogar. Aber nach unten kam ich auf diese Weise immer noch nicht.

Und wenn ich die MPi etwas zur Seite kippte? Um die Reibung zu vermindern?

Langsam glitt das Gewehr über den Faden. Im nächsten Moment stießen meine Knie auf dem Felsen auf.

Ein Zittern erfasste mich, als mir klar wurde, dass der Abstieg möglich war. Theoretisch.

Wenn nämlich der Faden auf der Rolle reichte. Wenn der Knoten sich nicht löste und der Felsbrocken nicht abbröckelte. Wenn der Faden nicht riss. Wenn mir das Gewehr nicht entglitt, wenn sich der Faden nicht beim Runterwerfen verhedderte. Wenn ... wenn ... wenn...

Über Nacht würde ich einen ganzen Sack mit diesen Wenns füllen. Und nicht mal mehr an den Abstieg zu denken wagen.

Bis die Nacht hereinbrach, blieb mir noch eine Stunde.

Also handelte ich - um nicht zu grübeln.

Ich führte den Faden noch einmal durch die »Ringe« am Gewehr. Das freie Ende befestigte ich an einem Felsvorsprung, der mir besonders geeignet erschien, denn an seiner Unterseite verlief eine dünne Wasserrinne, sodass der Faden nicht wegrutschen würde.

Danach trat ich an den Rand des Abgrunds, holte weit aus und warf die Rolle nach unten. Eine Zeit lang verfolgte ich ihren Fall, dann entschwand sie meinem Blickfeld.

Blieb zu hoffen, dass sie sich bis zum Ende abgespult hatte.

Blieb zu hoffen, dass der Faden reichte.

Ich packte die MPi und ließ sie den Faden entlanggleiten. Dabei kroch ich zum Rand der Felswand. Dort ließ ich die Beine baumeln. Das Herz hämmerte mir wild in der Brust.