»Die Russen sind ja eine Sorte für sich, aber mit der Zeit gewöhnt man sich an sie.«
Hunderttausend Wissenschaftler und Ingenieure leben und arbeiten hier.
»Mit guter Küche haben die nicht viel am Hut. Jedes Mal, wenn ich geschäftlich hier zu tun habe, bring ich mir meine eigene Verpflegung mit.«
Sie können nicht fort. Sie dürfen keinen Besuch empfangen. Sie sind völlig von der Außenwelt abgeschnitten.
»Hatten Sie geschäftlich in Russland zu tun?«
Dana konnte sich nur schwer von ihren Gedanken losreißen. »Im Urlaub.«
Er warf ihr einen verdutzten Blick zu. »Eine verdammt unangenehme Jahreszeit für einen Russlandurlaub.«
Als die Flugbegleiterinnen die Karre durch den Gang schoben und das Essen austeilten, wollte Dana zunächst ablehnen, doch dann stellte sie fest, wie hungrig sie war. Sie wusste nicht mehr, wann sie zum letzten Mal etwas zu sich genommen hatte.
»Wenn Sie einen Schuss Bourbon möchten«, sagte Gregory Price, »kann ich Ihnen gern was Gutes anbieten, junge Frau.«
»Nein, danke.« Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. In ein paar Stunden müssten sie landen.
Als Air-France-Flug Nummer 220 auf dem Dulles International Airport landete, standen vier Männer am Ausgang und betrachteten jeden einzelnen Passagier, der an ihnen vorbeikam. Sie wirkten selbstbewusst, zuversichtlich, so als wüssten sie genau, dass sie ihnen nicht entgehen konnte.
»Hast du die Spritze bereit?«, fragte einer von ihnen.
»Ja.«
»Schafft sie raus zum Rock Creek Park. Der Boss will, dass es wie ein Unfall mit Fahrerflucht aussieht.«
»Gut.«
Sie wandten sich wieder der Tür zu. Zahllose Passagiere strömten heraus, alle in dicken Wintermänteln oder Parkas, mit Ohrenschützern, Schals und Handschuhen. Bis schließlich der Letzte durch war.
Einer der Männer runzelte die Stirn. »Ich erkundige mich mal, wo sie abgeblieben ist.«
Er lief die Fluggastbrücke hinab. Doch dort war nur das Reinigungspersonal zugange. Er riss sämtliche Toilettentüren auf. Alle leer. Dann stürmte er nach vorn und wandte sich an die Flugbegleiterin, die gerade gehen wollte. »Wo hat Dana Evans gesessen?«
Verdutzt blickte die Stewardess auf. »Dana Evans? Die Nachrichtensprecherin aus dem Fernsehen?«
»Ja.«
»Die war nicht an Bord. Wäre schön gewesen. Ich hätte sie zu gern kennen gelernt.«
»Wissen Sie, was beim Holzhandel das Allerbeste ist, junge Frau?«, sagte Gregory Price gerade zu Dana. »Dass die Ware von selber wächst. Ja, Mann, man kann einfach dahocken und zuschauen, wie Mutter Natur für die nötige Kohle sorgt.«
Die Chefstewardess meldete sich über Lautsprecher.
»Wir landen in wenigen Minuten auf dem O’Hare Airport in Chicago. Achten Sie bitte darauf, dass Ihre Sitzgurte geschlossen und die Rückenlehnen hochgestellt sind.«
»Genau«, spöttelte eine Frau, die auf der anderen Seite des Ganges saß. »Achten Sie darauf, dass Ihre Sitzlehnen hochgestellt sind. Ich jedenfalls möchte nicht zurückgelehnt in den Tod gehen.«
Dana zuckte zusammen. Sie meinte wieder die Querschläger zu hören, die hinter ihr in die Wand einschlugen, spürte förmlich die Hand, die sie vor den Lastwagen geschubst hatte. Sie erschauderte beim bloßen Gedanken daran, wie knapp sie dem Tod entronnen war.
Vor ein paar Stunden noch, als sie in der Wartehalle des Flughafens Scheremetjewo II saß, hatte sie sich eingeredet, dass alles gut ausgehen werde. Die Guten gewinnen doch immer. Aber irgendetwas ließ ihr keine Ruhe, irgendein Gesprächsfetzen. War es ein Spruch von Matt? Etwas, was Kommissar Schdanoff gesagt hatte? Oder Tim Drew? Je länger sie darüber nachdachte, desto weniger konnte sie die Erinnerung greifen.
»Air-France Nummer zwo-zwanzig nach Washington D.C. steht zum Abflug bereit«, gab die Purserin vom Bodenpersonal über Lautsprecher bekannt. »Bitte halten Sie Ihre Pässe und Bordkarten bereit.«
Dana stand auf und begab sich zum Ausgang. Als sie an der Abfertigung ihren Flugschein vorlegte, fiel es ihr mit einem Mal wieder ein. Es waren die letzten Worte, die sie mit Sascha Schdanoff gewechselt hatte.
Niemand weiß, dass ich dort bin. Es handelt sich um eine Art sicheres Haus, wie man bei Ihnen sagen würde.
Roger Hudson war der einzige Mensch, dem sie mitgeteilt hatte, wo Sascha Schdanoff sich aufhielt. Und unmittelbar danach war Schdanoff ermordet worden. Hudson hatte von Anfang an auf gewisse undurchsichtige Verbindungen angespielt, die Taylor Winthrop angeblich mit den Russen pflegte. Als ich in Moskau war, ging das Gerücht, dass Winthrop sich auf private Geschäfte mit den Russen eingelassen haben soll .
Kurz bevor Taylor Winthrop Botschafter in Russland wurde, hat er offenbar im engsten Freundeskreis erklärt, dass er sich endgültig aus dem öffentlichen Leben zurückziehen wolle .
Allem Anschein nach war es Winthrop, der den Präsidenten dazu drängte, ihn zum Botschafter zu ernennen ...
Sie hatte Roger und Pamela ständig auf dem Laufenden gehalten. Und die beiden hatten sie fortwährend ausgespäht. Dafür gab es nur eine Erklärung:
Roger Hudson war der geheimnisvolle Kompagnon von Taylor Winthrop.
Dana blickte aus dem Fenster, als die Maschine der American Airlines auf dem O’Hare International Airport in Chicago landete, und hielt Ausschau nach irgendwelchen verdächtigen Gestalten. Nichts. Die Luft war rein. Dana atmete tief durch und begab sich zum Ausstieg. Ihre Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. Sie achtete darauf, dass sie so viele Menschen wie möglich um sich hatte, und ging inmitten der schwatzenden Menge ins Flughafengebäude. Sie musste einen dringenden Anruf erledigen. Während des Fluges war ihr ein so schrecklicher Gedanke gekommen, dass ihr die Gefahr, in der sie schwebte, daneben geradezu unbedeutend vorkam. Kemal. War er etwa ihretwegen in Gefahr? Sie durfte gar nicht daran denken, dass ihm etwas zustoßen könnte. Sie musste jemanden finden, der Kemal beschützte. Sofort fiel ihr Jack Stone ein. Er gehörte einer Organisation an, die über so viel Macht verfügte, dass sie den Schutz gewähren konnte, den sie und Kemal benötigten, und sie war davon überzeugt, dass er alle erforderlichen Vorkehrungen treffen würde. Er war ihr von Anfang an wohlgesonnen gewesen. Er gehört bestimmt nicht zu denen.
Ich möchte mich da lieber raushalten. Dadurch kann ich Ihnen am ehesten helfen, falls Sie wissen, was ich meine.
Dana ging in eine einigermaßen menschenleere Ecke der Haupthalle, griff in ihre Handtasche, suchte die Privatnummer heraus, die Jack Stone ihr gegeben hatte, und rief ihn an. Er meldete sich augenblicklich.
»Jack Stone.«
»Dana Evans hier. Ich stecke in der Klemme. Ich brauche Hilfe.«
»Was ist los?«
Dana hörte, wie besorgt er klang. »Ich kann jetzt nicht auf alles eingehen, aber ein paar Leute sind hinter mir her und versuchen mich umzubringen.«
»Wer?«
»Ich weiß es nicht. Aber ich mache mir vor allem Sorgen um meinen Sohn Kemal. Können Sie mir jemand besorgen, der ihn beschützt?«
Er zögerte keine Sekunde. »Ich kümmere mich darum. Ist er zu Hause?«
»Ja.«
»Ich schicke jemanden vorbei. Und was ist mit Ihnen? Sie sagen, jemand versucht Sie umzubringen?«
»Ja. Sie - sie haben es zweimal versucht.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen. »Ich werde zusehen, was ich tun kann. Wo sind Sie?«
»Ich bin am O’Hare, in der Schalterhalle der American Airlines, und ich weiß nicht, wann ich hier herauskomme.«
»Bleiben Sie, wo Sie sind. Ich schicke jemanden hin, der Sie beschützt. Um Kemal brauchen Sie sich unterdessen keine Sorgen zu machen.«