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»Mir doch wurscht.«

»Das darf dir aber nicht gleichgültig sein. Ich möchte, dass du es zu etwas bringst, und ohne Ausbildung geht das nicht. Mr. Henry sieht es dir noch einmal nach, aber -«

»Scheiß drauf.«

»Kemal!« Ohne nachzudenken, versetzte ihm Dana eine Ohrfeige. Sie bereute es auf der Stelle. Kemal starrte sie mit ungläubiger Miene an, stand auf, rannte ins Arbeitszimmer und knallte die Tür zu.

Das Telefon klingelte. Dana nahm ab. Es war Jeff. »Dana -«

»Liebling, ich - ich kann jetzt nicht mit dir reden. Ich bin zu verstört.«

»Was ist passiert?«

»Es geht um Kemal. Er benimmt sich unmöglich!«

»Dana .«

»Ja?«

»Versetz dich in seine Lage.«

»Was?«

»Denk drüber nach. Tut mir Leid, ich habe gleich Redaktionsschluss. Ich liebe dich, und über alles Weitere reden wir später.«

Versetz dich in seine Lage? Das ist doch Unsinn, dachte Dana. Woher soll ich wissen, wie Kemal zu Mute ist? Ich bin kein zwölfjähriges Waisenkind, das im Krieg einen Arm verloren hat, ich habe nicht das Gleiche durchgemacht wie er. Dana saß eine ganze Zeit lang da und dachte nach. Versetz dich in seine Lage. Sie stand auf, ging ins Schlafzimmer, schloss die Tür und machte den Kleiderschrank auf. Bevor Kemal eingezogen war, hatte Jeff ein paar Mal pro Woche hier übernachtet und einige Kleidungsstücke im Schrank verstaut, unter anderem ein paar Hosen, Hemden, Krawatten, einen Pullover und ein Sportsakko.

Dana nahm einen Teil der Sachen heraus und legte sie aufs Bett. Sie ging zu einer Kommode und holte eine von Jeffs Boxershorts und ein Paar Socken heraus. Dann zog sie sich splitternackt aus. Mit der linken Hand griff sie nach Jeffs Boxershorts und wollte hineinsteigen. Sie verlor das Gleichgewicht und fiel hin. Sie musste es noch zweimal versuchen, bis sie sie endlich hochgezogen hatte. Danach nahm sie eins von Jeffs Hemden. Wieder nahm sie nur die linke Hand zu Hilfe und mühte sich drei Minuten lang damit ab, bis sie endlich hineingeschlüpft war und es zugeknöpft hatte. Sie musste sich aufs Bett setzen, um die Hose anzuziehen, und trotzdem plagte sie sich mit dem Reißverschluss ab. Noch weitere zwei Minuten kämpfte sie mit dem Pullover.

Als Dana endlich angezogen war, musste sie sich hinsetzen und erst einmal verschnaufen. Das also machte Kemal jeden Morgen durch. Und es war noch lange nicht alles. Er musste sich baden, die Zähne putzen und die Haare kämmen. Und dabei ging es ihm jetzt noch gut. Wie aber mochte es ihm früher ergangen sein? Als er die Schrecken des Kriegs erlebt hatte, mit ansehen musste, wie seine Mutter, sein Vater, seine Schwester und seine Freunde umgekommen waren.

Jeff hat Recht, dachte sie. Ich erwarte zu viel. Er braucht mehr Zeit, um sich anzupassen. Ich könnte ihn niemals im Stich lassen. Mein Vater hat meine Mutter und mich sitzen lassen, und im Grunde meines Herzens habe ich ihm das nie verziehen. Es sollte ein dreizehntes Gebot geben: Du sollst nicht jene verlassen, die dich lieben.

Langsam zog Dana wieder ihre eigenen Sachen an, dachte dabei an die Songs, die sich Kemal dauernd anhörte. Die CDs von Britney Spears, den Backstreet Boys, Lim Biskit. »Baby One More Night«, »Don ’t Wanna Lose You Now«, »I Need You Tonight«, »As Long As You Love Me«, »Nobody Loves Me.«

Sämtliche Texte handelten von Einsamkeit und Sehnsucht.

Dana nahm sich Kemals Zeugnis vor. Sicher, in den meisten Fächern versagte er, aber in Mathematik hatte er eine Eins. Auf diesen Einser kommt es an, dachte Dana. Das zeichnet ihn aus. Darauf kann er aufbauen. In den anderen Fächern wird uns schon etwas einfallen.

Als Dana die Tür des Arbeitszimmers öffnete, lag Kemal mit geschlossenen Augen und tränennassem Gesicht im Bett. Dana betrachtete ihn einen Moment lang, beugte sich dann vor und küsste ihn auf die Wange. »Tut mir Leid, Kemal«, flüsterte sie. »Vergib mir.«

Morgen wird alles besser.

Am nächsten Morgen fuhr Dana mit Kemal in aller Frühe zu Dr. William Wilcox, einem bekannten Orthopäden und Chirurgen. Nach der Untersuchung sprach Dr. Wilcox mit Dana unter vier Augen.

»Miss Evans, wir könnten ihm eine Prothese anpassen, aber das würde rund zwanzigtausend Dollar kosten. Und es kommt noch etwas hinzu. Kemal ist erst zwölf, das heißt, dass er noch wachsen wird, bis zu seinem siebzehnten oder achtzehnten Lebensjahr. Er brauchte alle paar Monate eine neue Prothese, weil die alte nicht mehr passt. Ich fürchte, so etwas ist finanziell nicht machbar.«

Dana verlor jeden Mut. »Ich verstehe. Vielen Dank. Doktor.«

»Keine Sorge, mein Schatz«, sagte Dana zu Kemal, als sie wieder draußen waren. »Uns wird schon etwas einfallen.«

Dana setzte Kemal vor der Schule ab und fuhr zum Studio. Sie war nur mehr ein paar Straßen davon entfernt, als ihr Handy klingelte. Sie meldete sich. »Hallo?«

»Matt hier. Heute Mittag findet im Polizeipräsidium eine Pressekonferenz zum Mordfall Winthrop statt. Ich möchte, dass Sie darüber berichten. Ich schicke ein Kamerateam hin. Die Polizei steht gewaltig unter Druck. Die Sache wird immer brisanter, und die haben noch nicht die geringste Spur.«

»In Ordnung, Matt.«

Polizeichef Dan Burnett saß in seinem Büro und telefonierte, als seine Sekretärin hereinkam. »Der Bürgermeister ist auf Anschluss zwei.«

»Sagen Sie ihm, dass ich auf Anschluss eins gerade mit dem Gouverneur spreche«, knurrte Burnett. Er wandte sich wieder dem Telefon zu.

»Ja, Sir. Das weiß ich ... Ja, Sir. Ich glaube schon ... Ich bin davon überzeugt, dass wir das schaffen ... Sobald wir ... Gut. Wiederhören, Sir.« Er knallte den Hörer auf.

»Das Pressebüro des Weißen Hauses möchte Sie auf Anschluss vier sprechen.«

So ging das schon den ganzen Morgen.

Zur Mittagsstunde drängten sich zahllose Pressevertreter im Konferenzraum des Municipal Center an der Indiana Avenue im Zentrum von Washington. Polizeichef Burnett trat ein und begab sich zur Stirnseite des Raumes.

»Wenn ich um Ruhe bitten dürfte.« Er wartete, bis alle schwiegen. »Bevor ich auf Ihre Fragen eingehe, möchte ich eine Erklärung abgeben. Der grausame Mord an Gary Winthrop ist nicht nur ein schwerer Schlag für diese Stadt, sondern für die ganze Welt, und wir werden ohne Unterlass weiter ermitteln, bis wir diejenigen, die für dieses schreckliche Verbrechen verantwortlich sind, dingfest gemacht haben. Jetzt dürfen Sie Ihre Fragen stellen.«

Ein Reporter stand auf. »Mr. Burnett, hat die Polizei schon irgendwelche Anhaltspunkte?«

»Gegen drei Uhr morgens sah ein Zeuge zwei Männer, die auf der Zufahrt zu Mr. Winthrops Haus irgendetwas in einen weißen Kleinbus luden. Da ihm ihr Verhalten verdächtig vorkam, notierte er sich das polizeiliche Kennzeichen des Wagens. Wie wir herausfanden, wurden die Nummernschilder von einem Lastwagen gestohlen.«

»Weiß die Polizei bereits, was aus dem Haus entwendet wurde?«

»Etwa ein Dutzend wertvolle Bilder.«

»Wurde außer den Bildern noch etwas gestohlen?«

»Nein.«

»Wie steht’s mit Bargeld und Schmuck?«

»Das Bargeld und der Schmuck wurden nicht angerührt. Die Diebe hatten es nur auf die Bilder abgesehen.«

»Mr. Burnett, gab es in dem Haus eine Alarmanlage, und wenn ja, war sie eingeschaltet?«

»Nach Aussage des Butlers wurde sie abends immer eingeschaltet. Die Einbrecher müssen sie irgendwie außer Betrieb gesetzt haben. Wir wissen noch nicht genau, wie sie das bewerkstelligt haben.«

»Wie haben sich die Einbrecher Zugang zum Haus verschafft?«