Выбрать главу

Aurians Miene hellte sich auf. Wenigstens war Shias arme Freundin dann nicht umsonst gestorben. Die Magusch, die sich plötzlich viel besser fühlte, wandte sich wieder an Elster. »Natürlich werde ich euch helfen«, versprach sie, »aber bevor ich zu Königin Rabe gehe, muß ich einige meiner Freunde finden.« Der weißhaarige Cygnus machte eine Bewegung, als wolle er protestieren, aber Aurian brachte ihn mit einem stahlharten Blick zum Schweigen. »Sobald ich meine Freunde gefunden habe – und keine Sekunde früher«, sagte sie fest. »Und jetzt zeigt mir den Weg zu den Korridoren, die unter dem Tempel liegen.« Sie winkte ihre Kameraden heran. »Chiamh, Yazour, kommt bitte mit.«

Aurian hatte die Worte kaum ausgesprochen, als sie einen Schrei hörte: »Ich komme!« Plötzlich wurde die Magusch von einem gewaltigen, flammenäugigen Schatten, der schwärzer als die Dunkelheit war, zu Boden geworfen. Im Fallen sah Aurian aus den Augenwinkeln noch eine weitere Katze, die kurz vor ihr stehengeblieben war – Shia lag auf ihr und schnurrte wie herannahender Donner, während sie ihr dunkles Maul an Aurians Gesicht rieb und ihre Freundin umarmte.

»Nein!« Die Stimme gehörte Chiamh. Ihr folgte ein herzzerreißender, schriller Schrei. Als die Magusch und Shia auseinandersprangen, sah Aurian die geflügelten Krieger, die in die Hocke gegangen waren, um ihre Bögen zu spannen. Das Windauge stand zwischen den Katzen und den zu Tode erschrockenen Himmelsleuten, und in seinen Augen flackerte leuchtendes Silber, das das unruhige Fackellicht widerspiegelte, während seine Hände die nebelschwere Luft zu Schleifen zu binden schienen. Hoch über den Geflügelten ragte die gräßliche Gestalt eines Dämons auf.

»Laßt die Waffen fallen«, rief Chiamh, »oder meine Kreatur wird euch angreifen!« Als Schwerter und Armbrüste zu Boden fielen, sah das Windauge Aurian an. »Lady, sie waren drauf und dran, deine Freunde zu töten«, knurrte er. Heißer Zorn durchfuhr die Magusch, aber sie hatte keine Zeit, sich ihren Gefühlen hinzugeben. Sie konnte den Druck auf Chiamhs Gesicht sehen, während er versuchte, seine grauenerregende Erscheinung in der fast windstillen Luft aufrechtzuerhalten. Aurian blickte mit einem Schaudern zu dem Dämon hinauf. Er sah für ihren Geschmack den Todesgeistern viel zu ähnlich.

Sie wandte sich an die am Boden knienden Himmelsleute. »Wenn irgend jemand diesen Katzen auch nur ein Haar krümmt, werden wir den Dämon, den ihr da vor euch seht, auf eure Stadt loslassen. Habe ich mich klar ausgedrückt?«

»Wie du es wünschst, Lady. Ich gebe mein Wort darauf, daß man den Tieren nichts tun wird.« Elster war aschfahl, und ihr Gesicht glühte vor Zorn, aber Aurian nahm an, daß dieser Zorn nicht ihr, sondern den Wachen mit ihren Armbrüsten galt. Und tatsächlich drehte Elster sich sofort um und stürzte sich mit wüsten Beschimpfungen auf die Bogenschützen. Aurian lächelte. Sie wußte, daß sich hinter dem Zorn der alten Frau furchtbare Angst verbarg.

Mit einem erleichterten Seufzer ließ Chiamh die Luftstränge los, aus denen er sein Ungeheuer gebildet hatte, und das Silber floß aus seinen Augen heraus. Aurian legte ihm stützend einen Arm um die Schultern, denn sie sah, daß er fast völlig erschöpft war. »Ich danke dir, mein Freund«, sagte sie leise.

Das Windauge sah Shia an, und seine braunen Augen weiteten sich vor Erstaunen. »Als du mir von der Katze erzähltest, die deine Freundin ist, hatte ich ja keine Ahnung, daß du einen von den tollwütigen schwarzen Geistern unserer Berge meintest!«

»Tollwütig!« bemerkte Shia spitz. »Daß ich nicht lache! Alles, was wir von deinesgleichen je zu sehen bekommen haben, waren Speere und Pfeile – und das seit dem ersten Tag, an dem ihr in unsere Berge eingedrungen seid und uns unser Land gestohlen habt! Es stimmt schon, die meisten Mitglieder deines Volkes haben weder den Verstand noch die nötigen Mittel, um mit uns zu sprechen, aber du und deine Vorfahren, ihr wäret dazu noch in der Lage gewesen!«

»Mutter der Tiere!« rief Chiamh und faßte sich an die Stirn. »Sie hat mit mir gesprochen! Als sie dich vorhin angesprungen hat, Aurian, war ich sicher, daß sie das aus echter Freundschaft tat. Das war auch der Grund, warum ich euch geholfen habe – sonst hätte ich vielleicht auch gedacht, daß sie dich angreift.«

Aurian lächelte. »Ihr beide könnt euch später unterhalten und hoffentlich eine Möglichkeit finden, zwischen euren Völkern Frieden zu schließen. Im Moment habe ich das Gefühl, daß unsere Gastgeber langsam ungeduldig werden. Ich glaube, wir sollten jetzt besser zu Königin Rabe gehen.« Ihre Stimme klang schärfer, und Shia, die neben ihr stand, fauchte. Die Magusch legte tröstend eine Hand auf den Kopf der großen Katze. »Ich weiß, meine liebste Freundin«, seufzte sie. »Aber wenn wir Anvar finden wollen, brauchen wir ihre Unterstützung, und das heißt, daß ich dem verflixten Mädchen helfen muß.«

»Aurian?« Chiamh zog an ihrem Arm. »Ich glaube, ich kann dir bei deiner Suche helfen. Darf ich hierbleiben und ein paar Nachforschungen anstellen, solange du bei der Königin bist?«

Die Magusch warf einen fragenden Blick auf Elster, die zustimmend nickte. Aurian bedankte sich bei der Ärztin und wandte sich dann wieder an Chiamh. »Was meinst du mit Nachforschungen?«

Er schüttelte den Kopf. »Ich würde im Augenblick lieber nichts Näheres darüber sagen, und wir haben auch keine Zeit für lange Erklärungen. Ich werde zurückkommen, sobald ich kann – ganz gewiß aber vor der Morgendämmerung.« Mit diesen Worten mußte Aurian sich zufriedengeben. Sie wußte, daß sie dem jungen Windauge vertrauen konnte. Also drehte sie sich zu den kräftigen, geflügelten Trägern um, die schon die Netze bereit machten, um sie und ihre Kameraden hoch durch die Lüfte zu den königlichen Gemächern zu bringen. Mit einem Seufzer fügte sie sich in ihr Schicksal.

Rabe hatte sich vor Aurians Ankunft gefürchtet. Schon immer hatte sie beträchtliche Ehrfurcht vor der großen, rothaarigen Magusch verspürt, und jetzt, da sie Aurian Grund gegeben hatte, sie zu hassen … Rabe schauderte und stöhnte vor Schmerzen. Selbst diese kleine Bewegung bereitete ihr heftige Schmerzen in ihren zertrümmerten, zersplitterten Schwingen. Wenn sie mir doch nur helfen könnte, dachte das geflügelte Mädchen verzweifelt. Unglücklicherweise glaubte sie trotz Aurians Versprechen nicht daran, daß die Magusch etwas Derartiges tun konnte. Wäre die Situation umgekehrt, überlegte Rabe, würde ich ihr nicht helfen … Da öffnete sich die Tür ihres Gemachs, und der Gegenstand ihrer Gedanken stand vor ihr.

Für eine Sekunde trafen sich ihre Blicke. »Du brauchst mich nicht zu bemitleiden!« brauste Rabe auf, bevor sich die Magusch – wie es andere bereits getan hatten – mit eben diesem Ausdruck in den Augen von ihr abwandte.

Aurian zuckte nur mit den Schultern. »Du hast es dir selbst zuzuschreiben«, sagte sie kühl, und das geflügelte Mädchen biß wütend die Zähne zusammen. Noch mehr erzürnte sie der Umstand, daß die Magusch es bemerkt hatte.

Aurian hob eine Augenbraue. »Entscheide dich«, sagte sie brutal. »Ich bin nicht hergekommen, um dich zu bemitleiden, Rabe. Ich bin gekommen, um dich wie versprochen zu heilen – und dann werden wir sehen, was du tun kannst, um deinen Betrug an uns allen wiedergutzumachen.« Ein tiefes, drohendes Knurren folgte den harten Worten, und Rabes Herz sank, als sie sah, daß Shia mit einer fremden Katze die Magusch begleitet hatte. Noch mehr entsetzte es sie, Yazour hinter ihnen zu entdecken, dessen Blick hart wie blauer Stahl war. Die Geflügelte zuckte unter seinem vernichtenden Blick zusammen. Während ihrer gemeinsamen Zeit im Wald hatte der junge Hauptmann keinen Zweifel daran gelassen, daß er sich zu ihr hingezogen fühlte. Als sie seine zaghaften Annäherungen immer wieder verächtlich zurückgewiesen hatte, waren seine Gefühle für sie langsam erkaltet. Daher erstaunte es sie zu sehen, daß sein Gesicht vor Entsetzen bleich wurde, als er das Ausmaß ihrer grauenhaften Verletzungen bemerkte. Er schüttelte erschrocken den Kopf und biß sich auf die Lippen, als wolle er sich jede Äußerung verbieten.