Als sie sich in das duftende Wasser gleiten ließ, schnitt das Bedauern über den Verlust von Davorshan wie ein Messer durch Eliseths Seele. Sie vermißte den jungen Wettermagusch. Unter ihrer Führung war er immer talentierter geworden, sowohl in der Magie als auch in ihrem Bett, und er hatte sich als ein williges und nützliches Instrument ihrer Pläne gezeigt, bis Miathan ihn weggeschickt hatte, um Eilin zu töten, und er selbst dabei umgekommen war. Eliseth war froh über Miathans Auftrag, herauszufinden, wer Davorshan ermordet hatte, denn sie war entschlossen, ihn zu rächen. Aber in der Zwischenzeit blieb Eilins Tal ein Rätsel, das mit äußerster Gefahr verbunden war. Wie sollte sie herausfinden, was dort vor sich ging? Während die Magusch, in nachdenkliches Grübeln versunken, in dem beruhigenden Wasser lag, nahmen die ersten Keime eines Plans in ihren Gedanken Gestalt an.
Nachdem sie einige Zeit später, endlich wieder an Leib und Seele gereinigt, aus dem Wasser gestiegen war, kehrte Eliseth in ihre Schlafgemach zurück und legte ein loses Gewand aus dicker, weißer Wolle an. Dann beschwor sie eine warme Brise herauf, um die letzte Feuchtigkeit aus ihrem Haar zu vertreiben, und rollte sich schließlich auf den weißen Samtkissen ihres Sessels am Fenster zusammen, um ihre silbernen Haarsträhnen zu bürsten.
Es würde eine Weile dauern, bis die grimmigen Wolken ihres Winters wieder an ihren Platz über Nexis zurückkehrten. In der Zwischenzeit schien der Himmel das Beste aus seiner augenblicklichen Chance machen zu wollen. Ein spektakulärer Sonnenuntergang überflutete den Hof der Akademie mit honigfarbenem Licht und kühlen, blauen Schatten und verwandelte das zerschmetterte Gerippe ihres Wetterdoms in Feuer und dunkelrotes Blut. Bragars Blut. Bei der Erinnerung an ihr Versagen und ihre Schande sog Eliseth scharf die Luft ein. »Warte nur, Aurian«, fauchte sie wütend. »Eines Tages werde ich meine Rache bekommen!«
Die topasfarbene Pracht des Sonnenuntergangs verblaßte in einem Zwielicht, das zuerst die Farbe von Saphiren und dann die von Amethysten annahm. Zu Eliseths Erleichterung zog die Nacht nun ihren schattigen Mantel über Nexis und machte die Zerstörungen im Hof unsichtbar. An dem tiefen Himmelsgewölbe über ihr tauchten die ersten Diamantspitzen der Sterne auf.
»Lady Eliseth? Bist du hier?« Sie hörte ein schüchternes Klopfen an der Tür ihres Schlafgemachs.
»Wie kannst du es wagen, mich zu stören!« Die Magusch riß die Tür auf und stürzte sich auf das zerlumpte Mädchen, das auf der anderen Seite stand.
»Aber Lady, dein Abendessen …« Ihre Worte endeten mit einem Wimmern, als Eliseth ihr ins Gesicht schlug.
»Keine Widerworte, du Gassengöre!« zischte sie. Das Mädchen ballte die Fäuste, und hinter den fettigen Locken ihres Haares blitzten ihre Augen trotzig auf. Eliseth hob die Augenbrauen. Es sah so aus, als hätte sie den kleinen Fratz unterschätzt! Was für eine nette Abwechslung es sein wird, ihren Willen zu brechen und sie mir gefügig zu machen, überlegte sie. »Wie heißt du, Kind?« fragte sie.
»Inella, Lady«, murmelte die Kleine.
»Sprich lauter, Mädchen! Und sag mir, warum habe ich dich noch nie zuvor hier gesehen?«
»War früher nicht hier.«
Es juckte Eliseth in den Fingern, sie wieder zu schlagen, aber sie hielt ihr Temperament im Zaum. Sie wollte, daß das Mädchen sie fürchtete und respektierte, aber sie brauchte auch seine Treue. Mit einiger Mühe gelang es Eliseth, ein Lächeln hervorzubringen. »Bist du hungrig, Kind?« Das Mädchen nickte, und ihre großen Augen hefteten sich auf die Servierschalen, die sich auf Eliseths Essenstablett drängten.
Eliseths Mund verzog sich zu einem zuckenden, kleinen Lächeln, als sie die Speisen auf dem Tablett teilte und sich zunächst einmal mit großzügigen Portionen von dem Fleischeintopf und dem gedämpften Gemüse bediente. Aber sie ließ in den zugedeckten Schalen genug übrig, damit das halb verhungerte Kind ebenfalls noch satt werden konnte. Dann nahm sie eine der süßen Apfelpasteten, die mit Nelken und Zimt gewürzt waren und ließ die andere für Inella übrig. »Hier, Kind.« Sie gab ihr das Tablett zurück. »Nimm das mit in eine stille Ecke und iß dich satt – so, wie du aussiehst, bekommst du von Janok wohl ziemlich kleine Portionen. Melde dich morgen früh gleich wieder hier bei mir, und dann kümmern wir uns darum, die scheußlichen Lumpen, die du trägst, durch Besseres zu ersetzen.«
Der stumpfe, widerwillige Blick war aus Inellas Gesicht verschwunden. Es sah so aus, als hätte sie Eliseths übellaunige Ohrfeige bereits vergessen. »Oh, Lady, ich danke dir!« Die Augen des Kindes strahlten vor Dankbarkeit, als sie das dargebotene Tablett entgegennahm, das sich gefährlich zur Seite neigte, als sie einen Knicks machte. Eliseth fing es gerade noch rechtzeitig auf, bevor die Schalen zu Boden rutschen konnten. »Und jetzt weg mit dir«, sagte sie. »Genieß dein Abendessen, Kind – und wenn du dich wieder bei Janok meldest, sag ihm, daß ich dich von jetzt an als meine persönliche Magd haben will.«
Als das Mädchen, das sich unablässig weiter bedankte, verschwunden war, setzte Eliseth sich an den Tisch, um ihr erstes wohlschmeckendes Mahl zu genießen, seit Miathan sie mit der Gestalt des häßlichen, alten Weibes geschlagen hatte. Es war eine gute, solide Kost – etwas ganz anderes als die Suppe und der Haferbrei, die das einzige gewesen waren, was sie mit den zahnlosen Kiefern der Alten hatte essen können. Die Magusch aß mit großem Appetit, aber mehr noch als das Essen kostete sie den Gedanken daran aus, daß sie wieder einmal ein williges Werkzeug haben würde, ein Werkzeug, dem sie mit Hilfe ihres falschen, mühelosen Charmes ihren Willen aufzwingen würde. Eliseth lächelte. Sie war sich sicher, daß die kleine Magd sich im Endeffekt noch als sehr nützlich erweisen würde. Das taten die Sterblichen meistens.
Eilins Tal fing die üppigen Farben des Sonnenuntergangs auf wie eine Handvoll Juwelen. Am Rande der glitzernden Wasser des Sees tummelte sich ein prachtvolles Einhorn, das mit seinen stampfenden Hufen einen wie tausend Sterne funkelnden Sprühregen aufwirbelte und mit seinem silbernen Horn einen Regen von Diamanttröpfchen durch die Luft schoß. D’arvan beobachtete Maja mit einem Lächeln. Bei den Göttern, sie war atemberaubend! Das schönste Geschöpf, das je gelebt hatte, und er war der einzige, der das Privileg genoß, es zu sehen – und doch hätte er dieses Wunder auf der Stelle dafür eingetauscht, seine Maja zurückzubekommen. Ihr herzliches Lachen und ihren Sinn für Humor; ihren unverblümten, gesunden Menschenverstand, in dem immer auch so viel Mitleid für andere lag; ihre schlanke, drahtige Gestalt mit den starken, sonnengebräunten Gliedern; ihr glänzendes, dunkles Haar, das in Kriegermanier zu festen Zöpfen geflochten war oder in sanften Wellen offen auf einem Kissen lag …
Als sei auch er gerade erst aus den Wasser des Sees gestiegen, schüttelte D’arvan sich, um sich von den Träumen der Sehnsucht zu befreien, während das Einhorn langsam näher kam. Das sich allmählich verdüsternde Zwielicht warf blausilberne Schatten auf dem mondgesponnenen Fell. D’arvan legte seine Arme um Majas Hals, und die beiden – der Magusch und das Zauberwesen – umarmten einander und teilten einen Augenblick lang ihre Einsamkeit. Wie lange würde diese elende Trennung noch dauern? fragte sich D’arvan. Er und Maja taten alles, worum sein Vater, der Waldfürst, sie gebeten hatte. Seine Magie, von der er vermutete, daß sie durch die uralten Kräfte der Phaerie zugenommen hatte, hatte Eliseths tödlichen Winter von dem Tal ferngehalten, das wie ein einsamer Smaragd in dem von eisernen Klauen umschlossenen Land ringsum erstrahlte. Bäume, wach und aufmerksam, füllten das große Becken von einem Rand zum anderen und spendeten den Feinden des Erzmagusch Zuflucht, Schutz und Nahrung. D’arvan und die Wölfe der Lady Eilin kontrollierten das Tal und beschützten diejenigen, die in seinem Innern lebten, vor Eindringlingen und Gefahren. Maja bewachte das Seeufer und die hölzerne Brücke, die zu der Insel und ihrem verborgenen Geheimnis führte – dem legendären Flammenschwert, in uralter Zeit vom Drachenvolk geschmiedet, um das größte der Artefakte der Macht zu werden.