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Das war zu hoch für Forral, und er war es müde, daß man mit ihm herumspielte. »Wenn du endlich fertig bist«, knurrte er, »geh mir einfach aus dem Weg.« Er holte tief Luft. »Bitte. Ich muß Aurian sehen!«

Der Tod seufzte. »Du bestehst also immer noch darauf. Na schön – aber ich habe dich gewarnt. Sehen darfst du sie, aber ich werde nicht zulassen, daß du dich wieder einmischst.«

Der uralte Hain überragte düster den schattigen Gipfel des Hügels. Forral schritt zuversichtlich aus, denn er wußte, daß seine Liebe zu Aurian ihm auch hier einen Weg bahnen würde, so wie sie ihm das Tor Zwischen den Welten geöffnet hatte. Der Tod drängte ihn beiseite – eine unangenehme Berührung, die keine Berührung war, wie das abscheuliche Fehlen jedes Gefühls in einer Narbe. Sie ließ den Schwertkämpfer bis in die Tiefen seiner Seele hinein erzittern. »Wenn du gestattest«, sagte die Erscheinung mit gespielter Höflichkeit. »Die Bäume mögen dich nicht, Forral – deine Gegenwart besudelt ihren geheiligten Schatten, und deine unziemliche Hast beunruhigt sie.«

Die Erscheinung wandte sich dem Wäldchen zu, verbeugte sich dreimal tief, und die Bäume bewegten sich schweigend zur Seite, um einen Pfad zu bilden. Forral, der dem Tod vorsichtig folgte, konnte beinahe jenseits aller Hörbarkeit das raschelnde Murmeln ihres Zorns wahrnehmen, als sie unter den dichten Ästen hindurchschritten. Der Schwertkämpfer legte die Erinnerung an Aurian wie einen Schild um sein Herz und sagte sich immer wieder, daß er keine Angst hatte.

Der Teich im Herzen des Wäldchens war genau so, wie Forral ihn in Erinnerung hatte. Umgeben von weichem Moos lag er ganz still da – schweigsam und feierlich in seiner ehrfurchtgebietenden Macht, alle Welten des Sterblichen Universums in seinen sternenübersäten Tiefen geborgen. Der Schwertkämpfer trat ungeduldig vor. Er hatte schon vor langer Zeit begriffen, daß er, wenn er die Wasser des Brunnens der Seelen berührte, seinen Schatten in Aurians Welt wenden konnte.

»Warte!« Die Stimme der unheimlichen Erscheinung klang hart. »Bevor du dich dem Brunnen näherst, sage ich es dir, noch einmal – du darfst nur zusehen. Du darfst nicht zurückgehen, und du darfst dich nicht einmischen. Und wenn das, was du siehst, dir Kummer bringt – nun, ich habe dich gewarnt.«

»Also gut!« knurrte Forral. Dann kniete er am moosbewachsenen Ufer des Teichs nieder, blickte hinunter in die dunklen Wasser – und zuckte zusammen, wie immer, wenn ihm das sternenhelle Universum aus unergründlichen Tiefen entgegenfiel. Aber er wußte nun, was ihn erwartete. Aurian, dachte er voller Sehnsucht. Aurian, meine Liebste … Obwohl er sicheren Halt am Ufer hatte, hatte der Schwertkämpfer das Gefühl zu fallen. Endlos stürzte er durch einen Strom von Sternen … Dann klärten sich die Wasser; wurden zum Spiegel – nein – zu einem Bild, das sich bewegte und lebte. Forral sah Orte, Menschen, Stunden, Tage – alles dicht zusammengedrängt in einem zeitlosen Wirbel, in einer Welt, die ihm mit ihrer süßen Vertrautheit das Herz zerriß.

Bohan wartete, wie er schon seit Tagen gewartet hatte; unnachgiebig hielt er auf dem Hügel am Rande der Wüste Wache. Er war jedoch nicht allein – dafür sorgten seine Begleiter. Einer der anderen war immer bei ihm – der einäugige Eliizar, der einst Schwertmeister der Arena gewesen war, oder Yazour, der mutige, junge Krieger, der seinen Prinzen verlassen hatte, um sich Aurians seltsamer kleiner Truppe anzuschließen. Ohne Unterlaß hatten sie den Eunuchen bewacht, so wie Bohan selbst die leeren Sandmassen bewachte; keinen Augenblick ließen sie ihn allein. Bohan wurde von Schuldgefühlen gequält, weil er es ihnen gestattet hatte, ihn zu übertölpeln, und weil er deswegen seine Herrin im Stich gelassen hatte, und nun konnte er nicht einmal zu ihr zurückkehren – weil sie ihn nicht gehen ließen.

Bohans Gedanken waren voller Bitterkeit. Alle nahmen sie an, daß er, weil er nicht sprechen konnte, auch dumm sein müßte. Alle, das heißt bis auf seine geliebte Aurian. Mit ihrer Freundlichkeit hatte sie seine tiefe Zuneigung und Treue gewonnen – aber er hatte sie in der Wüste zum Sterben allein zurückgelassen, zusammen mit seinen Freunden Anvar und der schwarzen, flammenäugigen Shia, der großen Katze, deren Intelligenz mehr als menschlich war.

Obwohl Eliizar sich gezwungen gesehen hatte, den Eunuchen bewußtlos zu schlagen, um ihn von den beiden Magusch zu entfernen, gab Bohan sich immer noch die Schuld daran. Er hatte seine Herrin verlassen – und jetzt, nachdem der erste tödliche Sandsturm die Wüste aufgewühlt hatte, mußte er der Wahrheit ins Gesicht sehen. Aurian war tot, begraben unter erstickenden Sandmassen, ihre Augen und ihre Haut weggefressen, ihre Knochen von den messerscharfen Partikeln des Edelsteinstaubs bloßgelegt.

Noch lange hatte sich Bohan an einen Hoffnungsschimmer geklammert – gegen jede Vernunft, gegen jedes bessere Wissen. Diese Hoffnung hatte ihn während der letzten Tage davon abgehalten, einfach hinaus in die Wüste zu laufen. Er hatte immer geglaubt, daß Aurian es schaffen würde, trotz allem – daß sie nun jeden Augenblick am schwirrenden Horizont der glitzernden Dünen auftauchen müßte. Das war auch der Grund, warum er sich den vernünftigen Überlegungen der anderen unterworfen hatte. Ich muß wohl doch ein Dummkopf sein, dachte der Eunuch. Ich habe ihnen erlaubt, mich zu überreden: Yazour, Eliizar und Nereni haben mich mit ihrem klugen Geschwätz übertölpelt.

»Wenn sie kommt, kommt sie, Bohan. Nichts, was wir tun können, wird ihr helfen oder sie daran hindern

»Wenn irgend jemand da wieder rauskommt, dann sie und Anvar

»Das letzte, was Aurian wollte, wäre, daß du dein Leben wegwirfst

Und jetzt war es zu spät. Bohan barg sein Gesicht in den Händen, würgte an einem lautlosen Schluchzen, und Tränen durchtränkten die hauchzarten Schleier, die seine Augen verhüllten, um sie vor dem blindmachenden Funkeln der Wüste zu schützen.

Eine Hand berührte ihn sanft und voller Mitleid an der Schulter. Er blickte sich um und sah Nereni, Eliizars Frau, und als sie sprach, klang ihre Stimme erstickt von den Tränen, die auch sie geweint hatte. »Komm hier weg, Bohan. Es hat keinen Sinn, noch länger zu warten. Eliizar sagt …« Plötzlich sog sie scharf die Luft ein, und der Eunuch spürte, wie ihre Hand auf seiner Schulter sich verkrampfte. »Bohan, warte! Sie kommen! Sie kommen

Die erste, die den Eunuchen erreichte, war die große Katze Shia, mit der er durch ein so rätselhaftes Band verbunden war. Sie warf sich auf ihn, schnurrte begeistert, und trotz seiner großen Kraft wurde Bohan von ihrem gewaltigen Gewicht zu Boden geworfen. Aber als er Aurian seinen Namen rufen hörte, konnte der Eunuch nicht länger warten. Er löste sich aus Shias stürmischer Umarmung, stürzte über den Rand des Abhangs und jagte durch die steile Kluft auf das flache Land der Juwelenwüste zu, wobei er Wolken glitzernden Edelsteinstaubs aufwirbelte.

Aurian taumelte, gestützt von ihrem Maguschfreund Anvar, auf ihn zu. Sie war unverkennbar erschöpft; ihre blutüberströmte Haut war mit funkelndem Edelsteinstaub übersät, und ihr Gewand bestand nur noch aus zerfetzten Lumpen. Mit tränenüberströmtem Gesicht preßte der Eunuch sie so fest an sich, daß sie kaum noch Luft bekam. Verzweifelt wünschte er sich, ihr erklären zu können, daß er sie nicht freiwillig in der Wüste im Stich gelassen hatte, daß Eliizar und Yazour ihn dazu gezwungen hatten. Er wollte ihr erzählen, wie er sich um sie gesorgt und um sie getrauert hatte; und wie er, nachdem der Sandsturm sich erhoben hatte, alle Hoffnung verloren hatte, sie je wiederzusehen. Statt dessen konnte er sie nur in seinen Armen halten und sein ganzes Herz in seine Augen legen.