D’arvan seufzte. Wäre dieses verfluchte Schwert nicht … Aber seine Wünsche waren nutzlos. Es gab sie eben, diese Waffe der Hohen Magie, und bis der Eine, für den sie geschmiedet war, kam, um sie zu holen, so wie es vor langer Zeit vorhergesagt worden war – so lange mußten er und Maja ihre einsame Wächterschaft erfüllen. Der Magusch fragte sich wie so oft, wer der Träger des Schwertes sein würde. Es war ja alles gut und schön, dachte er, solange man davon ausgehen konnte, daß er auf unserer Seite stehen wird. Aber es könnte jeder sein! Was ist, wenn es sich herausstellt, daß es der Erzmagusch ist? D’arvans Eingeweide zogen sich bei diesem Gedanken vor Entsetzen zusammen.
Maja – oder, um genau zu sein, das Einhorn – versetzte ihm einen kräftigen Stoß in die Magengegend, so daß er zurücktaumelte und Mühe hatte, das Gleichgewicht zu halten. »Na schön«, sagte D’arvan zu ihr. »Ich weiß; ich verschwende nur meine Zeit mit diesen törichten Gedanken, während du einen letzten Blick auf deinen Freund Hagorn werfen willst, bevor er aufbricht.«
Die Dunkelheit senkte sich herab, und alles war still bis auf das rhythmische Quaken der Frösche in den Binsen. Geisterhafte Ranken aus silbernem Nebel wirbelten über die dunkle, glatte Oberfläche des Wassers. D’arvan hielt den Stab der Lady Eilin empor, und die Bäume teilten sich vor ihm, um ihre belaubten Häupter wie zu einer Huldigung über den Pfad zu neigen, den sie geschaffen hatten. Gemeinsam ließen sie den See hinter sich, Magusch und Einhorn, und verschwanden in dem dunklen Wald wie die letzten, verblassenden Erinnerungen an einen Traum.
Es war nicht mehr weit vom See bis zum Lager von Vannors Rebellen. Obwohl D’arvan und das Einhorn für die Sterblichen unsichtbar waren, hielten sie sich doch im Schutz des Dickichts am Rande der Lichtung. D’arvan hatte ein- oder zweimal versucht, das Lager zu betreten, aber der leere Ausdruck von Vannors Flüchtlingen hatte an seinen Nerven gezerrt, denn ihre Blicke waren mitten durch ihn hindurchgegangen. Man war schon einsam genug als Unsichtbarer, hatte der Magusch gefunden, ohne an diese Tatsache auch noch erinnert zu werden.
Unsichtbar oder nicht, D’arvan hatte den Rebellen einen großen Dienst erwiesen, indem er ihnen ein Lager errichtet hatte. Sein Vater hatte ihm befohlen, Miathans Feinde zu beschützen, und er hatte sein Bestes getan, sogar schon bevor Vannors Leute angekommen waren. Da ihm der Schutz der Bäume dringend am Herzen lag, hatte D’arvan jede erdenkliche Vorsichtsmaßnahme getroffen, um die Flüchtlinge davon abzuhalten, sich an lebendigem Holz zu vergreifen. Die runden Schutzzelte, die die Lichtung umringten, waren aus Schößlingen und Büschen gemacht, die der Erdmagusch dazu überredet hatte, sich ineinander zu verschlingen und dabei Höhlen zu bilden, in denen Menschen leben konnten. D’arvan sorgte dafür, daß jeden Tag ein neuer Stapel abgestorbenes Holz im Lager auftauchte, den er mit Hilfe eines Apportzaubers – eines der Kunststücke, die er in seiner kurzen Lehrzeit bei der Lady Eilin gelernt hatte – von den am weitesten entfernten Teilen des Waldes zu den Rebellen hinschaffte. Wo immer Vannors Leute hinzugehen wünschten, taten sich Pfade auf. Die Haselnußsträucher und Obstbäume, die am Flußufer wuchsen, waren dazu überredet worden, eine frühe Ernte hervorzubringen, und obwohl die Insel mit Eilins Garten den Gesetzlosen verboten war, hatte D’arvan den größten Teil ihrer weit verstreuten Ziegen und das Federvieh zusammengetrieben und sie an einer Stelle zurückgelassen, wo die Rebellen sie finden mußten.
Der junge Magusch lächelte bei der Erinnerung daran, wie verängstigt die Rebellen zu Anfang gewesen waren – und wie schnell sie sich eingewöhnt hatten. Vannors respekteinflößende Haushälterin Dulsina war natürlich die erste gewesen, die feststellte, daß sie von irgendwoher Hilfe bekamen, daß irgend jemand sie beschützte und daß sie das Beste daraus machen mußten – was sie auch tatsächlich getan hatten. Darvans kleines Nest war offensichtlich eine gewaltige Verbesserung gegenüber ihrem Versteck in den Abwässerkanälen von Nexis!
Nur mit größtem Widerwillen konnte Vannor sie schließlich dazu bringen, den anderen klarzumachen, daß dieses Idyll im Wald ihnen nicht weiterhalf. Er hatte beschlossen, daß jemand zurück nach Nexis gehen mußte, wenn sie Informationen über ihre Feinde haben wollten, wenn sie ihre kleine Streitmacht vergrößern und mehr Menschen aus der Stadt an diesen sicheren Ort bringen wollten. Am Ende wurde, zu Majas offenkundiger Mißbilligung, Hagorn für diese Mission ausgewählt.
»Bist du sicher, daß du alles hast?« fragte Dulsina Hagorn. Vannor, der von einem umgestürzten Baum in der Nähe zusah, grinste über den angewiderten Gesichtsausdruck des alten Soldaten.
»Bei den Göttern, Frau«, protestierte Hagorn. »Ich habe schon mein Bündel für irgendwelche Feldzüge geschnürt, als du noch ein kleines Mädchen warst und an den Schürzenbändern deiner Mutter gehangen hast. Natürlich habe ich alles!«
Vannor, der das vertraute, hinterhältige Funkeln in Dulsinas Augen bemerkt hatte, beugte sich erwartungsvoll vor.
Der alte Soldat seufzte und hob seine Augen gen Himmel.
»Essen, Wasserflasche, Kleider zum Wechseln, Decke, Feuerstein und Zündhölzer …«Er zählte noch verschiedene Teile seiner Kleidung und seiner Stiefel auf, in denen Dolche verborgen waren. »Umhang …, sonst noch was? Oder gibst du jetzt endlich zu, daß du geschlagen bist?«
Mit einem süßen Lächeln ließ Dulsina eine Hand in die Tasche ihres Kleides gleiten und zog einen kleinen, aber gut gefüllten Lederbeutel hervor. »Geld?« schlug sie vor. »Oder hattest du die Absicht, für dein Abendessen zu singen, wenn du nach Nexis kommst? Ich habe deinen Gesang gehört, Hagorn – die Vorstellung, daß du davon abhängig sein könntest, würde mir gar nicht gefallen.«
Vannor, der ihr das Silber gegeben hatte – den letzten Rest seiner ohnehin geringen Mittel, damit sie es an den ergrauten Krieger weitergab –, brach in Gelächter aus.
»Sieben verfluchte Dämonen!« sagte Hagorn mit Gefühl. Dann wandte er sich an den kichernden Kaufmann. »Das ist deine Schuld – sie ist deine Haushälterin!«
»Wieso soll es meine Schuld sein?« protestierte der Kaufmann. »Du hast sie hierhergebracht – du kannst dir die Schuld also ruhig selbst zuschreiben. Außerdem habe ich sie schon lange entlassen – aber sie weigert sich ja zu gehen.«
»Entlassen, wahrhaftig – und zehn Tage später bist du zurückgekommen, um mich zu bitten, meine Arbeit wieder aufzunehmen, weil dir das Haus über dem Kopf zusammenfiel«, schnaubte Dulsina verächtlich. Jetzt war es an Hagorn, sich über das offenkundige Unbehagen seines Freundes lustig zu machen. »Es endet immer auf die gleiche Art und Weise«, erzählte Dulsina dem Krieger. »Die Wahrheit ist, daß er ohne mich einfach nicht zurechtkommt.«
»Sei endlich still«, knurrte Vannor und legte ihr voller Zuneigung einen Arm um die Taille, »sonst muß ich wohl etwas Respekt in dich hineinprügeln. Hätte ich vor langer Zeit schon tun sollen.«
Weit entfernt, sich durch seine Drohung beeindruckt zu zeigen, brach Dulsina in fröhliches Gelächter aus.
»Hör auf zu lachen, Weib!«
»Dann hör du auf, den Narren zu spielen«, kicherte Dulsina und löste sich von ihm, bevor ihm eine Antwort einfiel.
»Hast du es je geschafft, bei dieser Frau das letzte Wort zu behalten?« erkundigte sich Hagorn.
»Ich kenne sie jetzt schon über zwanzig Jahre lang, und bisher ist es mir nicht gelungen.« Vannor blickte zu seiner Haushälterin hinüber, die mittlerweile auf der anderen Seite der Lichtung den Inhalt von Fionals Bündel überprüfte. »Auf der anderen Seite«, sagte er, »würde ich ohne zu zögern mein Vermögen, meine Kinder und mein Leben in ihre Hände legen.« Er zuckte mit den Schultern. »Um ehrlich zu sein, Hagorn, ich weiß nicht, was ich ohne sie machen würde. Ich bin froh, daß sie dich dazu überredet hat, sie hierherzuschmuggeln – aber wehe, wenn du ihr das erzählst!«