Hagorn kicherte. »Ich wußte, daß du irgendwann zur Vernunft kommen würdest. Eine Entwicklung, die Dulsina übrigens ebenfalls vorhergesehen hat.« Der alte Soldat lächelte, als er den jämmerlichen Gesichtsausdruck des Händlers sah. Wie schade, dachte er, daß Vannor immer noch von der Erinnerung an diese hinterhältige, kleine Hexe besessen ist, die er geheiratet hat. Was für eine Verschwendung! Es liegt auf der Hand, daß er Dulsina gern hat – und so wie es aussieht, nehme ich an, daß sie ihn schon seit Jahren liebt. Eine hübsche, kluge und vernünftige Frau wie sie ist genau das, was ein Mann wie Vannor braucht – nicht die Tochter irgendeines verdammten Müllers, die nur halb so alt war wie er und es einzig und allein auf seinen Reichtum abgesehen hatte. Hagorn seufzte. Die arme Dulsina – verschwendet sich an einen Narren, der nicht genug Verstand hat, sie so zu schätzen, wie sie es verdient. Also wirklich, wäre ich nur zehn Jahre jünger, würde ich ihr selbst den Hof machen – nicht, daß ich auch nur einen Augenblick lang glaubte, daß sie mich nehmen würde.
Gerade in diesem Augenblick kam Fional herbei, und der ängstliche Gesichtsausdruck des jungen Mannes stimmte Hagorn nachdenklich.
»Vannor, Dulsina verstreut alles, was ich in meinem Bündel hatte, auf dem Boden«, beklagte sich der junge Bogenschütze. Dann fuhr er sich unglücklich mit der Hand durch seine zotteligen, braunen Locken. »Sag ihr, daß sie damit aufhören soll.«
Der Bogenschütze hatte von Vannor den Auftrag bekommen, eine Botschaft zu überbringen. Vannor wollte seine Tochter Zanna wissen lassen, daß sie hier im Tal in Sicherheit waren – und er wollte dafür sorgen, daß Yanis, der Führer der Nachtfahrer, Kontakt zu Hagorn aufnahm, sobald dieser in Nexis war. Die Schmuggler hatten dort einen Mann, von dem niemand etwas wußte. Seit der Flucht der Rebellen hatte Miathan dafür gesorgt, daß die Stadt gut bewacht wurde. Jede Bewegung wurde genau beobachtet. Wenn also Hagorn Leute fand, die Nexis verlassen wollten – und daran hatte Vannor keinen Zweifel –, mußte dafür gesorgt sein, daß die Schmuggler sie über den Fluß aus der Stadt herausbringen konnten. In diesem Augenblick sah es jedoch so aus, als könnte Fional von Glück sagen, wenn er überhaupt wegkäme.
»Du solltest diese Sachen einpacken, Fional«, tadelte ihn Dulsina, »statt sie einfach nur hineinzustopfen.« Sie hielt des Ersatzgewand des jungen Bogenschützen empor, das zusammengeknautscht ganz unten in dem Bündel gelegen hatte.
»Was spielen ein paar Knitter schon für eine Rolle?« protestierte der junge Mann. »Ich war damit beschäftigt, neue Pfeile zu machen – ich hatte keine Zeit, irgendwelche Sachen kunstvoll zusammenzufalten.«
Dulsina seufzte. »Es geht doch nicht um zerknitterte Kleidung. Wenn du diese Sachen vernünftig zusammenfaltest, so in etwa, hast du mehr Platz für dein Essen. Du hast nicht einmal annähernd genug eingepackt.«
Fional stöhnte ganz wie jemand, der bereits wußte, daß eine Erwiderung zwecklos war. »Ich dachte, ich könnte unterwegs Kaninchen und Vögel schießen.« Der junge Bogenschütze war zu Recht stolz auf seine Talente, aber Dulsina zeigte sich wenig beeindruckt von seinen praktischen Einwänden.
»Hast du vergessen, daß es da draußen Winter ist?« fragte sie ihn. »Auf diesen Mooren da werden sich bestimmt nicht viele Tiere tummeln – und außerdem hast du keine Zeit zum Jagen.«
Der junge Mann errötete unter seinem Bart, und Dulsina tätschelte ihm beschwichtigend den Arm. »Mach dir nichts draus«, sagte sie. »Es war einfach ein Versehen. Ich hole dir jetzt noch etwas Proviant.«
Vannor und Hagorn tauschten verständnisvolle Blicke mit dem jüngeren Mann. »Ich weiß«, sagte der Kaufmann zu ihm. »Glaub mir – ich weiß – aber die Sache ist die: Sie hat immer recht.«
D’arvan, der von seinem Versteck aus zusah, war entsetzt. Er hatte gewußt, daß Hagorn gehen würde – aber doch nicht auch noch Fional! Ebenso wie Maja war auch der junge Bogenschütze sein Freund geworden, nachdem Aurian ihn zum ersten Mal zu einem ihrer Besuche in der Garnison mitgenommen hatte. Sie beide, ein Magusch und ein Sterblicher, hatten eine gemeinsame Leidenschaft fürs Bogenschießen entwickelt – eine Leidenschaft, die in D’arvans Fall nur von seiner Liebe zu Maja übertroffen wurde –, während es in Fionals Fall nichts und niemanden gab, was seine Liebe zu Pfeil und Bogen in den Schatten gestellt hätte. Zumindest bis jetzt noch nicht, dachte der junge Magusch bei dem Gedanken an seine eigene Leidenschaft für Forrals dunkelhaarige Stellvertreterin, die ihn so vollkommen überraschend in ihren Bann geschlagen hatte.
Als der Erzmagusch die Herrschaft über Nexis an sich gerissen hatte, hatte D’arvan sich um Fionals Sicherheit gesorgt und war zutiefst erleichtert gewesen, ihn gesund und munter unter den Rebellen zu entdecken, die im Tal Zuflucht suchten. Hier war der Magusch endlich in der Lage gewesen, seinen Freund zu beschützen – aber sich vorzustellen, wie er allein über diese zugefrorenen Moore streifte, allen möglichen Gefahren ausgesetzt … Und doch war Fional ein vernünftiger junger Mann, der mehr konnte, als sich mit einer Klinge zu verteidigen, und der mit seinem Bogen natürlich tödlich war. Darüber hinaus war er ein erfahrener Pfadfinder, der sich auf den Mooren wohl kaum verirren würde – was natürlich der Grund dafür war, warum Vannor gerade ihn ausgewählt hatte. Darvan war sich im Innersten seines Herzens all dieser Dinge bewußt, machte sich aber dennoch große Sorgen. Oh, wenn er das Tal doch nur verlassen und seinen Freund begleiten könnte, um für seine Sicherheit zu sorgen! Aber das würde bedeuten, Maja im Stich zu lassen – und außerdem konnten er und das Einhorn das Tal überhaupt nicht verlassen. Sie waren die Wächter hier und mußte die ihnen zugewiesenen Aufgaben erfüllen.
Plötzlich versteifte sich D’arvan, aufmerksam geworden durch eine heftige Unruhe unter den Bäumen, die in seiner Nähe standen. Als er sein Bewußtsein auf den Wald richtete, nahm er die warnende Botschaft der Baumwächter wahr. Eindringlinge! An der Grenze des Tals waren Leute, die versuchten, sich Eintritt zu verschaffen. Er drehte sich zu Maja um. »Zur Brücke, meine Liebste – schnell!« Mit einem Aufblitzen seiner Hufe war das Einhorn auch schon verschwunden. D’arvan eilte in entgegengesetzter Richtung zum Rand des Waldes, um festzustellen, wer die Eindringlinge waren.
»Weg? Was meinst du, sie ist weg?«
Tarnal machte einen hastigen Schritt nach hinten, als er den Zorn auf Vannors Gesicht sah. Es war schon schlimm genug gewesen, dachte der junge Schmuggler, sich an diesen beunruhigenden Ort zu begeben. Er und Remana hatten eine ganze Weile in der Falle gesessen, gegen einen Baum gedrängt von einem Rudel der abscheulichst aussehenden Wölfe, die ihm je zu Gesicht gekommen waren, als der schützende Baumstamm hinter ihm plötzlich einfach seine Wurzeln aus der Erde gezogen und sich bewegt hatte! Als er sich dann wieder umsah, war das Wolfsrudel verschwunden und ein breiter, von Blättern überwölbter Gang hatte sich vor ihm geöffnet, ein Gang, der hinunter in den Krater führte. Tarnal seufzte und verfluchte Yanis mit gedämpfter Stimme. So erschreckend auch die Begegnung mit den Wölfen gewesen war, war sie doch nichts im Vergleich dazu, Vannor erklären zu müssen, daß seine Tochter verschwunden war.
»Was, in drei Teufelsnamen, hat sich Yanis dabei gedacht?« Vannors Schimpftirade ging ohne Unterbrechung weiter. »Wie ist es möglich, daß Zanna ihm unbeobachtet entkommen konnte? Was für ein Narr ich doch war, diesem Schwachkopf von einem Idioten meine Tochter anzuvertrauen! Und was dich betrifft …« Sein Zorn richtete sich nun gegen Remana. »Ich dachte, du wolltest auf sie aufpassen. Ich habe dir vertraut …«
Remana wirkte erschüttert. Tarnal seufzte. Ich kann die Sache genausogut gleich hinter mich bringen, dachte er. »Ich hatte in dieser Nacht Wache«, unterbrach er den zornigen Kaufmann. »Ich hätte nie gedacht, daß sie … Und dann hat sie mich einfach überlistet …« Unter Vannors vernichtendem, haßerfülltem Blick erstarben ihm die Worte in der Kehle.