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»Guter Junge!« Hagorn schlug dem Bogenschützen auf die Schulter. »Ich sag dir etwas – sobald wir erledigt haben, was zu erledigen uns aufgetragen ist, und ins Tal zurückkommen, wollen wir beide, du und ich, diesem Geheimnis ein und für allemal auf den Grund gehen.«

»Abgemacht!« Der junge Bogenschütze streckte die Hand aus, und Hagorn ergriff sie, um ihr Abkommen zu besiegeln.

»So«, sagte er nun energisch. »Je schneller wir gehen, um so eher kommen wir zurück und können uns um die Sache kümmern. Paß gut auf dich auf, junger Fional – und hol dir nicht alle hübschen, jungen Nachtfahrermädchen in dein Bett!«

Selbst in der herannahenden Dunkelheit konnte Hagorn sehen, wie das Gesicht des jüngeren Manns tiefrot anlief, und er grinste. Fional war ungeheuer schüchtern, wenn es um Frauen ging. »Wäre schön, wenn ich die Chance dazu hatte«, gab der Bogenschütze zurück. »Gute Reise, du alter Schurke – und trink nicht alles Bier in Nexis!«

Mit einem Abschiedsgruß machten sich nun die beiden Krieger, der alte und der junge, auf den Weg und gingen in entgegengesetzten Richtungen über die dunklen, gefrorenen Moore, jeder seinem eigenen Ziel entgegen. Vannor lief, eingehüllt in einen undurchdringlichen Umhang aus Schweigen, neben Hagorn her.

Hagorn manövrierte sein schweres Bündel auf seinen Schultern in eine bequemere Position und marschierte mit dem stetigen, schnellen Schritt, den er in vielen Jahren langer und mühsamer Wanderungen entwickelt hatte. Er war ängstlich darauf bedacht, vor der Abenddämmerung eine möglichst große Wegstrecke zurückzulegen, denn obwohl sich nach dem Massaker, das unter Angos und seinen Männern angerichtet worden war, kein Feind im Tal gezeigt hatte, hatte er keine Ahnung, ob die Moore hier draußen nicht doch noch immer bewacht wurden. Zweiundfünfzig Jahre waren ein seltenes Alter für einen Soldaten,’ und Hagorn hätte es ohne ein klein wenig gesunden Menschenverstand und Vorsicht – und, wie er bei aller Bescheidenheit glaubte, schlichter Geschicklichkeit – nicht geschafft, so alt zu werden. In diesem Geschäft war es nicht weniger wichtig, zu wissen, wie man Ärger aus dem Wege ging, als sich darauf zu verstehen, mit ihm fertig zu werden.

Vannor war jedoch unglücklicherweise ein Ärgernis, dem er nicht mehr aus dem Wege gehen konnte. Hagorn warf dem Kaufmann einen besorgten Seitenblick zu. Dieses unheimliche Schweigen ging auf einen Schock zurück, und das war keine Überraschung. Der arme Vannor – wie schrecklich, innerhalb eines Monats seine angebetete Frau und seine geliebte Tochter zu verlieren! Hagorn hatte jedoch vor allen Dingen Angst vor dem, was der Kaufmann tun würde, wenn der Schock sich erst gelegt hatte.

Doch trotz seiner Besorgnis um den Mann an seiner Seite und das arme, dumme Mädchen, das sich ganz allein in eine gefährliche Situation begeben hatte, schöpfte der alte Soldat wieder frischen Mut, als er daran dachte, daß nun endlich wieder Taten vor ihm lagen. Ein Krieger durch und durch, hatte er dem einfachen Leben im Tal zutiefst mißtraut – es war ja gut und schön, zu sagen, daß irgendeine geheimnisvolle Macht den Rebellen half, aber indem sie müßig auf der faulen Haut lagen, taten sie wahrlich nicht viel, um dem Erzmagusch Einhalt zu gebieten. In der Tat, dachte der alte Soldat, was immer uns da in dem Tal beschützt hat, hat uns zugleich vom Kampf ferngehalten, als wären wir Gefangene gewesen.

Es war eine große Erleichterung für ihn, in Fional endlich einen Verbündeten zu finden. Hagorn hatte im Tal das Gefühl gehabt, sehr vorsichtig sein zu müssen und seine Zweifel besser für sich zu behalten. Etwas kam den Gesetzlosen dort offensichtlich zu Hilfe – ein Etwas, das seine Identität nicht preisgeben wollte. Man konnte in diesem Wald nie wissen, ob nicht vielleicht jemand mithörte. Aber Parric oder ein richtiger Kommandant wie Forral hätten sich nie damit zufriedengegeben, inmitten eines Geheimnisses müßig herumzusitzen, ohne weiter nachzuforschen.

Und wenn er jetzt so darüber nachdachte – Maja hätte das sicher auch nicht getan, und das lenkte Hagorns Aufmerksamkeit auf seine dritte und wichtigste Sorge. Er wünschte sich verzweifelt, zu erfahren, was aus dem Mädchen geworden war. Er kannte sie, seit sie damals der Garnison beigetreten war – eine schüchterne und unausgebildete Rekrutin, die direkt von ihrem Elternhaus im Süden gekommen war. Und seit diesen Tagen hatte er ihre zunehmend erfolgreiche Soldatenkarriere mit Zuneigung und Respekt verfolgt. Wenn sie mit D’arvan das Tal erreicht hatte – und Maja erreichte immer alles, was sie sich vornahm –, wo war sie dann jetzt? Und wo war der junge Magusch? Was war ihnen zugestoßen? »Vannor hin, Vannor her«, murmelte der alte Soldat, »eines Tages werde ich es herausfinden!«

5

Eine Seele aus Stein

Man konnte nicht leugnen, daß Nerenis Festessen wirklich gelungen war. Wie gewöhnlich hatte sie mit dem, was ihr zur Verfügung stand, Wunder gewirkt. Das saftige Wildbret war mit Kräutern gewürzt. Dann gab es noch einen Fleischtopf mit köstlichem Aroma, der sich zum Erstaunen aller als ein Gericht von Wildziege erwies, die Nereni mit Moosen und den Knollen einer bestimmten Pflanze gekocht hatte. Bohan, der die Gegend auf der Suche nach Nahrung durchstreift hatte, kehrte mit bläulich angelaufenen Stichen in seinem geschwollenen, runden Gesicht und einem in Blätter eingewickelten Päckchen Honigwaben zurück. Außerdem förderte er mehrere beeindruckend große Forellen zutage, ein Umstand, der Yazour einen strengen Blick von Eliizars Frau eintrug. »Sie wollten also nicht anbeißen, wie?« beschimpfte sie den töricht dreinblickenden jungen Krieger.

Zu Yazours Glück kehrte genau in diesem Augenblick Rabe zurück, und ihre Schwingen wirbelten Rauchwolken und Asche aus dem Feuer auf, bevor sie schließlich in einer Woge aus Staub und Piniennadeln auf dem Boden landete. Nereni, die im ersten Augenblick lauthals schimpfen wollte, weil der Schmutz das gute Essen zu ruinieren drohte, stockte, als sie sah, in welchen Zustand das geflügelte Mädchen, ihr ganz besonderer Liebling, zurückgekehrt war. »Rabe! Der Schnitter steh uns bei! Was ist mit dir passiert?« Sie eilte auf die Prinzessin zu, die sie sanft beiseite schob und sich statt dessen lächelnd an die beiden Magusch wandte. »Bei Yinze, ich bin wirklich froh, euch zu sehen«, sagte sie einfach.

»Rabe, was ist passiert? Bist du gegen einen Baum geflogen?«

Rabe stellte sich dem durchdringenden Blick der Magusch und ermahnte sich, ja auf der Hut zu sein. Auf dem Rückweg hatte sie sich, so gut sie konnte, in einem Waldflüßchen gewaschen, aber sie hatte natürlich gewußt, daß ihr zerschundenes und zerfetztes Aussehen Bestürzung hervorrufen würde. Glücklicherweise hatte Aurian ihr genau das Stichwort gegeben, das sie brauchte.

»Wie scharfsichtig du bist«, erwiderte sie mit einem kläglichen Grinsen. »Als Nereni mich davor gewarnt hat, nach Einbruch der Dunkelheit noch herumzufliegen, hätte ich besser auf sie hören sollen. Ich habe auch nicht viel gefangen …« Sie hielt den schon ein wenig mitgenommenen Fasan in die Höhe. »Ich habe die Schnelligkeit, mit der hier die Abenddämmerung einbricht, unterschätzt und bin, wie du ganz richtig vermutet hast, gegen einen Baum geflogen!«

Wie Rabe gehofft hatte, wurden alle weiteren Erklärungen von Nereni unmöglich gemacht, die ihr mit heißem Wasser, Salben und frischen Kleidern zusetzte. Das geflügelte Mädchen lächelte innerlich über ihre eigene List. Du hast ja keine Ahnung, wie sehr ich mich über deine Rückkehr freue, Aurian, dachte sie inmitten des fröhlichen Geplappers von Begrüßungen, denn jetzt kann ich meine eigenen Pläne in Gang setzen.

Während die Kameraden aßen, wandte sich das Gespräch unweigerlich der Zukunft zu, und Eliizar begann, lang und breit über seinen Plan zu sprechen, ein besseres Lager an einem geeigneteren Platz zu erbauen, den Yazour bereits entdeckt hatte. Aurian hörte aufmerksam zu. Anvar wußte, daß der ruhelose Geist der Magusch jetzt, da sie sich ausgeruht und gegessen hatte, bereits bei dem nächsten Schritt ihrer Reise weilte.