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»In deinem was?« ächzte Chiamh. Die Stimme brach in lautes Gelächter aus.

»Hat denn dein Volk alle Lehren und Legenden verloren, daß sie nicht wissen, was sie da bewohnen? Hat die Welt die Moldan so schnell vergessen? Ich bin Basileus, kleines Windauge – die lebendige Seele dieser Festung

Die Zeit verging langsam für die Moldan; die Zeit verflog schnell. Zeit in dem Sinne, wie die Sterblichen sie verstanden, existierte überhaupt nicht für diese uralten Geschöpfe aus lebendigem Stein. Ein Tag war wie das Blinzeln eines Auges für sie, aber die Tage gingen auch in unveränderlicher Allewigkeit ineinander über. Die Wurzeln der Moldan ragten tief in das Herz der Erde hinein; ihre Häupter, die Hauben aus blendend weißem Schnee trugen und hinter Schleiern aus Wolkenbändern lagen, schmückten sich mit einer Krone aus Sternen. Die Ältesten der Alten waren die Moldan, die Erstgeborenen, so alt wie die Knochen der Welt selbst. In den Geburtswehen der Welt wurden sie zum Leben erweckt und sind nie gestorben – bis auf die Teile ihrer Körper, die ihnen von geringeren, unachtsamen Geschöpfen abgehackt worden waren.

»Ich kann es kaum glauben!« Chiamh wünschte nur, er hätte irgendeinen bestimmten Punkt, zu dem er hinschauen konnte, wenn er mit dieser seltsamen Wesenheit sprach. »Nicht einmal in meinen wildesten Träumen hätte ich mir jemals vorstellen können, daß ich mich eines Tages mit einem Gebäude unterhalten würde.«

»Ich bin kein Gebäude. Gebäude, wie du sie nennst, entstehen aus den abgehackten, ermordeten Teilen unseres Fleisches, die von den Menschen aufeinandergestapelt werden. Meine Brüder und ich, wir sind lebendige Wesen – und wir nehmen unsere Gestalt aus freien Stücken an.« Der Zorn des Basileus war ehrfurchtgebietend. Die Wände von Chiamhs Gemach zitterten, und die Fackeln flackerten in einer plötzlichen, wilden Zugluft. Feiner Staub rieselte von der Decke. Chiamh beeilte sich, sich zu entschuldigen – er hatte bereits herausgefunden, daß sein neuer Gefährte zur Reizbarkeit neigte.

Es war wahrlich ein Tag der Überraschungen. Zuerst hatte seine Vision ihn zu der Entdeckung der hellen Mächte geführt, dann die Ankunft der Fremden – und jetzt dies hier! Chiamhs Gedanken überschlugen sich. Bei seiner Rückkehr aus den Kerkern hatte er sich zu den Küchengewölben hingetastet, um sich etwas zu essen zu holen, denn er hatte seit dem vergangenen Abend nichts mehr zu sich genommen und war in den dazwischenliegenden Stunden schnell und weit gereist, sowohl körperlich als auch mit seiner Andersicht. Zurück in seinen Gemächern, hatte er erschöpft eine Weile geschlafen, aber als er wieder aufwachte, hatte er keine Zeit verloren, sein überaus merkwürdiges Gespräch mit Basileus wiederaufzunehmen.

Einen Vorteil hatte die Gedankenübertragung auf jeden Fall – man konnte gleichzeitig essen und sich unterhalten! Chiamh stopfte sich Brot und Käse in den Mund. »Du hast von Brüdern gesprochen – gibt es noch mehr von euch?«

»Natürlich. Alle Berge um uns herum sind Moldan. Dein Mangel an Wissen erstaunt mich – vor allem, da du dich doch häufig in einem anderen Teil meines Körpers aufhältst

Die Vision seines eigenen Turms, in dessen Spitze die Kammer der Winde lag, kam Chiamh in den Sinn. Das Windauge runzelte die Stirn. »Aber wie kannst du das sein, wenn du dies hier auch bist?« Er zeigte auf den Raum, in dem er sich befand. »Wir kannst du an zwei Orten gleichzeitig sein?«

Basileus seufzte. »Heb deine Hand«, befahl er. »Ist diese Hand ein Teil von dir

»Aber natürlich ist sie das?«

»Gut. Jetzt hebe die andere Hand. Siehst du, du hast zwei Hände, die beide eindeutig voneinander getrennt sind – aber trotzdem sind doch alle beide ein Teil von dir. Mein Bewußtsein residiert im gesamten Windschleierberg, und die Wurzeln eines Berges – und eines Moldan – können sich sehr weit erstrecken! Es funktioniert nach demselben Prinzip wie bei dir und deinen Händen. Sowohl dieser Ort als auch der Turm sind ein Teil von mir – so wie übrigens auch all die kleineren Unterkünfte auf den Berghängen

»Wirklich?« Jetzt war das Interesse des Windauges endgültig geweckt. Er hatte sich schon lange über diese seltsamen Gebilde Gedanken gemacht. »Warum hast du sie gebaut?« erkundigte er sich eifrig. »Sind es wirklich Unterkünfte, so wie es aussieht? Für wen waren sie gedacht?«

Die Antwort des Moldan ließ ihn seine Neugier bedauern. Chiamh schrie auf und preßte sich die Hände an den Kopf, als eine Woge des Schmerzes über ihn hinwegspülte; ein Kummer, der so tief war, daß eine sterbliche Seele ihn nicht ertragen konnte. »Hör auf«, rief er, und Tränen strömten ihm übers Gesicht. »Ich bitte dich – hör damit auf!«

»Es muß erzählt werden«, knirschte der Moldan. »Nur wenn wir es erzählen, haben wir eine Chance, ihm ein Ende zu setzen.« Mit einer Stimme, die schwer von Kummer war, sprach er von den Dwelven, dem Zwergenvolk, den Kameraden, ohne die die Moldan grausam verstümmelt waren. »Sie waren unsere Brüder«, seufzte er, »und für sie haben wir aus unseren Knochen Unterkünfte gemacht. Wir haben sie ernährt; wir, die wir stark und weise, aber auch fest verwurzelt und starr waren. Sie haben sich um uns gekümmert, haben unser Land gehegt und gepflegt und uns vor menschlichen Steinhauern bewahrt. Wenn die Dwelven ins Mannesalter eintraten, bereisten sie die Welt und kehrten, wenn sie wiederkamen, mit Geschenken zurück und mit Erzählungen über große Taten und Neuigkeiten von weit entfernten Orten.« Der Moldan hielt inne. »Das Zusammenspiel hat über viele, viele Jahrhunderte hinweg gut funktioniert, bis die Zauberer – die, die du die Mächte nennst – sich eingemischt haben!« Chiamh hörte noch genauer zu. Schon wieder diese Mächte? Das konnte doch kein Zufall sein, oder?

»In ihrer Arroganz«, fuhr Basileus fort, »schufen die Zauberer den Stab der Erde. Die Kühnheit dieser armseligen Geschöpfe – in unserem Element mit der Hohen Magie herumzuspielen!« Der Zorn des Moldan ließ das Gebäude erschauern, und Chiamh zitterte.

»Was habt ihr getan?« fragte er.

»Was konnten wir tun? Vergeblich schickten wir Abgesandte der Dwelven aus, um zu protestieren – die Zauberer sagten nur, wir sollten uns um unsere eigenen Angelegenheiten kümmern. Dann …« Ein Beben durchlief die Steine der Festung. »Dann kam der schwärzeste Tag in unserer Geschichte. Die Zauberer experimentierten mit dem Stab, und Ghabal, der mächtigste von uns, fand einen Weg, sich dessen Macht zunutze zu machen. Er benutzte sie dann, um die Schranken seines steinernen Leibes hinter sich zu lassen. Als Riese trat er in die Welt – in menschlicher Gestalt, aber von der Größe eines Berges

Basileus seufzte. »Aber die Macht des Erdenstabs war zuviel für ihn. Er wurde wahnsinnig und gewalttätig. Er wollte, so sagte er, eine Schranke zwischen die Moldan und die Zauberer legen. In diesen Tagen waren der Norden und der Süden noch eine einzige Landmasse, ohne ein Meer dazwischen – bis Ghabal die Knochen der Erde brach und eine Meerestiefe zwischen den beiden Ländern schuf, dort wo einst ein schönes und fruchtbares Königtum lag.« Die Stimme des Moldan war von Bedauern gedämpft. »Das Leben Tausender war verloren, als das Meer einströmte, und ich glaube, daß Ghabal den Tod eines jeden von ihnen selbst spürte. Sie haben ihn natürlich bestraft. Nachdem sie all ihre Kräfte zusammengetan hatten, brachten die Zauberer den Stab der Erde wieder unter ihre Kontrolle und benutzten ihn, um Ghabal zu unterwerfen. Und sie besaßen das perfekte Gefängnis. Sie hatten in ihrer Stadt einen großen, künstlichen Steinhügel geschaffen, auf dessen Spitze sie ihre Zitadelle erbaut hatten, und dort schlossen sie Ghabals gequälten Geist ein, versiegelten ihn in leblosem Stein. Und dann kamen sie hierher, um seinen Körper so zu zerstören, daß er keine Hoffnung mehr haben konnte, jemals zurückzukehren