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»Natürlich.« Er streckte die Hand aus, um sie an sich zu ziehen – und Aurian ließ mit einem heimtückischen Grinsen den Fisch, den sie sich eigens für einen solchen Augenblick aufgehoben hatte, hinten in den Kragen seines Gewandes gleiten.

»Shia, bist du bereit?« Anvar spähte durch die Büsche hindurch auf die düsteren, schattenhaften Gestalten, die zufrieden und selbstvergessen auf der Lichtung grasten.

»Was glaubst du eigentlich, wie schnell ich mich durch diesen Wirrwarr hindurchschleichen kann?« drang Shias angespannte Gedankenstimme zu ihm herüber. »Willst du, daß ich diese dummen Geschöpfe vor Angst wieder zurück in die Wüste treibe?« Dann herrschte für kurze Zeit Stille, bevor sie fortfuhr: »Ich bin jetzt in Position. Kannst du sie sehen?«

»Sie sind direkt vor mir. Gibt es eine Wache auf deiner Seite?« Da Anvar die Nachtsichtigkeit der Magusch besaß, hatte man ihn ausgewählt, um mit Shia zusammen die Pferde der Khazalim zu stehlen.

»Hier ist nur ein Mann – genau dort, wo Rabe es gesagt hat«, informierte die Katze ihn. »Und der Narr schläft tief und fest!«

»Wunderbar!« Anvar grinste. »Schleich dich ganz langsam heran, so daß die Pferde nicht in Panik geraten. Wir wollen ihn nicht aufwecken.«

»Ich weiß, ich weiß!«

Anvar hockte im Gebüsch und wartete. Irgendwo auf der anderen Seite der Lichtung, das wußte er, würde Shia jetzt vorsichtig auf die Tiere der Khazalim zukriechen. Sie befand sich auf der dem Wind abgewandten Seite von ihnen und würde nun jederzeit … Eines der Pferde warf den Kopf in den Nacken und schnaubte, als es den Eindringling witterte. Da die Pferde jedoch mit Fußfesseln angebunden waren, konnten sie nicht fliehen. Statt dessen begannen sie, als sich die Unruhe von einem Tier zum anderen ausbreitete, sich in einer dichten Traube von der Gefahr wegzubewegen. Auf die Weise kamen sie aus der Lichtung heraus, weg von der schlafenden Wache – und, wie Anvar mit einem Grinsen dachte, direkt in seine Arme!

»Kommt, meine Schönen«, flüsterte der Magusch sanft und ließ ein Seil um den Hals des Leitpferdes gleiten. Unter normalen Umständen härten die Tiere vielleicht dazu geneigt, vor einem Fremden zurückzuschrecken, aber jetzt, mit der großen Katze im Nacken, wußten sie, daß ein Mensch Schutz bedeutete. Anvar pfiff leise, und Yazour, Eliizar und Bohan tauchten wie Schatten aus dem Wind auf, um ihm zu helfen. Sie befreiten vier Pferde von ihren Fußketten und führten sie weg, zurück durch den Wald zu ihrem Lager, wo alles für den Aufbruch bei Morgendämmerung bereitgestellt und gepackt war, damit sie weg sein konnten, bevor die Khazalim auf die fehlenden Pferde aufmerksam wurden.

Anvar, der besser als die anderen sehen konnte, ging voran. Aber nur ein Teil seiner Aufmerksamkeit richtete sich darauf, den besten Weg durch das dichte, verschlungene Unterholz zu finden. Er verspürte ein Gefühl der Erleichterung darüber, daß das Stehlen der Pferde so einfach gewesen war, aber gleichzeitig quälte ihn ein nagender Verdacht. Es war einfach gewesen, ja wahrhaftig – zu einfach, verdammt noch mal! Was, so fragte sich Anvar, ging da vor? Alles in allem würde er froh sein, diesen Wald endlich verlassen zu können.

Während die Pferde sich in dem gesprenkelten Licht unter den Bäumen einen qualvoll engen Ziegenpfad hinaufmühten, sah Aurian sich um und sagte dem Ort, der ihr etwa einen Monat lang ein sicherer Hafen gewesen war, ein letztes Lebewohl. Ironischerweise war die Magusch jetzt, da es an der Zeit war, den Wald zu verlassen, nur widerwillig bereit, seine schützende Zuflucht aufzugeben. Aber es war gewiß nicht die Schönheit des Ortes, die sie zögern ließ. Es war schiere Angst.

Seit ihre Kräfte sie verlassen hatten, versetzte ihre eigene Verletzlichkeit Aurian beinahe in einen Zustand vollkommener Lähmung. Nach Monaten der Flucht und des Kämpfens hatte ihr Körper sie im Stich gelassen, zwang sie, in ihrem Kampf innezuhalten. Ihre Ängste tauchten jedoch, während sie schlief, immer wieder auf und füllten ihre Träume mit entsetzlichen Todesgeistern, mit grauenhaften Visionen von Miathans Verwüstungen zu Hause in Nexis und dem Leiden von Rabes geflügeltem Volk, bis sie schließlich jede Nacht schweißgetränkt und zitternd erwachte. Die Magusch war zerrissen zwischen ihrem Wunsch, die Reise fortzusetzen, und dem Bedürfnis, im sicheren Schutz des Waldes zu bleiben, bis ihr Sohn geboren wurde. Erst jetzt, da sie seine Gedanken fühlen konnte, war das Kind ganz und gar Wirklichkeit für sie geworden, und sie stellte zu ihrem eigenen Erstaunen fest, daß sie es mit wildem Beschützerinstinkt liebte. Nicht einmal Anvar hatte sie das anvertrauen können, und ohne daß ihre Freunde davon wußten, trug sie im Wald einen ungeheuren, inneren Kampf mit sich aus, um den Mut zu finden, ihren Weg weiterzugehen. Das letzte, was sie zugeben wollte – sogar sich selbst gegenüber –, war die Tatsache, daß ihre Angst und Unentschlossenheit von dem Verlust ihrer Magie herrührten.

Jetzt jedoch konnte Aurian es nicht länger aufschieben. Es war lebenswichtig, daß sie sich gegen den Erzmagusch stellte, und Rabes Turm war ein Schritt in die richtige Richtung. Welche Wahl hätte sie sonst gehabt? Sie und Anvar mußten ohnehin nach Norden reisen. Die Magusch war froh darüber, daß die Nähe des Lagers der Khazalim ihr die Entscheidung abgenommen hatte, aber bei Chathak, dieser Reise sah sie gewiß nicht mit Freude entgegen!

Den ganzen Tag ritten die Kameraden einen gewundenen Weg entlang durch den Wald, bis sie sich schließlich über die holprigen Viehpfade, die die immer felsiger werdenden Hänge durchzogen, ins Gebirge hinaufquälten. Am frühen Abend hatten sie die Baumgrenze erreicht. Mit einem Blick auf die trostlose Einöde aus Geröll und Felsbrocken, die sich bis zu den Knien des feindlichen Berges hinaufzog, beschlossen die Reisenden, eine letzte Nacht im Schutz des Waldes zu verbringen. Die Luft war bereits merklich kühler geworden, und sie scharten sich dankbar um ein munteres Feuer, über dem sie Kaninchen und Fasane von der Jagd des vergangenen Tages rösteten, während Shia eine Hirschkeule verschlang.

Nach dem Abendessen erbot sich Aurian, die erste Wache zu übernehmen, denn sie hatte Angst, daß sie wieder von ihren furchtbaren Träumen heimgesucht würde, wenn sie einschlief. Mit dem Schwert in der Hand saß sie ganz nah am Feuer, sah zu, wie sein tanzendes Licht rötliche Schattengesichter auf die dunklen Tannen zeichnete, und fragte sich, was die Freunde und Feinde, die sie in Nexis zurückgelassen hatte, wohl im Augenblick taten. Seit ihrem Traum von Eliseth fühlte sie sich unwohl – und der Anblick des unablässig fallenden Schnees, der die fernen Gipfel einhüllte, hatte zu ihrer Sorge noch beigetragen. Wenn Eliseth tot ist, müßte ihr Winter doch mittlerweile an Kraft verloren haben, dachte die Magusch. Jenseits des tröstlichen Rings des Feuers konnte sie die bedrohliche Gegenwart der Berge spüren. Und so war es, als beobachteten sie sie mit unfreundlichen Augen, ja, als warteten sie auf sie.

Während die Magusch und ihre Kameraden durch die gewundene Kette von Tälern kletterten, die zu den hohen Bergpässen hinaufführten, wurde der Marsch immer schwieriger, und die beißende Kälte nahm noch zu. Die kahle, steinerne Landschaft, die eingezwängt zwischen zerklüfteten Kliffen und unerklimmbaren Geröllhängen lag, wirkte zutiefst grimmig, obwohl sie manchmal ein seltenes, grünes Tal fanden, das durch eine Eigenheit der Bergformation vor dem unablässig heulenden Wind geschützt war. Glücklich hielten sie in diesen Zufluchtsstätten auf ihrem Weg inne und gönnten den Pferden die Chance, ein wenig zu grasen, und sich selbst eine Ruhepause von der überwältigenden Trostlosigkeit der Landschaft; aber während sie höher hinaufkamen, überzog der Frost die Pfade mit einem schlüpfrigen Film, der die Pferde ins Taumeln brachte und ihnen ein Schneckentempo aufzwang. Die Angst, daß jemand ernsthaft stürzen könnte, war ihnen zum ständigen Begleiter geworden. Bohan renkte sich eine Schulter aus, als sein Pferd zu Boden stürzte, und es war reines Glück, daß das Tier anschließend nicht lahmte. Immer öfter waren sie gezwungen, zu Fuß weiterzuklettern und die Tiere am Zügel zu führen – eine qualvolle Angelegenheit, die ihnen die Kräfte raubte und sie so sehr entmutigte, daß sie alle am Ende des eiskalten Marsches die denkbar schlechteste Laune hatten.