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Dann erinnerte sich die Magusch an Shia, und eine wilde Hoffnung stieg in ihrem Herzen auf, die jedoch gleich zunichte wurde, als sie den Geist ihrer Freundin berührte. Die Antwort war kurz und schroff, da die Katze unten selbst um ihr Leben kämpfte. »Bohan kämpft – Eliizar verletzt – kann dich nicht erreichen …«

»Lauf weg, Shia!« sagte Aurian zu ihr. »Nimm den Erdenstab und lauf!«

»Hast du den Verstand verloren? Ich werde dich nicht im Stich lassen!«

»Du mußt. Wenn wir den Stab verlieren, sind wir am Ende.«

Einen Augenblick lang herrschte Stille, dann erklang Shias Gedankenstimme von neuem: »Ich habe ihn. Ich gehe!«

Aurian erschien ein verschwommenes Bild von Klauen und Blut, während die große Katze sich ihren Weg ins Freie kämpfte. Dann war sie verschwunden, irgendwo im Unwetter. Irgend jemand packte die Magusch von hinten und riß sie zurück, während bisher unsichtbar gebliebene Angreifer die Treppe hinaufstürmten. Plötzlich wurde Aurian zurückgerissen, und sie spürte den kalten Biß von Stahl auf ihrer Kehle.

»Laßt eure Waffen fallen!«

Aurian erkannte die Stimme hinter ihrem Rücken. Harihn! Verbündet mit den Geflügelten? Sie wurde steif vor Zorn, und die Klinge schnitt in die straffe Haut ihres Halses, so daß ein dünner Strom warmen Blutes über ihre Haut floß. In hilfloser Wut ließ sie ihre Waffe fallen und sah noch, wie sich auf Anvars Gesicht Zorn und Entsetzen mischten. Dann fiel auch sein Schwert klirrend zu Boden, und er wurde von geflügelten Kriegern umzingelt und davongezogen. Trotz heftigster Gegenwehr drängten sie ihn schon nach kurzer Zeit an die gegenüberliegende Wand des Raumes. Aurian sah, wie seine Augen in eisigem Zorn hell aufflackerten, während er seine Kräfte sammelte und …

»Vergiß es, Anvar«, fuhr Harihn ihn an. »Beim ersten Zeichen von Magie, das von dir kommt, werden meine Krieger ihr die Kehle durchschneiden.« Aurian sah, wie das Feuer in Anvars Augen erstarb und sein Zorn im Angesicht der bitteren Niederlage dahinschwand. Dann wurden ihre Hände von hinten ergriffen, zurückgerissen und gefesselt, während Anvars geflügelte Wächter mit ihm in gleicher Weise verfuhren.

»Wie nett von euch, daß ihr euch zu mir gesellt habt.« Mit einem sardonischen Lächeln trat Harihn vor die Magusch hin. »Dank des Verrats der kleinen Rabe seid ihr jetzt meine Gefangenen.« Dann gab er den Befehl, Aurian das Messer von der Kehle zu nehmen, und schlug sie ins Gesicht. Der Schlag brachte sie aus dem Gleichgewicht, und sie fiel, aber ihre Wachen fingen sie auf und zwangen sie auf die Knie. Trotz des Klingeins in ihren Ohren hörte sie ein Handgemenge.

»Laßt sie in Ruhe!« Anvars Schrei ging in dem ekelhaften Geräusch eines heftigen Schlags unter. Dann krachte die Hand des Prinzen auf die andere Seite ihres Gesichts. Ihr Kopf wurde zur Seite gerissen, und sie schmeckte Blut, wo sie sich auf die Lippe gebissen hatte.

»Ich warne dich, Anvar«, sagte Harihn drohend. »Noch eine Bewegung von dir, und sie wird diejenige sein, die dafür leidet.«

Seine Stimme war nicht die Stimme des Prinzen. Aurian blickte durch Tränen des Schmerzes auf, und ihr Herz verwandelte sich in ihrem Leib zu Asche. Die hübschen, vertrauten Züge dieses Gesichts waren die Harihns – aber die grimmige Bosheit, die hinter seinen Augen brannte, konnte nur dem Erzmagusch gehören!

9

Schiannath

Der Schneesturm fegte durch den schmalen Bergpaß wie ein hochwasserführender Fluß – machtvoll, unausweichlich und tödlich. Der Paß, ein gerader Korridor zwischen Felswänden von unfaßbarer Höhe, war das Tor zum Königreich des Himmelsvolkes. Am Ende des Passes hatte man, hoch auf einem Felsausläufer, einen Turm gebaut, in dem das geflügelte Volk in der Vergangenheit Wache gehalten hatte. Ein dunkler, dichter Pinienwald unterhalb des Felsausläufers sorgte für reichlich Feuerholz.

Der Wind pfiff schrill um Incondors Turm und zerrte wie ein lebendiges Tier mit kalten Klauen an dem soliden, von Menschen gemachten Steinhaufen, als wolle er sich auf die jämmerlich kleinen Menschen stürzen, die darin Zuflucht gesucht hatten. Jenseits des Turms erstreckte sich ein weites Tal, dessen grelles, vom Schnee ersticktes Weiß hier und da von dunklen, skelettartigen Bäumen durchbrochen wurde, die sich unter der Last des Schnees wie alte Männer beugten. Über dem Tal ragten, beeindruckend in ihren gewaltigen Ausmaßen, riesige Berge wie gezackte Reißzähne in den Himmel, Berge, die so dicht aneinanderstanden, als kämpften sie um das Vorrecht, das viereckige, massige Gebäude anzugreifen, das so tapfer zu ihren Füßen stand.

Der Mann, der sich hinter einer Ansammlung verstreuter Felsbrocken am Eingang des Passes versteckte, hatte für die bedrohlichen Berge keinen einzigen Blick übrig. Ihn beschäftigten vielmehr die Fremden, die im Turm Zuflucht gesucht hatten. In seinem Umhang aus silbrigen Wolfsfellen war er vor dem Hintergrund aus Schnee und Schatten fast unsichtbar, genauso wie sein Pferd Iscalda, die weiße Stute, die geduldig hinter ihm stand und sich weniger bewegte als der sie umwirbelnde Schnee, der sich in dichten Schneewehen zu ihren Füßen stapelte.

Schiannath starrte den Turm an, der sich auf dem bewaldeten Hügel gegen den Himmel abzeichnete, und fluchte bitterlich. Was für ein widerliches, unglaubliches, unmögliches Pech! Das verlassene Gebäude war das beste seiner Refugien, das einzige, in dem er und Iscalda mit einiger Behaglichkeit vor diesem tödlichen und unnatürlichen Winter Schutz finden konnten. Seine anderen Zufluchtsorte, entdeckt nach monatelangem Durchwandern dieser unwirtlichen Berge, waren entweder dichtes Unterholz im Wald oder Höhlen: Die ersteren waren mitleiderregend unzureichend in diesem bitterkalten Wetter und die letzteren feucht und zugig und hatten überdies die Neigung, sich mit erstickendem und verräterischen Rauch zu füllen, sobald ein Feuer entzündet wurde. Er und Iscalda hatten in diesem Unwetter eine lange, gefährliche Reise unternommen, um hierher zu gelangen, und sie waren durchnäßt, halb erfroren und unendlich erschöpft angekommen – nur um entdecken zu müssen, daß der Turm bereits besetzt war.

Noch einmal verfluchte Schiannath die Eindringlinge, wer immer sie auch sein mochten. Und wer konnte das überhaupt sein? Die Xandim kamen niemals so weit nach Süden. Dieser Teil des Landes gehörte nicht mehr zu ihrem Herrschaftsbereich, was auch der Grund dafür war, warum er sich hier aufhielt. Der Gesetzlose zuckte bei der Erinnerung an seine Verhandlung und Verbannung zusammen. Das stotternde, halb blinde junge Windauge hatte damals die Zaubersprüche ausgesprochen, die seinen Namen aus dem Wind löschten und aus der Erinnerung des Stammes. Er biß sich auf die Lippen, um seine Schande und seinen Schmerz nicht laut hinauszuschreien. O Göttin, warum habe ich das getan? dachte er unglücklich. Warum war es so wichtig für mich, Rudelfürst zu werden?

Wie war das alles nur gekommen? Warum war er immer ein Außenseiter gewesen – einsam in einem Volk, in dem der Stamm alles war, heimlichtuerisch unter Menschen, die sonst alles teilten? Immer wieder hatte ihn sein scharfer Verstand in Schwierigkeiten gebracht. Er war klüger als alle anderen zusammen, und dafür hatten sie ihn gehaßt. Nun sollten sie doch verrotten! Verflucht sollte seine Mutter dafür sein, daß sie ihn bei seinem Vater in der Küstenniederlassung zurückgelassen hatte, als sie sich von ihm trennte, während sie die Kinder ihrer anderen Gefährten mit in die Berge nahm! Wenn das nicht gewesen wäre, hätte er mit seinen Brüdern und mit dem Stamm aufwachsen können. So wie die Dinge lagen, war er jedoch, als er nach dem Tod seines Vaters in die Festung kam, nicht in der Lage gewesen, sich dort einzufügen; wieder und wieder war er wegen seines wilden, undisziplinierten Verhaltens mit dem Rudelfürsten aneinandergeraten, bis ihm der einzige Ausweg darin zu liegen schien, sich von Phalias und dessen ermüdenden Regeln und Beschränkungen zu befreien und selbst Rudelfürst zu werden. Nur seine Schwester Iscalda hatte immer zu ihm gehalten und hatte alles versucht, um ihn von dieser Wahnsinnstat abzuhalten – und als ihr das nicht gelungen war, hatte sie darauf bestanden, seine Verbannung zu teilen.