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Mittlerweile fühlte der Magusch sich schwindlig, und ihm war übel geworden vor Hunger und Durst. Neben den Wasserkrügen fand er einen Becher und nahm einen tiefen Zug, bevor er das Trinkgefäß wieder und wieder füllte und schließlich den Korb zum Feuer zog und seinen Inhalt durchstöberte.

Er fand flache Stücke eines schweren, feuchten Brotes, das offensichtlich nicht aus Korn gebacken war. Aber hier oben wuchs natürlich kein Korn mehr. Vielleicht war es irgendeine Art Knolle, dachte Anvar, während er das Brot mit Heißhunger verschlang. Nereni hatte im Wald mit ähnlichen Pflanzen experimentiert. Schließlich machte er sich über eine geröstete Ziegenkeule her und über das Fleisch irgendeines riesigen Federviehs, das delikat gewürzt und geräuchert war. Es gab kein Gemüse und keine Früchte, aber wenn Rabe die Wahrheit gesagt hatte, hatte Aerillia sich zu lange in den Fängen des Winters befunden, um ihn mit solchem Luxus ausstatten zu können. Auf dem Boden des Korbs fand Anvar noch etwas Ziegenkäse und, was das beste von allem war, eine Flasche mit einem roten, dünnen Wein.

Endlich hatte der Magusch auch wieder etwas Appetit. Seine Kehle war wie ausgedörrt und schmerzte, und sein Magen krampfte sich zusammen, aber er erwärmte über dem Feuer etwas von dem scharfen, mit ein wenig Wasser verdünnten Wein. Dann machte er sich in seiner geschützten Ecke ein Nest aus Katzenfellen und rollte sich darin zusammen.

Obwohl ihm heiß war und er vor Fieber zitterte, fiel Anvar in überraschend kurzer Zeit in Schlaf, wobei er den Gedanken an Aurian wie einen Talisman an sein Herz drückte.

11

Die Göttin spricht

Nach einer Zeit, die ihr wie Stunden erschien – Stunden, die sie in Qualen des Schmerzes und der Verzweiflung verbracht hatte –, hörte Aurian das scharrende Kratzen von Holz auf Stein, als die Tür ihres Gefängnisses aufgerissen wurde. Sie ignorierte das Geräusch. Was hätte sie sonst tun können? Anvar war verloren für sie, sie wußte nicht, wo man ihn hingebracht hatte, und Miathan hatte ihr Kind verflucht. Sie schauderte und kämpfte gegen eine Woge der Übelkeit. Welche Art von Ungeheuer mochte sie unter ihrem Herzen tragen? Gefangen in ihrem Elend, fürchtete sich ihr geschlagener Geist vor dem Eingeständnis ihrer bitteren Niederlage. Sollten sie doch eintreten, wer immer sie auch waren. Sollte Miathan doch mit ihr tun, was er wollte – denn er konnte ihr kaum Schlimmeres antun, als er bereits getan hatte. Wie hatte sie nur je hoffen können, ihn zu besiegen?

Plötzlich durchbrach ein furchtbarer Schrei Aurians Elend, und sie hörte einen Schwall undeutlicher Flüche, die sich gegen den Prinzen, sein Gefolge, seine Verwandten und Vorfahren richteten. Nereni! Es war Nereni, die Schimpfworte gebrauchte, bei denen die kleine Frau für gewöhnlich erbleichen und sich die Ohren zuhalten würde. Aurian spürte, wie ihre Lippen sich zu einem Lächeln verzogen, und schämte sich plötzlich. Wenn die schüchterne Nereni so viel Feuer und Kampfgeist aufbringen konnte, wie konnte sie, Aurian, eine Magusch und Kriegerin, es wagen, sich der Verzweiflung zu überlassen?

Aurian spürte kalten Stahl auf ihren Handgelenken, als Nereni die Lederriemen durchschnitt, mit denen sie gefesselt war, und unterdrückte einen Fluch, als das Blut wie eine glühendheiße Flut in ihre Hände zurückkehrte. Mit einiger Mühe gelang es ihr, ihre geschwollenen Augen zu öffnen. Nerenis Gesicht war vom langen Weinen entstellt, aber in ihren Augen brannte entrüstete Wut, als sie die Magusch in die Arme nahm. »Aurian! Was haben sie mit dir gemacht? Und das, obwohl du ein Kind erwartest?« Im Angesicht von Aurians Elend vergaß sie ihre eigene Not und wandte sich zornig an die Soldaten, die sie begleitet hatten. »Ihr da – holt etwas Wasser! Bringt auch Holz mit, um ein Feuer zu machen! Und holt jemanden her, der diese Falltür in Ordnung bringt! Wir mögen zwar Gefangene sein, aber wir brauchen nicht zu Tode zu erfrieren oder zu verhungern. Du da, du Sohn eines Schweines! Hol dieser armen Lady etwas zu essen!«

Einer der Soldaten lachte. »Wir nehmen keine Befehle von einem fetten, alten Weib entgegen!« höhnte er.

Nereni richtete sich zu ihrer vollen, bedeutungsvollen Größe auf. Zu Aurians gewaltigem Erstaunen ging sie drohend auf die Soldaten zu. »Aber ihr nehmt Befehle vom Prinzen entgegen, der euch gesagt hat, daß ihr euch um diese Lady kümmern sollt. Also, schwing jetzt endlich dein faules Hinterteil durch diese Tür und hol mir, was ich brauche, bevor ich seine Hoheit von deinem Ungehorsam in Kenntnis setze!«

Der Soldat wurde plötzlich weiß und eilte davon, um ihr zu gehorchen. »Und wenn du schon mal dabei bist«, bellte Nereni hinter ihm her, »bring auch gleich jemanden mit, der diesen Saustall saubermacht!«

Danach entwickelten sich die Dinge sehr schnell. Die Leichen der Geflügelten wurden weggebracht, und Soldaten kamen, um den abgewetzten Steinfußboden zu säubern. Irgend jemand brachte Holz herbei, und schon bald war die Luft von fröhlichem Knistern erfüllt, während die immer größer werdende Ramme im Kamin die Kälte aus dem Zimmer verscheuchte. Einer der Männer holte einen Sack mit Vorräten und anderen Dingen, die Nereni ihm sofort aus der Hand riß.

Als ihre Wachen gegangen waren, streifte Aurian mit einem Schauder des Ekels ihr zerrissenes Gewand ab und hüllte sich in die Decken, die man ihnen zurückgegeben hatte. Nereni reichte ihr ein mit kaltem Wasser getränktes Tuch, das sie sich gegen ihr geschundenes Gesicht halten konnte. Dann machte die alte Frau sich am Feuer zu schaffen.

Eingehüllt in die lärmende Fürsorge ihrer Freundin, spürte Aurian, wie die furchtbare Anspannung ihrer Verzweiflung langsam von ihr abfiel. Als das eisige Wasser den Schmerz ihrer Prellungen betäubte, suchte sie in sich nach den letzten Resten ihres Mutes und verwob sie miteinander zu einem Mantel aus stahlhartem Willen. Niemals wieder würde sie sich gestatten, aufzugeben. Wäre Nereni nicht gewesen …

Aurians Kinn fuhr mit der altvertrauten Geste der Sturheit in die Höhe. Sie würde sich nicht der Verzweiflung hingeben. Sie wollte einen klaren Verstand behalten, einen Verstand, der in der Lage war, jede Schwäche in Miathans Plänen zu entdecken. Es mußte eine Möglichkeit geben, wie sie sich selbst und Anvar retten konnte. Ach, ihr Götter – und ihr Kind! Als wolle er sie an seine Gegenwart und seine eigene Not erinnern, bewegte sich Forrals Sohn in ihrem Leib, und Aurian spürte, wie ihr Herz ihm mit einer Flut von Liebe und Kummer entgegenströmte. Nach allem, was er durchgemacht hatte … »Keine Angst«, flüsterte sie wild. »Ganz gleich, welche Gestalt Miathan dir gegeben hat, du bist mein Kind, und ich liebe dich. Ich werde diesem Bastard nicht gestatten, dich zu töten.«

Beim Klang ihrer Stimme wandte sich Nereni vom Feuer ab und reichte der Magusch eine dampfende Tasse Liafa. »Du siehst schon besser aus«, sagte sie sanft. »Aurian – hat er … Als ich dich dort liegen sah, dachte ich …« Sie biß sich auf die Lippe.

»Nein«, sagte Aurian schwach. »Mir geht es gut – soweit man das sagen kann. Er wird nicht das Risiko eingehen, daß das Baby zu früh kommt. Aber danach …« Sie nahm einen kleinen Schluck von dem belebenden Getränk und zuckte zusammen, weil die Hitze auf ihren geschwollenen Lippen brannte. Ihre Hände zitterten so sehr, daß sie beide brauchte, um die Tasse festzuhalten. Um sich von der Erinnerung an Miathans schmutzige Berührung abzulenken, erkundigte sie sich nach den anderen.

Nereni machte ein finsteres Gesicht. »Deine sogenannte Freundin, die Katze, hat sich ihren Weg ins Freie erkämpft, um wegzulaufen, und dieser Feigling Yazour hat die Gelegenheit genutzt, um ihr zu folgen.« Ihre Stimme war scharf vor Zorn.

»Mach Shia keine Vorwürfe – ich habe ihr gesagt, daß sie gehen soll«, erwiderte Aurian fest. »Der Stab der Erde ist unsere einzige Hoffnung, Miathan zu besiegen, und jemand mußte ihn in Sicherheit bringen. Und du darfst auch Yazour keine Vorwürfe machen, daß er die Chance zur Flucht ergriffen hat. Hoffnungslos unterlegen, wie wir waren, war es das einzige, was er tun konnte. Aber geht es Eliizar und Bohan gut?« Aurian wußte, daß dies der eigentliche Kern von Nerenis Zorn war, und wartete ängstlich auf ihre Antwort.