Выбрать главу

Oh, die Versuchung war so groß. Aurian dachte an Eliizar und Bohan, dort unten in dem kalten, feuchten Kerker. Sie dachte an Miathans Drohung, ihren Sohn zu töten, und an die widerwärtige Berührung seine Hände auf ihrem Körper. Dann dachte sie an Anvar. Wenn sie ihren Ängsten nachgab, würden sie ihn töten. »Nein!« beharrte sie. »Hol Anvar da raus, Shia. Dann hat Miathan mich nicht mehr in der Hand.

Er wird mir nichts tun, bis mein Kind geboren ist, und wenn das geschieht, bekomme ich meine Macht zurück.« Ihr Worte klangen selbst in ihren eigenen Ohren hohl, aber sie fuhr tapfer fort: »Komme, was kommen mag, ich kann alles ertragen, wenn nur Anvar gerettet wird.«

Shia seufzte. »Na gut, wir machen es so, wie du es willst. Aber mein Herz weint um dich, meine Freundin. Sei vorsichtig.«

»Das werde ich, das verspreche ich dir. Und sei du auch vorsichtig. Ich weiß nur allzugut, wie schwierig die Aufgabe ist, die ich dir gestellt habe.«

»Wenn ich meine Zähne in ein paar von diesen stinkenden Geflügelten schlagen kann, ist es die Sache wert. Leb wohl, Aurian. Ich werde Anvar retten, das schwöre ich, und wir werden beide zurückkommen, um dich zu holen.«

»Lebe wohl, meine Freundin«, wisperte Aurian. Aber die Katze war bereits gegangen.

In dem Wäldchen unterhalb des Turms war ein uralter Baum umgestürzt; das Gewicht seiner weißen Last hatte seine Wurzeln aus dem Boden gerissen. Shia kroch verstohlen aus der kleinen Höhle heraus, die sich zwischen seinen Wurzeln und dem felsigen Abhang eines Hügels gebildet hatte. Jeder ihrer Sinne war gespannt und hielt Ausschau nach einer Spur des Feindes. Sie spürte eine Woge grimmiger Belustigung, als sie vorwärts glitt, nur ein weiteres Stück Dunkelheit auf dem düster überschatteten Schnee. Wie klug, sich direkt unter den Nasen dieser törichten Männer zu verstecken. Aurian hatte darauf bestanden, daß Shia sie verließ, und das Herz der Katze brannte bei diesem Gedanken – aber bevor sie ging, hatte Shia noch eigene Pläne. Der Lattenzaun des Feindes, hinter dem die Soldaten ihre Pferde und Maultiere hielten, war nur ein kleines Stück von dem dichten Gewirr der Bäume entfernt. Shia kroch ganz nah heran, und der köstliche Duft ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Pferdefleisch war ihr Lieblingsessen, aber solange sie mit Aurian unterwegs gewesen war, hatte sie sich zurückhalten müssen. Ihr Schwanz fegte ruhelos hin und her. Das ist nicht der Grund, warum du hier bist! rief Shia sich ins Gedächtnis. Dann legte sie den Stab vorsichtig unter einen Busch, wo sie ihn leicht würde wiederfinden können, und spannte sich zum Sprung – und ließ sich mit einem gedämpften, zornigen Fauchen sofort wieder flach zu Boden fallen.

Zwei Soldaten näherten sich den Pferden, und der Wind trug das Geräusch ihrer murrenden Stimmen zu Shia herüber, so laut, daß sie jedes einzelne Wort verstehen konnte. Durch ihre Gespräche mit Aurian hatte sie ein wenig von der Menschensprache gelernt, und während sie in den Büschen lauerte und auf ihre Chance wartete, endlich zuschlagen zu können, hörte sie gespannt zu, denn sie hoffte, vielleicht ein paar nützliche Informationen aufzuschnappen.

»Beim Schnitter, das ist nicht fair!« jammerte einer der Männer. »Warum sollen wir uns hier draußen zu Tode frieren und bis an die Eier im Schnee stehen, während die anderen ihre Hinterteile an einem hübschen Feuerchen rösten?«

»Irgend jemand muß sich doch um die Tiere kümmern«, wandte der zweite Wachposten ein. »Außerdem bin ich lieber hier draußen. Dieser Priester der Himmelsleute ist mir unheimlich.«

»Alle Himmelsleute sind mir unheimlich«, pflichtete sein Freund ihm bei. »Warum hat sich der Prinz mit ihnen eingelassen? Und wenn er dieser nordländischen Hexe auflauern wollte, warum konnte er nicht einfach ein Schwert in sie hineinrammen, und die Sache war erledigt? Dann wären wir mittlerweile auf dem Gebiet der Xandim, statt uns in dieser verfluchten Wildnis zu Tode zu frieren. Wenn du mich fragst, hat Harihn den Verstand verloren. Er war nicht mehr derselbe, seit wir die Wüste verlassen haben.«

Sein Freund brachte ihn hastig zum Schweigen. »Paß auf, was du sagst, Dalzor! Wenn du bei solchen verräterischen Reden erwischt wirst, bist du ganz schnell deinen Kopf los. Außerdem sollten wir jetzt besser zusehen, daß wir die Tiere von ihren Lasten befreien und sie für die Nacht fertigmachen. Was ist, wenn der Hauptmann herkommt, und wir haben noch nicht einmal angefangen? Mir ist es jedenfalls verflucht noch mal zu kalt, um etwas von meiner Haut an die Peitsche zu verlieren.«

Er ging zu den in Reih und Glied stehenden Pferden und machte sich mit tauben Fingern daran, Schnallen zu lösen und die Lasten, die die Pferde getragen hatten, zu Boden zu werfen. Immer noch vor sich hinbrummelnd, nahm sein Freund die Arbeit am anderen Ende der Reihe auf, dort wo Shia stand. Die Tiere waren ruhelos und ihre Felle feucht von Angstschweiß, da sie die Katze in der Nähe witterten. »Was ist bloß in die Tiere gefahren?« murmelte Dalzor. Als er sich dem Pferd näherte, das ihm am nächsten stand, fuhr es herum, bäumte sich schnaubend auf und stieß ihn der Länge nach in den niedergetrampelten Schnee. Fluchend versuchte er, auf dem glatten Boden aufzustehen, aber es war zu spät.

Shia war wie der Blitz über ihm, und ihre Zähne bohrten sich in seine Kehle. Dann war sie plötzlich mitten unter den Pferden und Maultieren, fauchend und wild mit den Klauen um sich schlagend. Die verzweifelten Geschöpfe schrien und bäumten sich auf, und die Panik verlieh ihnen die Kraft, die Pflöcke, an denen sie festgebunden waren, aus dem Boden zu reißen. Sie liefen auseinander – einige zurück nach unten ins Tal, aber die meisten flohen, wie Shia bemerkte, direkt durch den Paß. Sie würde ihr Pferdefleisch also doch noch bekommen!

Der andere Wachposten stürzte um Hilfe schreiend davon. Der Traum wurde urplötzlich lebendig, und der Schnee auf dem Hügel überzog sich mit glänzend schmutzigem, gelbem Licht, als die Tür aufschwang. Bedauernd verabschiedete sich Shia von ihren Plänen für den zweiten Wachposten. Mit einem Satz war sie wieder an der Stelle, an der sie den Stab zurückgelassen hatte. Sie schloß ihr Maul um das verhaßte, magische Ding und schoß wie ein Pfeil den Paß hinunter. Sie gratulierte sich; sie hatte ihnen erlaubt, den größten Teil des Essens abzuladen, denn sie wollte nicht, daß ihre Freunde Hunger leiden mußten, aber ihr Angriff hatte den Feind wirksam im Turm festgesetzt. Wäre Shia ein Mensch gewesen, hätte sie von einem Ohr zum andern gegrinst. Der Prinz und seine Männer saßen an diesem trostlosen, feindlichen Ort fest – und wenn Shia mit Anvar zurückkehrte, würde sie genau wissen, wo sie zu finden waren.

Trotz seiner Entschlossenheit, aus der Nähe des Turms zu verschwinden, war Schiannath geblieben, unfähig, sich dieses Geheimnis entgehen zu lassen. Warum kämpften die Khazalim gegen ihre eigenen Leute? Und was, im Namen der Göttin, hatte das abscheuliche Volk der Geflügelten mit der ganzen Sache zu tun? Da es mittlerweile offensichtlich war, daß niemand den Flüchtenden verfolgen würde, lauerte der Gesetzlose immer noch hinter seinem Felsbrocken und ließ den Turm keinen Augenblick lang aus den Augen. Die Kampfgeräusche waren verklungen, und nach einer Weile sah er die Geflügelten aufbrechen; zwischen sich trugen sie ein Netz mit einem länglichen Bündel darin. Sie flogen nach Nordwesten, Richtung Aerillia. Aha – sie nahmen einen Gefangenen mit sich! Die Form des Bündels war nur allzu vertraut. Schiannath schüttelte den Kopf. Leute, die vor den Khazalim flohen? Und vor den Geflügelten? Was genau ging da eigentlich vor? »Vergiß es, Schiannath«, murmelte er. »Es gibt wichtigere Dinge, über die du nachdenken mußt. Wie zum Beispiel über die Frage des Überlebens und die Vorräte, die die Khazalim auf diesen Maultieren gelassen haben!«

Der Aufruhr unter den Pferden bedeutete eine Überraschung für Schiannath. Er hatte sich Zeit gelassen und gewartet, bis ein bedrückender Friede sich über den Turm senkte. Er war davon ausgegangen, daß die Khazalim – verflucht sei ihr Name – eine ganze Weile brauchen würden, um die Ordnung im Innern des Turms wiederherzustellen, bevor jemand sich daran erinnerte, die Pferde zu entladen. Er wollte sich gerade ans Werk machen, als die verflixten Wachen erschienen und in ihrer ungehobelten Sprache vor sich hinplapperten, während sie sich daranmachten, die Pferde zu entladen. Schiannath fluchte verbittert. Die Chance seines Lebens, und er hatte sie nicht genutzt. Was war nur los mit ihm? AU dieses Essen, und es hätte um ein Haar ihm gehört.