Nur die Verzweifelten wagten sich in das schattige, stinkende Innere des Betrunkenen Hundes, wo die Stadtwache kaum jemals zu sehen war; nur die Niedrigsten der Niedrigen verkehrten hier, die Banden, deren Revier die dunklen Gassen waren, zu deren Geschäft der schnelle Dolchstoß in den Rücken gehörte und das Glitzern des Goldes in einem gestohlenen Geldbeutel. Nur die heimatlosen, stinkenden, rotäugigen Wracks, deren Liebe zum Bier zur Sucht geworden war. Nur die traurigen, ausgebrannten Huren, von Krankheiten geplagt, pockennarbig und zu alt, um sich mit einer besseren Kundenklasse einen ehrlichen Lebensunterhalt zu verdienen. Nur die, die schon so tief gesunken waren, daß sie nichts mehr zu verlieren hatten – und Jarvas.
Jarvas saß in seiner Ecke neben dem von Asche halb erstickten Kamin; er saß mit dem Rücken zur Wand und war sich der Tatsache bewußt, daß der Raum zwischen seinem Platz und der Hintertür frei war und ihm die Möglichkeit ließ, jederzeit zu fliehen. Es war der beste Platz in der Schankstube, von der Durchreiche aus leicht zu beobachten, so daß man jederzeit mehr von dem abscheulich sauren Bier bestellen konnte, und gleichzeitig hatte man einen guten Blick über die ganze Schänke. Es war Jarvas’ Stammplatz, und niemand hatte Lust, ihn ihm streitig zu machen.
Jarvas nahm einen Schluck aus dem fettbeschmierten Becher und zog eine Grimasse, als das widerlich schmeckende, flockige Gebräu ihm die Kehle hinunterlief. Das war genau das richtige, überlegte er, um den Körper unweigerlich krank zu machen; aber dieser Gedanke konnte ihn nicht davon abhalten, es zu trinken – ihn ebensowenig wie jeden anderen hier. Er war für gewöhnlich kein Mann, der seine Zeit damit verschwendete, darüber nachzudenken, warum er hierherkam, obwohl er es eigentlich nicht mußte – er kannte sein eigenes Herz und hielt nicht viel davon, in seiner Seele herumzukramen. In diesen Tagen jedoch, nachdem das Leben in der Stadt, das früher schon schlimm genug gewesen war, noch ein gutes Stück schlimmer geworden war, wurde seine Laune immer düsterer und nachdenklicher, vor allem seit dem noch nicht lange zurückliegenden Verlust seines Bruders. Er kam aus verschiedenen Gründen hierher; einmal, weil es sicher war – die Söldner, die in den Diensten der widerlichen Magusch standen, hatten nur einmal versucht, hier hereinzukommen, und sie harten es später bitter bereut. Er kam, weil er es sich leisten konnte; er war ein sehr großer Mann, und obwohl er keinen Streit suchte, mußte doch jeder, der unklug genug war, sich ihm in den Weg zu stellen, früher oder später dafür bezahlen. Die Leute hier respektierten ihn zumeist, und es war bekannt, daß Jarvas einen guten Freund und einen gnadenlosen Feind abgab. Schließlich und endlich – und es sprach sehr für ihn, daß er in der Lage war, sich diese Tatsache einzugestehen –, kam Jarvas hierher, weil er einsam war.
Es machte einem das Leben sehr schwer, wenn man häßlich war und zudem noch ungewöhnlich groß. Jarvas ging jedem Spiegel aus dem Weg. Es schien, als seien die Götter bei seiner Erschaffung in Eile gewesen und hätten einfach nur irgendwelche Gesichtszüge, die gerade bei der Hand waren, zusammengesucht – ohne über das Ergebnis nachzudenken. Sein Körper war eine baumelnde, zusammenhanglose Ansammlung verschiedener Teile – Teile, die alle nicht zusammenpassen wollten. Seine Hände und Füße waren zu groß für seine Gestalt, und das wollte wahrlich etwas heißen. Seine Brust war zu schmal für seine breiten Schultern und seine langen Beine, und was sein Gesicht betraf … Es war ein Alptraum. Seine Nase war zu lang, und seine Ohren standen ihm vom Kopf ab. Sein spitzes Kinn schien nicht richtig in der Mitte zu sitzen und war außerdem zu schmal für seine breite Stirn und die schweren Brauen. Seine Augen waren von einem schlammigen Graugrün, und trotz all seiner Bemühungen sah sein dunkles, strähniges Haar immer ungekämmt aus. Um es kurz zu machen, er war eine Katastrophe. Die Männer betrachteten ihn grundsätzlich als Bedrohung, und was die Frauen betraf – das konnte man erst recht vergessen. Keine von ihnen würde ihm jemals einen zweiten Blick gönnen. Bei seinem Aussehen fiel es Jarvas schwer, sich Freunde zu machen, aber er hatte Freunde, und das lag an der Größe seines Herzens.
Jarvas hatte sein eigenes Heim in der Nähe der Kaimauern. Es bestand aus zwei baufälligen Lagerhäusern und einer unbenutzten Walkmühle, die auf einem brachliegenden Grundstück nebeneinander standen. Früher hatte sich an dieser Stelle ein Armenviertel befunden, das jedoch auf Befehl des Erzmagusch niedergebrannt worden war, weil es in der Großen Dürre vor drei Jahren einen Seuchenherd dargestellt hatte, und gerade damals hatte Jarvas den Besitz geerbt, zusammen mit seinem Bruder Harkas.
Er war sehr überrascht über das Vermächtnis gewesen; seine Familie hatte mit Hilfe eines alten, lecken Bootes ein kümmerliches Auskommen bestritten. Er persönlich hatte den Erzählungen von einem Großonkel, der sich in einem Streit von der Familie entfremdet hatte und ein Grundstück am Flußufer besaß, nie Glauben geschenkt. In der Annahme, daß der Wunsch der Vater des Gedankens war, hatte er den Erzählungen seiner Eltern keine Aufmerksamkeit geschenkt. Welchen Sinn hätte das auch gehabt? Niemand wollte einen Besitz an der Nordseite des Flusses haben. In der Vergangenheit vielleicht, als die Hafenviertel reich und gut gepflegt waren, bevor die Wehre erbaut worden waren und die Schiffe den ganzen Weg flußaufwärts von Norberth heraufkommen konnten; damals war es vielleicht etwas anderes gewesen, aber jetzt?
Jarvas war Ende Zwanzig gewesen, als sein Onkel starb. Er hatte das Fährgeschäft bereits aufgegeben und verdiente sich seit mehr als einem Jahrzehnt in der Stadt seinen Lebensunterhalt, indem er jede Arbeit annahm, die ihm angeboten wurde. Während er sich als Vorarbeiter in einem Lagerhaus des Anführers der Händlergilde verdingt hatte, war es ihm gelungen, sich ein wenig Bildung zuzulegen. Vannor glaubte an Gelehrsamkeit und sorgte dafür, daß diejenigen seiner Leute, die das ebenfalls taten, Zugang dazu fanden.
Vannor war ein freundlicher Mann trotz seines respektgebietenden Rufes, und da er selbst einmal arm gewesen war, war er immer darauf bedacht gewesen, seinen Leuten zu helfen, damit sie es in der Welt zu etwas bringen konnten. Er war mit Jarvas und Harkas zusammen losgezogen, um ihr Erbe zu inspizieren, und das war ihr Glück gewesen. Als Jarvas die verlassenen Gebäude auf dem verkohlten Land betrachtete, die rußgeschwärzten Wände, die geflickten Dächer, durch die der Regen tropfte, und die glaslosen Fenster, die wie die leeren Augen einer Leiche aussahen, da hatte sein Herz sich zusammengezogen. Sein Onkel war nicht reich gewesen, soviel stand fest, diese heruntergekommenen Mauern waren wertlos. Harkas hatte bitter geflucht, aber Vannor hatte zu alledem geschwiegen, war einfach zur Mühle hinübergegangen und hatte hineingesehen, hatte sich seinen Weg durch Schutt und abgebrochene Balken gebahnt und nachdenklich die Stirn gefurcht.
Jarvas lächelte bei der Erinnerung an den großen Kaufmann, der damals die Worte gesprochen hatte, die das Leben zweier junger Männer so sehr veränderten. »Gute, solide Steinmetzarbeit, diese Mauern werden so schnell nicht zusammenfallen. Neue Balken müssen her, ihr habt da den Holzwurm drin, aber was für ein Gebäude! Seht nur, wie dick diese Wände sind und wie massiv die ganze Anlage ist; und mit den Lagerhäusern ist es genauso, da bin ich mir sicher. Jungs, es mag zwar im Augenblick noch nicht nach viel aussehen, aber ich würde sagen, ihr habt es gut getroffen.« Dann hatte er Jarvas angegrinst, dessen Augen rund vor Erstaunen geworden waren.