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Harkas, der ältere der Brüder, war dagegen unbeeindruckt. »Wie meinst du das, Herr? Wie könnten diese alten Steinhaufen irgend jemandem von Nutzen sein?«

Das Zwinkern verschwand aus Vannors Augen, und er sah Harkas direkt an. »Denk doch einmal nach, Harkas. Ich mag zwar im Rat der Drei sitzen, aber ich verrate keine Geheimnisse, wenn ich sage, daß die Dinge in der Stadt immer schlimmer werden. Die Dürre, der Hunger und die darauf folgenden Aufstände sollten uns eigentlich allen eine Lehre sein. Mit diesen Häusern hier« – er klopfte auf den mit Ruß verschmierten Stein – »seid ihr vor allem sicher. Jungs, mit ein wenig harter Arbeit könntet ihr diese Gebäude in eine Festung verwandeln. Und das beste, was mit diesem Stück Land geschehen konnte, war das Feuer. Seht nur! Es fängt bereits an, fruchtbar zu werden.« Er zeigte auf die zarten Gräser und Unkrautflecken, deren Wachstum sich durch die letzten sturzbachartigen Regengüsse noch beschleunigt hatte.

»Ihr könnt das Land einzäunen und eine Palisade herumbauen. Die Götter wissen, daß hier genug Steine von den abgebrannten Hütten liegen, und in den Lagerhäusern gibt es reichlich Holz; diese Balken müssen sowieso ersetzt werden, also könnt ihr das Holz ebensogut nutzen. Die Mühle hat einen Wasservorrat, der direkt vom Fluß hierhergepumpt wird, und mit ein wenig Arbeit könntet ihr diese alten Färbetröge zu Schweineställen umfunktionieren. Außerdem könntet ihr Gemüse anbauen und ein paar Hühner halten …«

»Einen Augenblick mal, Herr«, unterbrach ihn Harkas. »Du willst, daß wir Bauern werden? Mitten in dieser verdammten Stadt?«

»Warum nicht?« Vannors Augen leuchteten. »Wißt ihr, wie ich mein Vermögen gemacht habe? Mit Visionen. Ich habe es gewagt, in eine andere Richtung zu denken als meine Kameraden; Dinge zu tun, die mir von meiner Familie und meinen Freunden den Vorwurf eingetragen haben, ich sei verrückt – aber bei allen Göttern, es hat funktioniert. Visionen, das ist es, was ihr braucht, Jungs. Phantasie.«

»Und Geld«, schnaubte Harkas, noch bevor Jarvas ihn zurückhalten konnte.

Vannor hatte nur gegrinst. »Mach dir mal keine Gedanken wegen des Geldes, Harkas; ich werde schon dafür sorgen, daß ihr genug habt, um einen Anfang zu machen.«

Der Kaufmann drehte sich zu Jarvas um und schlug ihm auf die Schulter. »Du hast mich beeindruckt, mein Junge, während du für mich gearbeitet hast, und obwohl es mich schmerzt, einen guten Vorarbeiter zu verlieren, verdienst du es, etwas aus deinem Leben zu machen. Außerdem faszinieren mich die Möglichkeiten dieses Ortes. Betrachte es als unbegrenztes Darlehen …« Sein Gesicht wurde plötzlich nachdenklich. »Mit einer Bedingung. Diese Häuser sind zu groß für euch, selbst mit euren Familien – mach nicht so ein Gesicht, Jarvas, auch du wirst eines Tages jemanden finden. Und die Gebäude wieder in Ordnung zu bringen ist auch mehr, als ihr allein schaffen könntet.«

Vannor sah den beiden Brüdern abwechselnd ins Gesicht. »Habt ihr gesehen, wie die Armen in dieser Stadt leiden? Und ihre einzige Zuflucht, wenn sie zu tief sinken, ist die Leibeigenschaft.« Er runzelte die Stirn. »Es scheint, als sei ich nicht in der Lage, dem ein Ende zu setzen; aber vielleicht gibt es noch eine andere Möglichkeit. Wenn die Armen irgendeinen Ort hätten, an den sie flüchten könnten, wo sie in Sicherheit wären und Hilfe bekämen, bis sie sich eine neue Zukunft aufbauen könnten …«

Jarvas stürzte sich sofort auf die Idee. »Ja, bei allen Göttern! Sie könnten uns helfen, Gemüse und Korn und ähnliches anzubauen, und sie könnten uns auch dabei helfen, diese Häuser in Ordnung zu bringen; und sie könnten alle möglichen Arbeiten in der Stadt annehmen, damit wir die Dinge kaufen können, die wir nicht anbauen können. In diesen Lagerhäusern ist Platz für Dutzende von Familien. Vannor, das ist genial.«

Der praktischer veranlagte Harkas war nicht so leicht zu überreden gewesen, aber schließlich hatte Vannors Traum Gestalt angenommen. Das scheinbar nutzlose Erbe der beiden Brüder hatte sich in eine Festung verwandelt; sicher, unverletzlich – eine in sich abgeschlossene, kleine Farm mitten in den Mauern der Stadt, wo es etwas zu essen gab und ein Dach über dem Kopf und das Versprechen einer Zukunft; ein Ort, an dem die Verlorenen, die Heimatlosen, die Notleidenden und die Verzweifelten willkommen waren …

Jarvas spürte, wie sich seine Kehle vor Kummer zusammenschnürte. Von den drei Männern, die diesen Traum in Bewegung gesetzt hatten, war nur noch einer übrig. Vannor war in der Nacht der Todesgeister verschwunden – nur um ganz unerwartet wieder aufzutauchen und die Rebellen anzuführen, die geschworen hatten, der Herrschaft des grausamen Erzmagusch ein Ende zu setzen. Jarvas und sein Bruder hatten ihnen mit Nahrungsmitteln und anderen Dingen geholfen, bis die Rebellenbasis in den Abwasserkanälen von Miathans Söldnern, die die Stadtwache ersetzt hatten, angegriffen worden war. Angos, ihr Hauptmann, hatte behauptet, die Rebellen bis zum letzten Mann vernichtet zu haben. Und tatsächlich war ihre Basis zerstört und leer – Jarvas hatte nachgesehen.

Kurz nach dem Schock über Vannors Verlust hatte man ihm auch Harkas genommen; er gehörte zu den auf rätselhafte Weise › Verschwundenen^ Die Hintergründe des plötzlichen Verschwindens zahlreicher Menschen erfüllten die Herzen der Bürger von Nexis mit Grauen. Harkas hatte einen seiner gewöhnlichen, nächtlichen Spaziergänge gemacht, auf denen er für seine geliebten Schweine weggeworfene Nahrungsmittel sammelte – etwas, das mittlerweile in der Stadt kaum noch vorkam. Und dann war Harkas nie mehr zurückgekehrt. Diejenigen, die verschwunden waren, waren zur Akademie gebracht worden – soviel wußte man inzwischen –, aber es war klug, nicht allzu viele Fragen zu stellen. Die, die trotzdem gefragt hatten, waren daraufhin nämlich ebenfalls verschwunden. Dank der Magusch waren zwei gute Männer für immer verloren, und nur der trauernde Jarvas war übriggeblieben, um ihr Werk fortzusetzen. Wie lange würde es noch dauern, bis die Hand des Erzmagusch sich auch nach ihm ausstreckte? In der Zwischenzeit war der ›Hund‹ einer der Orte, an dem er seine Leute rekrutierte, ein Ort so gut wie jeder andere. Das war der Grund, warum er hierherkam, Abend um Abend, um die Notleidenden in sein eigenes, kleines Königreich einzuladen.

Der Betrunkene Hund war nicht die Art Lokal, die Hagorn sich normalerweise ausgesucht hätte – in einem Rattenloch wie dem ›Hund‹ zu trinken forderte den Ärger geradezu heraus –, aber der Schwertkämpfer war über den Punkt hinaus, an dem er sich über solche Dinge noch Sorgen machte. Er hatte sich durch die ganze Stadt hindurchgearbeitet und war in jeder Taverne eingekehrt, um für die Rebellen Informationen über die Vorgänge in der Stadt aufzuschnappen sowie – was noch wichtiger war – jedes Wort, das ihn zu Vannor oder seiner verschwundenen Tochter führen konnte. Jetzt gab es kaum einen Ort, an dem er noch nicht gesucht hatte; und obendrein ging ihm langsam das Silber aus, mit dem er sich bisher seinen Weg gebahnt hatte. Vannors magerer Vorrat an Münzen hatte nicht lange gehalten. Zumindest sollte diese stinkende Jauchegrube billig sein, dachte der alte Soldat, als er die Schänke betrat.

Das Feuer und ein paar vereinzelte, magere Binsenlichter stellten die einzige Beleuchtung dar, aber in gewisser Weise war die übelriechende Düsternis der Schankstube ein Segen, denn die Schatten verbargen die ungewaschenen Bierhumpen, die Spinnweben, die von den niedrigen Dachsparren herabhingen, die splittrigen Tische und die fleckigen, mit Messerschnitten übersäten Wände. Die verräucherte Dunkelheit warf zudem noch einen barmherzigen Schleier über die Trinker, denn dies war die rauheste Bierschänke im Hafen, und ihre Kunden waren sogar noch rauher.

In der tiefen Stille, die seinem Eintritt folgte, warf Hagorn jedem der Gäste, die sich in der Schankstube aufhielten, einen finsteren Blick zu und betastete auf eine Art und Weise den Griff seines Schwertes, von der er hoffte, daß sie etwas Bedrohliches an sich hatte. Das war für gewöhnlich die beste Möglichkeit, jedem Ärger vorzubeugen, und wie erwartet lebten die Gespräche sehr schnell wieder auf, als hätte jeder plötzlich sein Interesse an dem wiedergefunden, was er gerade eben noch getan hatte.