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Der Soldat unterdrückte ein Lächeln. Es verfehlte nie seine Wirkung, dachte er. Warum Schwierigkeiten herausfordern? Er kannte diese Art Leute – er hatte ihresgleichen in jeder Stadt getroffen, die er auf seinen Wanderungen gesehen hatte. Sie waren der Abschaum der Stadt – Hafenarbeiter, Träger, Lumpensammler, Bettler, Einbrecher und Taschendiebe, ausgezehrte, alternde Huren sowohl männlichen wie weiblichen Geschlechts. Ihre erbärmlichen Existenzen ließen ihnen wenig Wahlmöglichkeiten; der ›Hund‹ war wärmer als die Kaimauern, und er war eine winzige Spur sicherer als die schmalen, unbeleuchteten Gassen, in denen das Leben eines Menschen nur ein oder zwei Kupferpfennige wert war und die Tugend einer Frau überhaupt nichts. Das säuerliche, wäßrige Bier war billig, und der selbstgemachte Grog – widerlich schmeckend, aber mit einer Wirkung wie flüssiges Feuer, wie Hagorn schnell herausfand – war sogar noch billiger. Was konnten diese Leute mehr verlangen? dachte der Krieger verbittert. Was konnte irgend jemand mehr verlangen.

Ja, wirklich, was? Ich weiß, was ich will, dachte Hagorn kläglich. Ich will herausfinden, was, zum Kuckuck, mit Vannor geschehen ist. Es war jetzt viele Tage her, seit sie in die Stadt gekommen waren und sich dann, weil der Kaufmann darauf bestanden hatte, getrennt hatten. Der alte Soldat hatte ihm wieder und wieder gesagt, daß es ein Fehler sei, aber Vannor, den das Verschwinden seiner widerspenstigen Tochter über alle Maßen besorgte, hatte sich geweigert, auch nur auf ein einziges, vernünftiges Wort zu hören. »Wir können sie viel schneller finden, wenn wir uns trennen«, hatte er argumentiert –, und schließlich, als Hagorn am wenigsten damit gerechnet hatte, war er spurlos in dem Labyrinth der nördlichen Hafengebiete verschwunden.

»Dieser verfluchte Narr«, murmelte Hagorn bei sich, während er dem lächerlichen, spitzgesichtigen Zwerg hinter dem Tresen eine weitere Flasche mit dem billigen, braunen Spülwasser abkaufte. Ihm wäre der Grog lieber gewesen, aber das Ale reichte länger. Sobald er dieses letzte Silber ausgegeben hatte, würde es nichts mehr davon geben – zumindest nicht in Nexis. Man würde schon bald nach ihm suchen. Nachdem er Vannors letzte Münzen verbraucht hatte, hatte er sich als Privatwache bei dem Gildeherrn Pendral verdingt – einem fetten, geldgierigen, kleinen Bastard mit einigen ausgesprochen widernatürlichen Gewohnheiten. Er war einer der vielen Händler, die sich mit Miathan verbündet hatte, um aus den notleidenden Armen der Stadt einen schnellen Profit herauszupressen, solange das noch möglich war.

Hagorn seufzte. Ich gebe einen lausigen Spion ab, dachte er. Vannor hätte jemanden mit weniger heftigem Temperament und mehr Verstand schicken sollen. Es hatte sich herausgestellt, daß es dem Krieger einfach nicht möglich war, im Angesicht von Pendrals widerlicher Gier seinen Mund zu halten, und so hatte er sich schließlich angewöhnt, seinen Kummer zu ertränken, was in seiner gefährlichen Situation beileibe nicht gut war. Die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen war das letzte, was er brauchen konnte; aber heute hatte Pendral ihn entlassen, weil er betrunken gewesen war, während er ein Lagerhaus bewachen sollte, und die Beleidigungen dieses arroganten Schweinekerls waren mehr gewesen, als der alte Soldat sich hatte gefallen lassen können. Zugegeben, es war wahrscheinlich ein Fehler gewesen, den kleinen Bastard mit dem Kopf zuerst in diese Jauchegrube zu werfen, aber … Einen Augenblick lang hellte Hagorns düstere Stimmung sich auf, und er konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Bei allen Göttern, es war die Sache wert gewesen!

Für Tilda schien die Taverne an einem rauhen, schwarzen Winterabend wie ein Traum von Behaglichkeit zu sein. Seit der Erzmagusch die Kontrolle über die Stadt an sich gerissen hatte, gingen die Geschäfte immer schlechter, und heute abend war es besonders schlecht gewesen, denn wegen des abscheulichen Wetters trieben sich nur wenige Leute draußen herum. Die gewundenen, schmalen Straßen von Nexis lagen unter einem dichten, eiskalten Nebel, der sich in ihrer Kehle festsetzte und den trockenen Husten auslöste, der sie nun schon den ganzen Winter quälte. Genug war genug, beschloß Tilda. Warum sollte sie sich für nichts und wieder nichts hier draußen an einer zugigen Ecke den Hintern abfrieren?

Als sie den Betrunkenen Hund erreichte, blieb die Hure kurz in der Tür stehen, um die tropfenden Säume ihrer Unterröcke zurechtzuzupfen und ihre feuchten, rotgefärbten Locken auszuschütteln. Sie müßte verrückt sein, wenn sie hier im ›Hund‹ Geschäfte machen wollte. Er gehörte zu Dellies Revier, und Dellie war eine Kollegin – und zwar eine, die ziemlich unangenehm werden konnte, wenn es ums Geschäft ging. Trotzdem in diesem Gewerbe zahlte es sich immer aus, vorbereitet zu sein. Manchmal hatte man eben doch Glück … Sie als alternde Straßendirne, die obendrein noch einen zehnjährigen Sohn zu versorgen hatte, brauchte alles Glück, das sie bekommen konnte.

Sobald sie eintrat, wußte Tilda allerdings, daß dies doch nicht ihr Glücksabend werden würde. Offensichtlich war sie nicht die einzige Straßendirne in Nexis, die des miserablen Wetters müde war. Es sah aus, als beherbergte der ›Hund‹ im Augenblick jede Hure und jeden Lustknaben in der Stadt. Für einen einzigen Abend hatte man einen Waffenstillstand ausgerufen, und viele der Prostituierten saßen, in freundlichem Geplauder vereint, an den Tischen, um eine der seltenen Stunden der Entspannung auszukosten. Wenn es nur immer so sein könnte, dachte Tilda. Wir sitzen doch alle im selben Boot, wir sollten Freundinnen sein. Aber sie war nicht dumm genug, Zeit mit solchen törichten Ideen zu verschwenden. Sie mußten schließlich alle leben, und der Wettbewerb um Kunden war selbst in einer Stadt wie Nexis ungeheuer groß.

Tilda mußte sich durch eine dichtgedrängte Menschenmenge ihren Weg zu den Tischen hinüber bahnen. Zusätzlich zu den Huren und Stammkunden saß heute abend eine Gruppe Kahnführer in der Nähe des Feuers und spielte Würfel. Tilda erhaschte eine schattenhafte Bewegung in der dunkelsten Ecke und hörte das leise Summen gemurmelter Gespräche. Schnell sah sie weg. Nach so vielen Jahren auf der Straße konnte sie immer genau spüren, wann etwas Fragwürdiges im Gange war. Wenn man überleben wollte, mußte man wissen, wann man seine Augen abzuwenden hatte.

Der interessanteste Kunde war, soweit Tilda sehen konnte, ein wettergegerbter, grauhaariger Mann, der einen schweren Soldatenumhang trug. Er saß ganz allein da und war blind für alles bis auf seinen Bierhumpen. Einen Augenblick lang machte Tilda sich Hoffnungen – aber als sie näher kam, sah sie, daß sein Mantel geflickt und fadenscheinig war, und er blickte mit so finsterer Leidenschaft in sein Bier, daß sie ein kalter Schauer überlief. Vergiß es, sagte sie zu sich. Auf diese Art von Schwierigkeiten kannst du gut verzichten. Manchmal wurden die Soldaten so, das wußte sie. Verdreht und verwirrt, die armen Kerle; aber nach ein paar Drinks ließen sie dann alles, was sie bedrückte, an dem aus, der ihnen am nächsten saß, und wenn sie erst einmal angefangen hatten, konnte niemand sie mehr aufhalten. Oh, ihr Götter, eine Freundin von ihr war von einem betrunkenen Soldaten für ihr ganzes Leben verkrüppelt worden. Nein danke, Kamerad, dachte sie und wollte gerade mit ihrem Grog an einen Tisch in der Nähe der Würfelspieler gehen – so weit weg wie möglich von dem finster dreinblickenden Krieger –, als sie plötzlich sah, wie sich sein Gesicht zu dem schelmischsten Lächeln aufhellte, das man sich nur denken konnte.

Was für eine Veränderung! Tilda, bezaubert von diesem schnellen, ansteckenden Grinsen, ging auf den Fremden zu, der ihre Neugier geweckt hatte. Nun, es konnte schließlich nicht schaden, mit ihm zu sprechen, oder? »Herr?« Sie legte ihm zögernd eine Hand auf den Arm.