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Als ihm langsam seine Umgebung wieder bewußt wurde, hörte der Hohepriester ein Geräusch, das sehr dazu beitrug, seinen Ärger über Miathans herrisches Verhalten zu beschwichtigen. Er öffnete das Fenster und hörte das Aufjammern vieler Stimmen, die den Tod von Flammenschwinge, der Königin des Himmelsvolks, betrauerten. Schwarzkralle gestattete sich ein kleines, befriedigtes Lächeln. Dann gab er seinen Zügen einen passenden Ausdruck von Kummer, straffte sich entschlossen und ging zur Tür. Er hatte eine Menge zu tun und nur wenig Zeit. Auf der Landeplattform vor seinem Gemach breitete der Hohepriester seine nachtschwarzen Schwingen aus und schwebte über die dunkle Leere hinweg auf den Turm der Königin zu.

Dunkel. Dunkelheit und der Geruch nasser Pferde – beides waren vertraute Begleiter für Parric geworden, seit er und die anderen von den Pferderittern der Xandim gefangengenommen worden waren. Der Kavalleriemeister fluchte, aber es war nur ein halbherziger Fluch. Selbst sein schier endloser Vorrat an Lästerungen ging langsam zur Neige. Er war hilflos gefesselt, und seine Augen waren verbunden, und nun wurde er wie ein Sack Pferdemist auf eines der legendären Tiere der Xandim geworfen – eine unendliche Demütigung für einen Reitersmann wie ihn. Er war naß bis auf die Knochen, wütend, frustriert und ängstlich. Er konnte nur durch Meiriel mit diesen Leuten sprachen, aber die Magusch war mittlerweile vollkommen wahnsinnig, und außerdem haßte sie ihn. Er hatte keine Möglichkeit, herauszufinden, ob sie seine Worte richtig übersetzen würde – falls diese Wilden ihm überhaupt die Chance geben würden, etwas zu sagen.

Hinter sich hörte Parric das herzzerreißende Geräusch von Elewins Husten. Die Krankheit des alten Haushofmeisters hatte sich während dieser grausamen Reise noch verschlimmert. Er würde sie vielleicht nicht überleben, denn soweit der Kavalleriemeister wußte, befanden sich Elewin und die anderen in einer ähnlich unangenehmen Lage wie er selbst – sie waren gefesselt und geknebelt und hatten eine undurchdringliche Binde über den Augen. Parric, der nicht wußte, was mit ihnen geschehen würde, machte sich größte Sorgen. Wo bringen uns diese Bastarde überhaupt hin, dachte er – und wie lange wird es noch dauern, bis wir am Ziel ankommen?

Der Kavalleriemeister bedauerte nur seinen übereilten Entschluß, sich auf die Suche nach Aurian zu machen. Wie hatte er glauben können, daß er sie in diesem riesigen, feindlichen Land finden würde? Wenn er doch nur daran gedacht hätte, mehr über die Gegend, in der sie gelandet waren, in Erfahrung zu bringen! Er hätte Yanis fragen können, den Führer der Nachtfahrer, der sich mit den Rebellen angefreundet hatte und schon lange einen gesetzwidrigen Handel mit den Südländern betrieb. Damals war es ihm als eine gute Idee erschienen, um eine Passage auf seinen Schiffen zu bitten. Parric fluchte abermals – hätte er nicht diesen Knebel im Mund gehabt, hätte er auch noch vor Wut ausgespuckt. Idris, der abergläubische Kapitän, der sie hierhergebracht hatte, hatte sich sehr dagegen gesträubt, eine Magusch mitzunehmen, und die Situation hatte sich durch Meiriels verletzende Arroganz diesem Mann gegenüber nicht gerade verbessert. Es spielte keine Rolle, daß sie immer alle Sterblichen mit der gleichen Verachtung behandelte – als sein Schiff in den Stürmen zu Schaden gekommen war, hatte Idris Parric und seine Freunde auf dem nächsten Streifen Land abgesetzt und sie dort zurückgelassen, ohne sich auch nur die Zeit zu nehmen, seinen zerbrochenen Mast zu reparieren.

Bei den Göttern, was für ein Narr ich doch bin! beschimpfte Parric sich selbst. Forral, sein alter Kommandant, wäre angewidert gewesen. Der Kavalleriemeister hatte seinen Rebellenkameraden Vannor im Stich gelassen, um sich in dieses unsinnige Unternehmen zu stürzen. Er hatte dem Kaufmann, der nicht die geringste Erfahrung in der Kriegskunst besaß, das Kommando über seine Truppe überlassen. Nur die Götter wußten, ob er das Ganze verpfuschen würde, dachte Parric reuevoll. Ich frage mich, ob er wohl die Lady Eilin gefunden hat? Ob sie uns helfen wird? Natürlich wird sie das, beruhigte er sich. Sie ist Aurians Mutter. Der Erzmagusch hat Forral ermordet und ihre Tochter hintergangen – sie muß einfach auf unserer Seite stehen. Wenn ich doch nur Aurian finden könnte …

Das Pferd trabte unermüdlich weiter. Parric, ein Reitersmann durch und durch, fand einen gewissen Trost in dem anmutigen Schritt des Tiers. Kraftvolle Muskeln bewegten sich mit fließender Leichtigkeit unter ihm, und er rieb seine Wange über dickes, aber seidiges Fell. Er verspürte ein heftiges Verlangen, das Tier zu sehen, seine Hände über glatte Flanken und kraftvolle Schenkel gleiten zu lassen. Oh, dieses Geschöpf zu reiten – solch ungeheure Stärke zu teilen! Wirklich, dieses Pferd konnte selbst dem Wind davonlaufen! Eingelullt von den gleichmäßigen Schritten seines Reittiers und getröstet von dem warmen, scharfen Geruch des Pferdes, döste er vor sich hin und träumte davon, den Wind zu reiten.

Parric war mit einem Ruck wach, als die Eule, die ihn geweckt hatte, einen zweiten markerschütternden Schrei ausstieß. Nur wer wie er seiner Sicht beraubt war, konnte das leise, raschelnde Wispern der Flügel hören, als die Eule wie ein Geist davonflog. Es mußte immer noch Nacht sein – es war schwarz hinter seiner Augenbinde, und er konnte eine kühle, feuchte Brise auf seiner Haut spüren. Der unbarmherzige Regen hatte zu seiner großen Erleichterung endlich aufgehört. Er konzentrierte sich und benutzte seine durch viele Jahre als Kundschafter geschärften Sinne, um herauszufinden, was seine Augen ihm nicht sagen konnten. Ah, das Gelände hatte sich verändert. Anstelle des berauschenden, frischen Dufts des Graslands war der schwere Moschus des Waldbodens getreten, und er konnte das raschelnde Murmeln des Windes in den Zweigen hören. Der Körper seines Pferdes war schräg nach oben geneigt, und er konnte spüren, wie die Muskeln des Tieres sich anspannten, als es sich einen steilen, unebenen Pfad hinaufarbeitete.

Der sanfte Tritt der Pferdehufe auf weichem Grund war einem hohlen Scharren auf einer steinernen Oberfläche gewichen. Ein Flüstern lief durch die Reihen der Krieger, die Parric gefangenhielten, und das Tier blieb stehen. Grußworte erklangen und ein Geplapper von Antworten in der singenden Sprache der Xandim. Parric mußte die Sprache nicht kennen, um Neugier und Betroffenheit aus ihrem Ton herauszuhören. Gedämpftes Fackellicht zuckte über seine Augenbinde, hier und da unterbrochen von vorüberziehenden Schatten. Dann setzte sein Pferd sich mit einem gereizten Schnauben wieder in Bewegung, und sie nahmen ihren mühsamen Weg über den gepflasterten Pfad wieder auf. Der Kavalleriemeister versuchte, seine Gedanken zu sammeln, denn er rechnete damit, bald dem Anführer der Pferderitter gegenüberzustehen. Wo auch immer man ihn und seine Begleiter hingebracht hatte, sie waren offensichtlich an ihrem Ziel angekommen.

2

Das Windauge

Der Wind trug Stimmen zu ihm herüber, die über die Hänge des Windschleierbergs pfiffen und ihre Geheimnisse über die steifen, vom Frost zersplissenen Gräser des Plateaus wisperten, das lang und breit und von wilder Schönheit war: das Herz und die Heimat der Xandim. Diese Wiese war in früheren Sommern üppig und grün gewesen und mit Mohn und Siebenstern bestanden, aber der Sommer schien für immer aus ihren Landen geflohen zu sein. Mitten durch die Ebene sprudelte ein ungestümer Strom, der aus einem dunklen, schmalen Tal im Schatten des Bergmassivs kam. In diesem unheimlichen Tal lagen die Hügelgräber, in denen die Xandim ihre Toten beisetzten. Nur um einen der Ihren zu beerdigen, zogen die Pferderitter über den von hohen Steinen gesäumten Weg, der den Eingang zum Tal bewachte, und nur die Windaugen kannten das geheime Herz des Tales: die dem Berg abgerungene, gewundene Steinzinne, die wie ein Turm am Ende des Tals emporragte.