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Cygnus runzelte die Stirn. Trotz aller Versuche Schwarzkralles, Gerüchte im Keim zu ersticken, wurde doch überall in der Zitadelle geflüstert. Die Geschichte von dem gefangenen Zauberer und von seiner Gefährtin, die in Incondors Turm festgehalten wurde, mußte ihren Ursprung bei jenen haben, die bei ihrer Gefangennahme mitgewirkt hatten. Dennoch war Cygnus bis zur Sprachlosigkeit erschrocken gewesen, als Meisterin Elster in großer Eile in seinem Gemach erschienen war, um ihm zu sagen, daß er sich um den Gefangenen kümmern müsse. »Ich würde selbst gehen«, fügte die alte Ärztin kalt hinzu, »aber der Hohepriester hat es verboten.« Ihre gescheckten Hügel mit ihren raffinierten Fächermustern aus hellem Weiß und schimmerndem Blau, Grün und Schwarz waren vor Zorn halb entfaltet, als sie dem jungen Mann unter ihren zottigen, weißgesträhnten Brauen einen bedeutungsvollen Blick zuwarf. »Aber wie dem auch sei, tu, was du kannst.« Noch ein spitzer Blick – dem jungen Mann stockte der Atem. Elsters Mißbilligung war greifbar, und es tat ihm immer noch weh, wenn er daran dachte, daß er ihr die Treue gebrochen hatte.

Nun, Cygnus hatte sein Bestes für seine alte Lehrerin getan. Während er sich unter der Last seiner Schuld krümmte, hatte er Schwarzkralle berichtet, daß die Krankheit des Gefangenen über seine eigenen, erbärmlichen Kräfte hinausgehe und daß Elster dort gebraucht würde. Es war das beste, was er tun konnte, um ihre Sicherheit zu gewährleisten, denn seit dem Tod der Königin hatte er sich über Elsters Schicksal Sorgen gemacht. Wer konnte vorhersehen, was mit ihr geschehen würde, wenn sie begann, Fragen über Flammenschwinges Dahinscheiden zu stellen?

Cygnus zuckte zusammen, als die Tür zu seiner Zelle aufkrachte und eine Tempelwache mit aschfahlem Gesicht erschien. »Komm schnell!« rief der Mann und zerrte den Arzt von seinem Hocker herunter. »Die Prinzessin! … Meisterin Elster braucht dringend deine Hilfe!«

Cygnus hätte weinen mögen, als er Rabe da liegen sah, klein, zerbrechlich und verlassen in dieser mit getrocknetem Blut überzogenen Kammer. Ihre Haut war von grausamer Blässe, und auf ihrem linken Unterarm zeigte sich ein gezackter, klaffender Schnitt; und ihre Flügel – o Vater des Himmels – waren eine verzerrte, zerschmetterte Masse blutiger Federn und zersplitterter Knochen! Cygnus überwältigte ein mörderischer Drang, den Hohenpriester zu fassen zu bekommen und ihm seinen mageren, faltigen Hals umzudrehen.

»Reiß dich zusammen! Ich kann diese Aderpresse nicht mehr lange halten.« Elsters scharfe Worte waren wie ein Guß eiskalten Wassers. »Hilf mir, sie hochzuheben! Wir müssen zusehen, daß wir möglichst viel schaffen, solange sie noch bewußtlos ist.« Die Stimme der Ärztin war ganz gefaßte Geschäftsmäßigkeit, aber ein Blick auf ihr starres, gräuliches Gesicht sagte Cygnus, daß Elster in Wirklichkeit am liebsten auf der Stelle ans Fenster getreten wäre, um sich zu übergeben.

Sehr zur Erleichterung des jungen Arztes gab das Mädchen keinen Laut von sich, als sie sie zu ihrem Bett trugen. »Deck sie zu, so gut du kannst«, murmelte Elster und betrachtete stirnrunzelnd den verletzten Arm. »Schock und Blutverlust sind unsere Hauptfeinde; wir müssen sie unbedingt warmhalten.« Mit diesen Worten zeigte sie auf den kleinen Messingtopf, den sie benutzte, um Wasser für ihre Nadeln und Klingen zu kochen. »Schür das Feuer. Es wird nicht viel Wärme spenden, aber …« Sie betastete Rabes gezackte Wunde. »Normalerweise würde ich dir diese Sache überlassen, aber sie hat diese Adern hier furchtbar zugerichtet, und Zeit ist von größter Bedeutung.«

Cygnus, der gerade Holz in den winzigen Ofen gepackt hatte, richtete sich auf, und seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. »Die Prinzessin hat versucht, sich das Leben zu nehmen?«

»Was denkst du denn?« Elster spülte gerade die Wunde mit einer reinigenden Lösung aus. »Sieh doch nur, was diese Mistkerle mit ihren Flügeln gemacht haben.« Ihre Hände waren immer die ruhigen Hände einer Meisterin und einer Chirurgin gewesen. Cygnus hatte sie niemals zuvor zittern sehen. Elster holte tief Luft. »Außerdem ist sie nicht die Prinzessin, sondern die Königin – und wir tun gut daran, das immer im Kopf zu behalten, während wir arbeiten«, fügte sie giftig hinzu. Wie eine wahre Meisterin hatte Elster sich bereits wieder unter Kontrolle. Cygnus wünschte, er hätte von sich dasselbe behaupten können.

»Jetzt …« murmelte Elster, als sie sich tief über Rabes Arm beugte. »Cygnus, würdest du bitte so freundlich sein, diese Flügel zu säubern, bevor das arme Mädchen aufwacht? Und bemühe dich, alles was noch übrig ist, wieder zusammenzufügen. Die Königin mag vielleicht nie wieder fliegen können, aber ich stürze mich eher vom Dach des Yinze-Tempels, als daß ich ihr die Flügel amputiere! Das arme Kind ist schon verstümmelt genug.«

Cygnus konnte es nicht mehr ertragen. Der Gedanke daran, daß ein Geflügelter – und ausgerechnet die Königin – zwei verkümmerte Stumpen statt prachtvoller Schwingen haben sollte, war genug, um ihm den Rest zu geben. Er schaffte es gerade noch bis ans Fenster, bevor er sich übergeben mußte.

»Na, komm schon, Junge! Bist du nun Arzt oder nicht?« keifte Elster ihn an. Cygnus unternahm übermenschliche Anstrengungen, um sich zusammenzureißen. Dann trank er einen langen Schluck aus dem Wasserschlauch der Meisterin, goß ein wenig von der Reinigungslösung in eine Schale, um seine Hände zu waschen, und beugte sich grimmig über die grauenvolle, mühsame Arbeit, Rabes zerschmetterte Flügel wieder zusammenzusetzen.

»Gut gemacht, Junge! Ich hätte es selbst nicht besser gekonnt.« Cygnus blinzelte, wischte sich den Schweiß von der Stirn und blickte auf – oder versuchte es jedenfalls. Sein Nacken und sein Rücken schienen in ihrer Position festgefroren zu sein. Jemand hatte seine Augen mit kochendem Sand gefüllt, und seine schmerzenden Finger waren steif und verkrampft. Eine Reihe von Kerzen und kleinen Öllampen brannte um ihn herum, und ihre zuckenden Flammen tanzten in der Finsternis eines mittlerweile vollkommen dunkel gewordenen Zimmers. Der Himmel zeigte bereits das reiche, tiefe Blau der Abenddämmerung. Dann wurde ihm plötzlich mit einem Ruck des Erschreckens bewußt, daß es nicht dunkel, sondern wieder hell wurde!

Als er sich ausstreckte, knackten seine Knochen wie kleine Äste im Feuer. Elster, rotäugig und mit eingefallenem Gesicht, strahlte auf ihn hinunter und zeigte mit der Hand auf den Hügel, der vor ihm ausgestreckt war. Cygnus betrachtete ihn und schüttelte ungläubig den Kopf. Plötzlich war seine Müdigkeit vergessen, und eine Woge des Stolzes und der Zufriedenheit überflutete ihn. Vater des Himmels, staunte er. Habe ich das wirklich geschafft? Das, was zuvor eine verklebte Masse blutiger Federn und Knochen gewesen war, sah wieder aus wie ein Flügel, das Hauptknochengerüst war fest geschient, die zerbrechlichen Knochen, die das Gefüge der Hügelspitzen unterstützten, hatte er wie ein Mosaik zusammengesetzt und mit einem raffinierten System feiner Holzstückchen – die leichtesten, die er finden konnte – in ihrer Position festgehalten. Beschädigte Muskeln und zerrissene Haut waren jetzt wieder an Ort und Stelle und mit Hunderten winzigster Stiche gesichert.

Der Flügel sah wieder aus wie ein Flügel – beinahe. Als er noch einmal über sein Werk nachdachte, erinnerte Cygnus sich an Knochen, die so zersplittert waren, daß man sie nicht mehr reparieren konnte, an einzelne Stücke, die fehlten und unauffindbar blieben. Schlüpfrige Sehnenfäden, die nicht wieder miteinander verbunden werden konnten, und Muskeln, die für alle Zeit schwach bleiben würden, wenn sie überhaupt noch funktionierten. Ob es ihm gelungen war, die zerstörten Gefäße soweit wiederherzustellen, daß das Blut in den Flügeln wieder zirkulieren konnte? Auch das würde nur die Zeit zeigen. All seine gewissenhafte Arbeit konnte durchaus umsonst gewesen sein. Cygnus spürte, wie das Glühen der Befriedigung in ihm zu Asche erstarb, und wandte sich fluchend ab. »Welchen Unterschied macht es schon?« fragte er verbittert. »Sie wird so oder so nie wieder fliegen.«