»So«, flüsterte Miathan. »Endlich habe ich dich.«
»Du wirst mich nicht lange haben, du Bastard!« Vannor spuckte dem Erzmagusch vor die Füße.
»Vannor, wenn du nicht so erbärmlich wärest, könntest du wirklich amüsant sein«, höhnte der Erzmagusch. »Ich muß jedoch zugeben, daß du recht hast: deine Anwesenheit wird mich nicht langen stören. In deinem Falle wird das Ende viel früher kommen, als du glaubst. Denn wer könnte dir jetzt noch helfen?« Er lächelte kalt. »Da wären wir nun also, an demselben Punkt, an dem wir begonnen haben, aber diesmal gibt es keinen Forral, der dir hilft, und keine Aurian, die sich einmischt. Deine Freunde von der Garnison sind aus Nexis verschwunden oder tot. Du hast niemanden, Vannor, niemanden außer mir. Und bevor ich mit dir fertig bin, wirst du tausendmal um den Tod betteln. Aber zuerst möchte ich ein paar Antworten haben, wie zum Beispiel die Namen deiner Kameraden und den Ort, an dem sie sich aufhalten.«
Die zischende Stimme und der bösartige Gesichtsausdruck Miathans ließen Vannor frösteln. Der Kaufmann biß die Zähne zusammen und schloß die Augen, aber gegen Miathans heimtückische, hämische Stimme konnte er sich nicht verschließen, und ihm wurde bis in die tiefsten Tiefen seiner Seele übel vor Verachtung und Zorn. Das schlimmste an seiner Angst war nicht die Furcht vor seinem eigenen Schicksal – das (so versprach er sich und versuchte mit aller Macht, es zu glauben) konnte er ertragen. Aber er wußte, daß er früher oder später dem Erzmagusch alles sagen würde, was dieser wissen wollte.
Vannor schauderte. Geblendet von der Liebe zu seiner Tochter, hatte er seine Freunde verraten. Mit sterblichen Männern hätte er fertig werden können, aber dieses Ungeheuer verfügte über Kräfte, die Vannors schlimmste Phantasien überstiegen. Eine Woge der Übelkeit überwältigte ihn, als er sich an die gräßlichen Geschöpfe erinnerte, die seinen alten Freund Forral ermordet hatten, und nur der hartnäckige Funke der Entschlossenheit, der ihm während eines rauhen, harten Lebens treu gedient hatte, verhinderte, daß er am ganzen Leibe zitterte. Wenn nicht ein Wunder geschah, würde sein Leben höchstens noch Tage dauern. Vannor wußte, daß diese Tage wahrhaft furchtbar werden würden.
Dennoch würde er nicht einfach kampflos aufgeben. Mit finsterem Blick sah er in Miathans ausdruckslose Augen. »Warum?« knurrte er. »Du bist der verdammte Erzmagusch. Du weiß ganz genau, daß du jede Information, die du haben willst, einfach aus meinen Gedanken nehmen kannst wie ein Stück aus dieser Schale da hinten. Ja, tatsächlich …« Ein neuerliches Schaudern wogte über ihn hinweg. »Tatsächlich, du könntest es bereits getan haben.« Stimmte das? War das wirklich möglich? Während er zitternd Atem holte, versuchte er, seine sich überschlagenden Gedanken unter Kontrolle zu bekommen. »Du bedrohst mich also mit Folter?«
»Das ist meine Rache.« Miathans Lächeln erinnerte Vannor an den wütend knurrenden Wolf, den er vor so langer Zeit im Tal gesehen hatte. »Rache für all die Jahre, in denen du mich gehemmt und behindert und mir im Rat widersprochen hast. Und dein Leiden wird bei weitem größer sein, wenn du die Worte, die deine Kameraden verraten, von deinen eigenen Lippen kommen hörst – und wissen wirst, daß du sie im Stich gelassen hast.«
Da war es wieder, dieses wölfische Grinsen. »Aber es geht mir nicht nur um die Rache allein, mein lieber Vannor. Bedenke die Quellen magischer Kraft. Die Abwendung vom Magusch-Kodex hat mir gewisse – Möglichkeiten eingetragen. Vergiß keinen Augenblick lang, wenn du in Qualen stirbst, daß dein Entsetzen, deine Schmerzen und dein Zorn dazu dienen, meine Magie zu schüren und meine Macht zu vergrößern.«
Mit diesen Worten hob er die Hand. Jeder Nerv und jeder Muskel in Vannors Körper verfiel in krampfartige Zuckungen, als ein Strom des Schmerzes das Rückgrat des Kaufmanns wie heißes Feuer zu verschlingen begann. Er stürzte wie ein gefällter Baum zu Boden und krümmte sich auf dem blutroten Teppich, während seine Wirbelsäule sich wie ein gespannter Bogen zurückwölbte. Obwohl er sich auf die Zunge biß, um nicht laut aufzuschreien, war das letzte, was er hörte, bevor ihm die Sinne schwanden, seine eigenen gequälten Schreie.
16
Ein Schatten auf dem Dach
Während Yazour sich langsam von seinen Verletzungen erholte, ging sein Unterricht in der Sprache der Xandim weiter. Es war nicht so schwierig, wie er erwartet hatte, denn er hatte ja früher schon ein wenig Xandim gelernt. Wie allen Offizieren des Xiang hatte man ihm die Grundlagen dieser Sprache beigebracht, damit er für die Überfälle auf die Xandimställe gerüstet war. Die beiden Sprachen hatten außerdem einige gemeinsame Wurzeln, was das Lernen bei weitem erleichterte. Und schließlich hatten die beiden Männer nur einander zur Gesellschaft und kaum etwas anderes zu tun als zu reden – und jeder von ihnen platzte beinahe vor Neugier und wollte herausbekommen, was der andere in dieser trostlosen, einsamen Gegend zu suchen hatte.
Yazour brauchte mehrere anstrengende Tage, um in stockendem Xandim über sein Schicksal zu berichten. Immer wieder mußte er jedoch bei wilden Gesten und Bildern Zuflucht suchen, die er mit einem verkohlten Stock aus dem Feuer auf den glatten Steinfußboden der Höhle zeichnete. Auf diese Weise erklärte er seinem Retter, daß er und seine Kameraden auf der Flucht vor dem Zorn des Königs der Khazalim waren und daß der Mann, der die anderen im Turm gefangenhielt, Xiangs Sohn war. Als Schiannath diese Neuigkeit hörte, ergoß sich eine Flut zorniger Xandimworte über Yazour, von denen er so gut wie nichts verstand. Nach vielen Wiederholungen und ungezählten Versuchen, seinen seltsamen Kameraden dazu zu bringen, etwas langsamer zu sprechen, verstand der Krieger endlich, daß Schiannath ebenfalls ein Gesetzloser war, den sein eigenes Volk verbannt hatte, obwohl die Art des Verbrechens, das er begangen hatte, unklar blieb.
Yazour vermutete, daß Schiannath sich in diesem Punkt absichtlich vage ausdrückte, und er mußte gegen ein ungutes Gefühl ankämpfen, bis er sich daran erinnerte, daß dieser Mann ihn gerettet, ihm zu essen gegeben und seine Wunden versorgt hatte. Schließlich, so überlegte Yazour, habe ich ihm auch nicht erzählt, warum wir gezwungen waren, vor dem Khisu zu fliehen. Vielleicht kommt Schiannath mein eigenes Verhalten genauso verdächtig vor – und trotzdem kümmert er sich um mich.
Nachdem der Gesetzlose herausgefunden hatte, daß Yazour ein Verbannter war wie er selbst, taute er ihm gegenüber deutlich auf, und trotz seiner ursprünglichen Feindseligkeit bemerkte der junge Krieger, daß es ihm ähnlich erging. Obwohl der Geist seines ermordeten Vaters gelegentlich in seinen Gedanken Gestalt annahm und ihm zürnte, weil er sich mit einem Feind befreundet hatte, konnte der vernünftige Yazour doch nicht umhin, einzusehen, daß sein früherer Feind sich als besserer Freund erwiesen hatte als Harihns Soldaten, seine ehemaligen Kameraden. Yazours Genesung war keine einfache Sache. Manchmal, wenn seine Wunden ihn erneut in Fieberkrämpfe stürzten, machte Schiannath ihm lindernde Breiumschläge und kühlte sein brennendes Gesicht mit Eiswasser; wenn die Beule auf seiner Stirn pochte, gab der Xandim ihm Kräutergetränke, die den Schmerz linderten. Und bei jeder dieser Gelegenheiten war Yazours Verwirrung so groß, daß er das Gefühl hatte, sein Kopf würde zerspringen – oder vielleicht auch sein Herz.