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Die schlimmste Qualen litt Yazour jedoch nicht um sich selbst, sondern um die Kameraden, die er im Turm zurückgelassen hatte, als er geflohen war. Was war aus Aurian und Anvar geworden? Was aus Bohan, Eliizar und Nereni? Was war aus Shia geworden, die ganz allein durch diese winterliche Einöde wanderte? Und das schlimmste von allem war die Frage, warum er hier auf dem Rücken lag, hilflos wie eine umgedrehte Schildkröte, wo er doch eigentlich da draußen sein sollte, um den anderen zu helfen?

Während die Tage dahingingen, gärten bohrende Zweifel in dem Krieger. Seine äußeren Wunden heilten langsam, aber die Wunden in seinem Geist verschlimmerten sich. Yazour wurde mürrisch und gereizt, und es fehlten ihm die Worte wie auch die Bereitschaft, Schiannath zu erklären, daß sein Zorn sich gegen sich selbst richtete. Das zarte Band des Vertrauens, das zwischen ihm und dem Xandim gewachsen war, wurde auf eine harte Zerreißprobe gestellt, und Yazour ärgerte sich sogar über Schiannaths verletzten und verwirrten Gesichtsausdruck, wenn dieser versuchte, die unausgesprochenen Wünsche seines Kameraden zu erfüllen, und dabei stets aufs neue zurückgewiesen wurde.

Schließlich spitzten sich die Dinge zwischen den beiden Männern zu. Es war ein wilder, bitterkalter Abend, und der letzte in einer langen Folge von furchtbaren Schneestürmen ließ seine Wut an den Bergen um sie herum aus. Schiannath lag schlafend neben seiner geliebten Stute, aber Yazour warf sich in den Fängen einer grimmigen und hartnäckigen Schlaflosigkeit auf seinem Lager herum und fand keine Ruhe. In Gedanken war er bei den Freunden, die er verloren hatte, und grauenerregende Visionen stiegen vor seinem inneren Auge auf, Visionen, in denen seine Kameraden gefoltert und gedemütigt wurden, Visionen von Aurian, die von dem Prinzen mißbraucht und mißhandelt wurde.

Plötzlich wurde es ihm zuviel. Der schon seit langem von schrecklichen Schuldgefühlen geplagte junge Krieger ertrug es nicht länger. »Schnitter, nimm mich zu dir. Ich kann hier einfach nicht mehr länger herumliegen!« murmelte er. »Ich muß diese Schwäche überwinden und stark genug sein, um endlich aufzustehen.« Der Zeitpunkt war ideal. Schiannath lag schlafend neben seiner Stute. Wenn Yazour still war, konnte er aufstehen und fort sein, bevor der Xandim bemerkte, was er tat, und ihn aufhalten konnte.

Yazour setzte sich auf und mußte zuerst einmal kräftig durchatmen, um den scharfen Schmerz in seiner verwundeten Schulter zu überwinden. Aber es war schon viel besser, beruhigte er sich. Vor nur wenigen Tagen hätte er diesen Arm überhaupt nicht bewegen können. Während er darauf wartete, daß der Schmerz langsam nachließ und zu einem leisen Pochen verblaßte, sah Yazour sich in der Höhle um. Er mußte etwas finden, worauf er sich stützen konnte, denn sein verletztes Bein war immer noch nicht zu gebrauchen. Ursprünglich hatte er dabei an sein Schwert gedacht, aber Schiannath hatte vorsorglich alle Waffen so versteckt, daß Yazour nicht an sie herankonnte. Sein Plan schien zum Scheitern verurteilt zu sein, aber der junge Krieger hatte nicht die Absicht, so leicht aufzugeben. Die Mauer der Höhle bot Halt, um sich daran entlangzuziehen. Yazour streckte seinen gesunden Arm aus, hielt sich an einem stabil aussehenden kleinen Vorsprung in den Felsen fest und begann, sich langsam hochzuziehen.

Der Schnitter sei mir gnädig! Ich hatte ja keine Ahnung, wie weh das tun würde! Yazour klammerte sich an dem Stein fest, aber die Höhlenwand wirbelte schwindelerregend um ihn herum. Schweiß floß ihm übers Gesicht und tropfte brennend in seine Augen. Die geschwächten Muskeln seines verwundeten Oberschenkels bereiteten ihm höllische Schmerzen. »Du verfluchter, winselnder Schwächling!« haderte er mit sich selbst. »Und du nennst dich einen Krieger? Du, die einzige Hoffnung für deine armen Freunde?« Mit diesen Worten biß er die Zähne zusammen, ließ den Stein los, an dem er sich festgehalten hatte, und versuchte, taumelnd zum Höhleneingang zu kommen.

Ein Schritt … zwei … Das verwundete Bein gab unter ihm nach, als hätten seine Knochen sich plötzlich in Wasser verwandelt. Die Welt schien abzukippen, auf den Kopf gestellt, noch bevor Yazour das Gleichgewicht wiederfinden konnte. Plötzlich lag er der Länge nach auf dem Boden der Höhle, eine Hand in den durcheinandergewirbelten, glühenden Kohlen des Feuers. Mit einem Aufschrei des Entsetzens und des Schmerzes riß er sie zurück, aber seine Kleider brannten bereits an mehreren Stellen. Die Pferde schrien in Panik auf und versuchten, sich zu befreien. Dann war Schiannath plötzlich da. Zornig und mit wilden Augen stieß er Flüche in der Sprache der Xandim aus. Hastig zog er den Krieger aus der Gefahrenzone heraus und ergoß den Inhalt seines Wasserschlauches über Yazour und dessen glimmendes Bettzeug. Das Feuer erstickte in einer Wolke aus Rauch und Asche, und Dunkelheit verschlang die Höhle.

Der Krieger hörte das Klicken eines Feuersteins auf Eisen. Eine winzige Flamme flackerte wie eine Blume am Ende einer Fackel auf und erglühte so weit, daß sie schließlich Schiannaths schmutziges und wächsernes Gesicht beleuchtete. Der Xandim klemmte die Fackel in einen Riß im Felsen und taumelte zu Yazour hinüber, wobei er auf dem schlammigen Boden beinahe ausrutschte.

»Du Narr! Du warst noch nicht soweit.« Schiannath half dem zitternden Krieger, sich aufzurichten. »Bist du schlimm verletzt?«

Yazour wandte den Kopf von dem Xandim ab und schluchzte, als wolle ihm das Herz brechen.

Schiannath brauchte eine ganze Weile, um die Ordnung in der verwüsteten Höhle wiederherzustellen. Yazour, eingehüllt in trockene Wolfsfelle, nippte an einem der Schmerzlinderungstränke des Xandim und konnte nichts tun, um ihm zu helfen. Der junge Krieger verging fast vor Demütigung und fühlte sich so elend wie noch nie zuvor in seinem Leben. Welchen Nutzen hatte er denn noch, verkrüppelt wie er war? Er war sogar für den Mann, der ihm das Leben gerettet hatte, nur eine Last und Plage. Da er nicht wußte, was er sagen sollte, wich er Schiannaths Blick aus.

Schließlich spürte er eine sanfte Berührung auf seiner Schulter. Als er sich umsah, bemerkte Yazour, daß der Boden wieder gesäubert war und daß das neu errichtete Feuer munter brannte. In der Nähe schmolz eine neue Schale Schnee, daneben blubberte in einem Topf etwas Suppe, die von ihrer letzten Mahlzeit übriggeblieben war. Schiannath saß abgekämpft und müde neben ihm und hielt ihm eine Tasse mit der kräftigenden, dampfenden Flüssigkeit hin. »Komm«, sagte der Xandim sanft. »Reden. Was ist so wichtig, daß du zu früh aufstehen mußt?«

Yazour holte tief Luft. »Meine Freunde im Turm«, sagte er. »Sie sind vielleicht verletzt oder sogar tot. Ich muß es wissen.«

Schiannath nickte ernst. »Ich verstehe deine Qualen. Ich hätte früher daran denken sollen. Aber warum hast du denn nichts gesagt? Beruhige dich, Yazour. Ich werde selbst hingehen, morgen abend, und dir Neuigkeiten von deinen Freunden bringen.«

»Na, na, laß mich das tragen«, sagte Jharav. Erleichtert übergab Nereni ihm den schweren Korb, den sie aus Weiden geflochten hatte, die eben derselbe Mann am Rande des kleines Wäldchens für sie gesammelt hatte.

Von allen Soldaten Harihns war Jharav, der mittlerweile zum Hauptmann der Truppe aufgestiegen war, der freundlichste und hilfsbereiteste. Er sorgte dafür, daß sie und Aurian immer genug Feuerholz hatten, und er war es auch, der eine Schale Schnee nach der anderen schmolz, damit sie baden konnten. Nereni war mittlerweile sicher, daß sein Gewissen ihm schwer zu schaffen machte. Zuerst hatte sie Jharav genauso verachtet wie den Rest von Harihns Männern, aber während die Tage ihrer Gefangenschaft vergingen, hatte sich ihr Widerwille gegen den stämmigen, ergrauten Soldaten langsam aufgelöst, bis sie ihn nicht mehr in demselben Licht sah wie die übrigen Soldaten des Prinzen. Jharav war ein anständiger Mann, und Nereni vermutete, daß er sich mit aller Kraft hinter Aurian gestellt hatte, als diese beharrlich verlangte, daß man Nereni erlaubte, sich um Eliizar und Bohan zu kümmern. Vor vier Tagen hatte Harihn dann endlich nachgegeben, und die tägliche Begegnung mit ihrem Mann war ein kleiner Trost für Nereni. Sie hatte das Gefühl, daß sie Jharav Dank schuldete.