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Bevor das Tier zurückkehren konnte, griff Parric nach unten und zog ein weiteres Messer aus seinem Stiefel. Die Tatsache, daß er seinen Feind verwundet hatte, gab ihm neuen Mut, und wie so oft überwältigte ihn das Fieber des Kampfes; es sang in seinen Venen, lockerte seine Muskeln und schärfte seine Sinne. Sein verwundetes und schnell anschwellendes Knie bemerkte er gar nicht mehr, ebensowenig wie den Schmerz in seiner zerbissenen Schulter, von der das Blut tropfte. Mit dem Messer in der Hand stand der Kavalleriemeister aufrecht da, spähte angestrengt in das undurchdringliche, graue Nichts und wartete auf den nächsten Ansturm seines Feindes.

»O ihr Götter, was ist denn jetzt los?« Sangra zog Chiamh am Ärmel. Geistesabwesend schob das Windauge ihre Hand weg und hielt sie fest.

»Ich kann nicht mehr sehen als du«, sagte er zu ihr, »aber ich könnte mir vorstellen, daß der Rudelfürst den Nebel benutzt, um seine Angriffe zu tarnen. Nach diesem Schrei zu urteilen, schätze ich, daß Parric ihn zumindest verwundet hat; aber ob unser Freund ebenfalls verletzt ist …«Er zuckte mit den Schultern. »Wer weiß?«

Sangra stieß einen abscheulichen Fluch aus und machte sich daran, mit ihrer freien Hand ihr Schwert aus der Scheide zu ziehen. »Ich hasse dieses Gefühl von Hilflosigkeit«, murmelte sie. »Wenn wir doch nur etwas sehen könnten.«

»Selbst wenn wir das könnten, könnten wir nichts tun«, erinnerte Chiamh sie, »aber ich würde mich auch besser fühlen, wenn ich wüßte, was da vorgeht. Außerdem benutzt Phalias diesen Nebel zu seinem eigenen Vorteil …« Seine Worte gingen in einem neuerlichen Dröhnen von Hufen unter, und Sangra, die nach wie vor neben dem Windauge stand, verkrampfte sich heftig; ihre starken, schwieligen Kriegerfinger brachen Chiamh beinahe die Hand. Dann stockten die Hufschläge, und das Geräusch eines heftigen Aufpralls drang unverkennbar durch den Nebel. Eine Männerstimme schrie vor Schmerz auf, und unmittelbar auf den Schrei folgte ein zorniges, gequältes Wiehern des Hengstes. Sangra erhob sich taumelnd auf die Füße und riß Chiamh mit sich. Vom Lager des Rudelfürsten neben dem anderen stehenden Stein war plötzlich das Klirren gezückter Schwerter zu hören, da die schattenhaften Gestalten seiner Kameraden bei Sangras abrupter Bewegung aufgesprungen waren.

»Setz dich!« zischte Chiamh und zog die verzweifelte Kriegerin wieder neben sich auf den Boden.

»Verflucht sei dieser widerwärtige Nebel«, murmelte Sangra. Dann wandte sie sich mit weit aufgerissenen, bittenden Augen an das Windauge. »Chiamh, du machst doch immer so eine merkwürdige Magie mit dem Wind, nicht wahr? Kannst du das verflixte Zeug nicht wegblasen?«

Das Windauge war so schockiert, als hätte sie ihn mit einem Streich geschlagen. »Ich?« ächzte er. »Sangra, du verstehst das nicht. Ich kann mit dem Wind arbeiten, aber ich kann den Wind nicht dazu bringen, für mich zu arbeiten!«

»Da hast du recht, ich verstehe es wirklich nicht.« Sangra funkelte ihn wütend an. »Aber bei Chathaks Reithosen, Chiamh, kannst du es nicht wenigstens versuchen?«

Und wieder hörte das Windauge den Klang von Hufen, die jetzt jedoch einen erschöpfteren, taumelnden Rhythmus angenommen hatten. Durch den Nebel hörte man nun auch das Geräusch von Parrics Atmen; einzelne, keuchende Stöße, die aus den Tiefen seiner Kehle kamen, als litte der Krieger Schmerzen, als stehe er am Rande des Zusammenbruchs. Der Rudelfürst war verletzt, dachte Chiamh, aber Parric ebenfalls. Phalias umkreist ihn, wartet ab, bis seine Zeit kommt … O gesegnete Iriana, hilf mir! … Hilf mir, Wind aufzutreiben! …

Ohne eine Brise, und sei sie auch noch so klein, konnte Chiamh nichts tun, konnte er nicht einmal seine Andersicht herbeirufen. Er schloß die Augen und versuchte, alle übrigen Sinne zu aktivieren. Die feuchte, dunstige Luft widersetzte sich ihm; dicht und eiskalt, schwer und tot. Er benutzt seinen Geist und zog mit aller Kraft. Es war so, als versuche er, den Windschleierberg zu sich heranzuziehen. Chiamh spürte, wie sein Herz zu rasen begann, merkte, wie er vor Erschöpfung zitterte. Schweiß rann ihm über das Gesicht und tropfte kribbelnd über seine Rippen. O Iriana, dachte er, Göttin, hilf mir! Ich brauche ein Wunder.

Und die Göttin erhörte ihn.

Er vernahm den leisesten aller denkbaren Seufzer wie eine ferne Frauenstimme, die seinen Namen flüsterte. Chiamh spürte die sanfte Berührung einer Brise wie kühle Finger, die sich auf seine Wange legten. Sein Herz machte einen Satz wie ein Flußlachs im Frühjahr. Mehr, er brauchte mehr … Mit aller Kraft zog das Windauge … Und öffnete die Augen, um gleich darauf festzustellen, daß der Nebel sich auflöste, sich vor seinen Augen in verschlungenen Bahnen hob.

»Chiamh, du hast es geschafft!« Dann war da der süße, feste Druck des Mundes auf seinem eigenen, als Sangra ihn küßte, und einen Augenblick lang vergaß Chiamh sogar den Kampf, der vor seinen Augen im Gange war.

Parric schüttelte den Kopf und blinzelte. Der Nebel löst sich auf? dachte er. Aber gewiß … ja, bei allen Göttern, er tat es wirklich. Der stärker werdende Wind kühlte den Schweiß auf seinem geschundenen, erschöpften Leib, und mit dem Verschwinden des undurchdringlichen Nebels faßte der Kavalleriemeister neuen Mut. Sein Gegner mußte nun langsam ebenfalls müde werden, und bei seinem letzten Angriff hatte Parric ihn verletzt, so daß er nun lahmte.

Der Hengst war aus dem Nebel hervorgestürzt, und Parric lag unter seinen Füßen, bevor er auch nur die Chance gehabt hätte zu blinzeln. Das Pferd bäumte sich über ihm auf, offensichtlich um seinen Schädel mit diesen kolossalen Hufen zu zerschmettern – doch statt dessen spürte es nun Parrics Messer, das die Innenseite seiner Vorderhand aufschlitzte und sich anschließend auf seinen ungeschützten Bauch richtete. Das Pferd schrie auf und riß seinen Leib zur Seite, wobei es die Rippen des Kavalleriemeisters mit einem heftigen Tritt streifte und ihn mit dem Blut des verletzten Beins bespritzte. Der Hengst war jedoch nicht kampfunfähig, wie Parric gehofft hatte, denn sein Schlag war irgendwie fehlgeschlagen, so daß das Tier lediglich stark humpelte.

Von diesem Augenblick an behandelte der Rudelfürst ihn mit größerem Respekt. Eine Weile hatten sie sich noch in dem undurchdringlichen Nebel umkreist, aber jetzt … Ganz in seiner Nähe sah er die riesige Gestalt des schwarzen Hengstes, sein Kopf hing herab, und die Flanken zitterten, während er aus seinen schnaubenden, roten Nüstern Dampfwolken ausstieß und ihn mit zornigen, weißumrandeten Augen anstarrte.

Parric keuchte. Zum ersten Mal konnte er seinen Feind deutlich sehen, und einen Augenblick lang vergaß er, daß dies kein richtiges Tier war, sondern eins, das menschliche Gestalt annehmen konnte. Als Pferd war es die prachtvollste Kreatur, die er je gesehen hatte. Der Kavalleriemeister blickte voller Ehrfurcht auf die anmutigen, kraftvollen Gliedmaßen, den fein gemeißelten Kopf mit seinen wilden, dunklen, intelligenten Augen, die gewaltige, elegante Wölbung des großen, geschwungenen Halses, das flüssige Spiel fein geschnittener Muskeln unter dem mitternachtsschwarzen Fell, das jetzt von Schweiß und Blut glanzlos geworden war, vor allem dort, wo Parrics erstes Messer sich in die kräftigen Muskeln der Schenkel gebohrt hatte.

Dank sei den Göttern, daß es mir nicht gelungen ist, ihn ernstlich zu verletzten! Ein solches Geschöpf zu töten … Parric, der durch und durch ein Reitersmann war, spürte, wie sein Herz in einer alles verschlingenden Woge von Sehnsucht und Freude schmolz – bis dieses prachtvolle Geschöpf sich zu einem letzten, verzweifelten Versuch aufraffte, seine großen, weißen Zähne bleckte und auf ihn zustürmte.

Parric hatte etwas in der Art erwartet und ließ sich nun ganz von seinen Instinkten leiten. Als das Pferd auf ihn zuschoß, machte er schnell einen Schritt zur Seite, wobei er den mahlenden Schmerz in seinem verletzten Knie mißachtete. Dann griff er dem Hengst, als er an ihm vorbeistürmte, in die Mähne und sprang auf. Es war kein sauberer Sprung. Das verrenkte Knie gab unter ihm nach, und der Kavalleriemeister hing seitlich an dem Pferd, sein einziger Halt eine Handvoll seiner Mähne, ein Bein halb über dem Rücken des Pferdes, während er mit dem anderen wild um sich schlug und verzweifelt versuchte, sich auf das Tier hinaufzuziehen. Sekunden wurden zu Ewigkeiten, während Parric seine Muskeln anspannte, bis seine Arme vor Schmerzen aufzuschreien schienen, und dann, während er sich immer noch an den sich aufbäumenden Rücken des Tieres klammerte, zog er sich Zentimeter um Zentimeter hinauf. Endlich hatte er es geschafft; und gerade rechtzeitig fand er sein Gleichgewicht wieder, bevor das Pferd mit ihm durchging.