Der kraftvolle Leib flog in einer Reihe heftiger Bocksprünge, die jeden einzelnen Knochen von Parrics Rückgrat durchschüttelten und ihm die Zähne aus dem Kopf zu reißen schienen, über das Plateau. Seine Hände tief in der langen, dahinfliegenden Mähne vergraben, schlang er seine drahtigen Beine um die Rippen des Pferdes.
Das Tier bäumte sich auf und schrie seinen Zorn hinaus, aber Parric ließ sich nicht abwerfen. Es versuchte zu galoppieren und unternahm trotz seiner Verletzungen unglaubliche Anstrengungen. Der Kavalleriemeister biß seine schmerzenden Zähne zusammen und konzentrierte sich ganz darauf, im Sattel zu bleiben. Aus den Augenwinkeln erhaschte er verschwommene, schwindelerregende Blicke auf das Plateau, auf die Berge – und auf die vielen hundert Xandim, die gekommen waren, um die Herausforderung zu beobachten.
Die Götter mögen mir beistehen, dachte Parric ungläubig; wie schnell würde dieses Pferd in unverletztem Zustand sein? Noch nie in seinem Leben hatte er ein solches Tier geritten. Obwohl die abrupten, ungleichmäßigen Schritte des Hengstes seine eigenen Wunden noch weiter aufrissen, spürte der Kavalleriemeister die Schmerzen überhaupt nicht. Er stieß in seiner Begeisterung einen lauten Freudenschrei aus. »Vater der Götter! Was für ein Ritt!«
Aber der Hengst wurde schnell müde. Seine Schritte verlangsamten sich, und seine Flanken hoben und senkten sich, während er schnaubend nach Luft rang. Endlich blieb er nach einer Reihe steifbeiniger, ruckartiger letzter Schritte stehen. Mit sinkendem Mut spannte Parric jeden Muskel seines Körpers an, als das Pferd den Kopf senkte und mit wild kreisenden Hinterbeinen zur Seite rollte. Der Kavalleriemeister brachte sich mit einem unbeholfenen Sprung in Sicherheit, damit er nicht unter dem Tier zu liegen kam. Schwerfällig landete er auf dem Boden und spürte, wie sein verletztes Knie mit einem qualvollen Knirschen unter ihm nachgab. Verflucht! Dann ließ er sich hastig zur Seite rollen, aus der Gefahrenzone heraus, aber als er es endlich geschafft hatte, sich aufzurichten, war offensichtlich, daß sein Gegner sich endgültig verausgabt hatte.
Parrics Kehle war wie zugeschnürt, während er die mitleiderregenden Versuche des Tieres beobachtete, sich aufzurichten. »O verflucht«, murmelte er. »Das habe ich nicht gewollt!« Aber ein häßliches Zornesmurmeln der beobachtenden Menge lenkte Parrics Aufmerksamkeit von dem sich abmühenden Tier weg. Der Kavalleriemeister fluchte und versuchte noch einmal, sein Schwert frei zu bekommen, aber es hatte keinen Sinn. Die elende Klinge saß gründlich fest. Dann durchbrach eine verzweifelt wirkende Gestalt die unruhige, wogende Menge und stürzte über das Gras auf ihn zu. Hinter dem Windauge gerieten die Xandim plötzlich in Bewegung und rannten nun mit gezückten Waffen ebenfalls auf ihn zu.
Sehr zu Parrics Überraschung ignorierte Chiamh ihn vollkommen. Statt dessen blieb das Windauge keuchend vor dem besiegten Rudelfürsten stehen und hob seine Hände, um eine Reihe verschlungener, fließender Bewegungen auszuführen, die er mit einem seltsamen Singsang in der anmutig schwingenden Sprache der Xandim begleitete. Es war so, als wären die anstürmenden Leute gegen eine unsichtbare Schranke gelaufen. Wie ein Mann blieben sie urplötzlich stehen, und ihre Gesichter zeigten nichts als entsetzten Unglauben.
Parric sah noch einmal zu dem Windauge hin, und sein Magen krampfte sich zusammen. Chiamhs Augen hatten sich furchtbar verändert und zeigten jetzt statt ihres gewohnten, sanften Brauns ein hartes, helles, quecksilberfarbenes Leuchten, das seinem normalen, leeren Gesichtsausdruck einen Anflug dämonischer und unirdischer Unerbittlichkeit gab. Parric schauderte. Was, um alles in der Welt, ging da vor?
Endlich verstummte der grauenerregende Singsang des Windauges. Tränen strömten ihm über das Gesicht, und er sah aus, als wäre er um hundert Jahre gealtert. Als er sich, vollkommen in sich zusammengesunken vor Erschöpfung, wieder zu dem Kavalleriemeister umdrehte, war Parric erleichtert zu sehen, daß das Silber aus seinen Augen wegzufließen schien, bis sie wieder ihre gewohnte, beruhigende Farbe hatten. Mit seinen gebrochenen Rippen, die sich bei jedem Atemzug in ihn hineinbohrten, und seinem verletzten, langsam steif werdenden Knie, das höllisch weh tat, hätte Parric nicht weglaufen können, selbst wenn er es gewollt hätte. Und er wollte es auch nicht, wie er sich selbst entschlossen in Erinnerung rief. Das Windauge griff nach seiner rechten Hand – Parric konnte nur mit Mühe verhindern, bei seiner Berührung zusammenzuzucken – und riß sie schwungvoll in die Höhe.
»Hör mich an, mein Volk!« rief das Windauge. »Heute wurde eine Herausforderung ausgesprochen und angenommen, wie es unser uraltes Gesetz verlangt. Ich gebe euch, o Xandim, Parric – unseren neuen Rudelfürsten!«
Pfiffe und Flüche kamen von der Menge, und Chiamh blinzelte ängstlich. »Ruhe!« schrie er und vergaß die starre Würde seiner Ansprache vollkommen. Zu Parrics Erstaunen verstummte das lautstarke Tosen der Menge auf der Stelle. »Ihr alle habt gesehen, was ich gerade getan habe«, fuhr das Windauge fort. »Ich habe die Worte gesprochen, die Phalias in seiner Pferdegestalt festhalten werden, so lange, bis der Zauber wieder aufgehoben wird. Ich bedauere, daß ich das tun mußte, aber das war meine einzige Möglichkeit, mich, den neuen Rudelfürsten und seine Kameraden vor eurem Zorn zu retten. Bisher habe ich keinen Erben für meine Kräfte …« Er errötete verlegen. »Daher bin ich also der einzige, der Phalias wieder in Menschengestalt zurückverwandeln kann, was ich auch tun werde, das verspreche ich …, irgendwann. In der Zwischenzeit werden die, die sich gegen den neuen Rudelfürsten stellen, das Schicksal des alten teilen.«
Wieder erhob sich unruhiges Murmeln in der Menge, aber jetzt hatte er sie dort, wo er sie haben wollte. Diesmal mußte Chiamh nur die Hand heben, und die Xandim schwiegen gehorsam. Parric, der vor Schmerz, Hunger und Erschöpfung zitterte, wünschte sich von ganzem Herzen, daß das verflixte Windauge endlich den Mund hielt und ihn irgendwo hingehen ließ, wo er die Füße hochlegen konnte und einen großen, wohlverdienten Becher Wein bekam, während irgend jemand sich um seine Wunden kümmerte, aber selbst er konnte nicht umhin, gebannt zuzuhören.
»Mein Volk«, sagte Chiamh traurig, »ihr haltet mich für einen Verräter, weil ich auf der Seite der Fremdländer stehe. Aber so etwas würde ich niemals ohne guten Grund tun.« Er straffte sich, seine Augen blitzten, und sein langes, braunes Haar wehte in dem leichten Wind um seinen Kopf. »O Xandim, ihr müßt euch zum Kampf bereitmachen! Die Khazalim haben die Wüste durchquert und sich mit schwarzen Zauberern verbündet und mit unseren Feinden, den kriegerischen Geflügelten. Ich habe das in einer Vision gesehen, und ich schwöre euch, es ist die Wahrheit!«
Chiamhs nächste Worte gingen in einem wütenden Protestgebrüll unter, und wieder einmal mußte er sich lautstark Gehör verschaffen. »Wir sind kein kriegerisches Volk«, sagte er in die darauffolgende Stille hinein. »Obwohl wir uns, wenn nötig, mit aller Kraft verteidigen, verfügen wir doch nicht über das Organisationstalent und die Kriegskünste, die es dem Abschaum der Khazalim gestattet haben, uns in der Vergangenheit ungestraft zu überfallen. Aber diesmal wird es anders sein!«