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Rückkehr nach Nexis

Als der Erzmagusch, ohne anzuklopfen, in ihre Gemächer stürzte, blickte Eliseth von der Schriftrolle auf, die sie gerade studierte. Einen Augenblick lang sah Miathan die düstere Linie eines Stirnrunzelns zwischen ihren Augenbrauen, aber sie beeilte sich, ihre Verärgerung hinter einer Maske von Freundlichkeit zu verbergen. Dann schob sie die Schriftrolle beiseite, stand auf, um ihn zu begrüßen, und bedeutete ihrer Magd, die in einer Ecke gesessen und genäht hatte, ihm einen Kelch Wein einzuschenken.

»Was ist passiert?« fragte die Wettermagusch. »Aus deinem stürmischen Eintritt hier schließe ich, daß es etwas Wichtiges sein muß.«

»Vannor ist gefangengenommen worden.« Bei dem lauten Klirren zersplitternden Kristalls fuhr Miathan heftig herum. Die kleine Dienerin stand mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen neben dem Schrank und preßte sich die Knöchel ihrer geballten Faust in den Mund. Angstvoll blickte sie auf die blinkenden Scherben herab, die überall auf dem Boden verstreut lagen. Dunkelroter Wein durchtränkte ihre Röcke und sammelte sich wie ein Teich aus Blut zu ihren Füßen.

»Du unbeholfene, kleine Schlampe!« Eliseth packte das unglückliche Mädchen bei den Schultern und schlug ihm zweimal brutal ins Gesicht. »Das war ein besonders kostbarer Kelch! Schenk schnell ein neues Glas ein, und sieh zu, daß du das hier alles wieder sauber bekommst. Dafür wirst du Prügel beziehen.«

»Und du wirst es natürlich genießen!« Miathan lächelte grausam, als Eliseth zu ihm zurückkehrte. »Wie überaus freundlich von ihr, dir einen Grund zu liefern.«

Die Wettermagusch zuckte mit den Schultern. »Wer braucht schon einen Grund? Was übrigens ein Glück ist, denn sie liefert mir nur sehr selten einen. Eines muß man dem Balg lassen, sie ist die beste Magd, die ich je hatte.«

»Egal.« Miathan tat solch unbedeutende Überlegungen mit einem Achselzucken ab. »Eliseth, ich habe gerade eine überaus nützliche Entdeckung gemacht.« Er fing an, ihr von seiner Begegnung mit dem gefangengenommenen Händler zu erzählen und von seiner Erregung, als er herausfand, in welchem Maße man aus dem Schmerz und der Furcht eines Sterblichen magische Energie gewinnen konnte.

Eliseth stieß einen angewiderten Ruch aus. »Was? Du meinst also, all diese Menschenopfer seien unnötig gewesen? Wir hätten uns die ganze Mühe, immer wieder neue Opfer zu beschaffen, sparen können, wenn wir statt dessen eine Handvoll Gefangene am Leben erhalten und sie gefoltert hätten?«

»Bis zu einem gewissen Grad, ja«, erwiderte der Erzmagusch nach kurzer Überlegung. »Ich glaube jedoch, daß für magische Handlungen, die einen gewaltigen Zuwachs an Kraft benötigen – wie zum Beispiel die Inbesitznahme eines anderen Wesens aus einer gewissen Entfernung –, ein Menschenopfer doch vonnöten ist. Dennoch eröffnet uns diese Entdeckung einige interessante Möglichkeiten. Ich glaube, jetzt sind erst einmal ein paar Experimente angebracht. Und wer wäre da besser geeignet als Vannor selbst?« Seine Stimme verwandelte sich in ein leises Schnurren. »Der Mann ist zäh und körperlich gesund. Ich denke, er wird sich eine ganze Weile halten, wenn wir uns gut um ihn kümmern.«

Die Wettermagusch nickte zustimmend. »Wo hast du ihn hingebracht?«

»Ich habe Aurians alte Gemächer für ihn in Ordnung bringen lassen.« Miathan lächelte über ihren erstaunten Gesichtsausdruck. »Wir wollen ihn doch immer zur Hand haben, wenn wir ihn brauchen. Und wir müssen ihn verwöhnen, so lange, wie er sich hält. Außerdem wäre der einzige Ort, an den wir ihn sonst hätten bringen können, das Archiv unter der Bücherei, und von dort aus würde es ihm leichter fallen zu fliehen – oder sogar gerettet zu werden. Nein, jetzt habe ich ihn, und er wird mir nicht noch einmal entkommen!«

Vannor öffnete die Augen und fragte sich einen Moment lang, wo er war. Dann zogen sich seine Eingeweide vor Entsetzen zusammen, als er sich an seine Gefangennahme und die darauffolgende Begegnung mit dem Erzmagusch erinnerte. Die Nachwirkungen von Miathans Angriff waren noch nicht vergessen. Er fühlte sich schwach wie ein neugeborenes Fohlen, und in seinem Körper pochte ein allumfassender Schmerz. Aber seine Leiden gingen in einer Woge der Überraschung unter, als er seine Umgebung wahrnahm.

Der Kaufmann hatte einen Kerker erwartet. Statt dessen fand er sich in einem weichen Bett wieder, das in einer freundlichen Kammer mit grünen und goldenen Wandbehängen stand, und im Kamin brannte ein fröhliches Feuer. Die Möbel waren erlesen, ihre Linien fließend und einfach, ihr ganzer Reichtum lag in dem tiefen Glühen des dunklen, polierten Holzes. Vannor schauderte. Was hatte der Erzmagusch mit ihm vor? Um ehrlich zu sein, hätte er den Kerker vorgezogen. »Auf diese Weise hätte ich wenigstens gewußt, woran ich bin«, murmelte er vor sich hin.

Auf dem Nachttisch neben seinem Bett stand eine Tasse. Ein vorsichtiger Schluck erwies, daß es sich um Tailin handelte, der immer noch warm und mit ein wenig Alkohol angereichert war. Vannor spürte, wie die Wärme des Getränks seine Kehle hinunterrann und bis in seinen Magen vordrang. Sein Körper sehnte sich nach der wohltuenden Flüssigkeit. Noch bevor er Zeit hatte, darüber nachzudenken, ob die Tasse irgend etwas Schlimmeres als Tailin enthalten könnte, hatte er sie bis auf den letzten Rest geleert. Das Getränk schien ihn mit neuem Leben zu erfüllen. Fluchend streckte der Kaufmann seine steifen, schmerzenden Glieder aus, die an manchen Stellen noch die Abdrücke der Seile aufwiesen, mit denen er gefesselt gewesen war. Mit einen dankbaren Blick auf das Feuer, das im Schlafzimmerkamin loderte, taumelte er zu der Tür hinüber, die in das nächste Zimmer führte.

Auch im Wohnzimmer brannte ein helles Feuer. Alles war sauber, ordentlich und freundlich, so wie er es aus lange vergangenen Zeiten in Erinnerung hatte. Die vertraute Umgebung brachte ihm die Vergangenheit so deutlich ins Gedächtnis zurück, daß er sich kraftlos gegen den Türrahmen lehnen mußte. Ein Stöhnen löste sich aus den tiefsten Tiefen seines Wesens. Er erinnerte sich daran, wie er bei verschiedenen Gelegenheiten mit Aurian hier zu Abend gegessen hatte, in genau dieser Kammer, die einst ihr gehört hatte. Aurian – und Forral. Und wo war Aurian jetzt? fragte Vannor sich. Wie mochte es ihr ergangen sein? Es mußte jetzt ungefähr an der Zeit sein, daß das arme Mädchen ihr Kind zur Welt bringen würde. Und wo war Zanna? Trotz all seiner Bemühungen lief sie immer noch irgendwo in dem Morast aus Laster und Sünde herum, zu dem diese Stadt geworden war. Bei den Göttern, wenn er das verflixte Mädchen je zu fassen bekäme, dann … Die Möbel in dem Zimmer waren plötzlich verdächtig verschwommen. Vannor rieb sich heftig die Augen und stellte fest, daß er noch immer unter den Nachwirkungen von Miathans Angriff litt.

Mit Bewegungen wie ein Schlafwandler überprüfte der Händler jeden einzelnen Raum. Die Tür war natürlich verschlossen, und wegen Miathans Zauber konnte er keinem der Fenster auch nur in die Nähe kommen. Als er versuchte, die Kristallscheiben zu berühren, sah er einen Lichtblitz, und seine Hand wurde von einem brennenden Schmerz verschlungen, der bis hinauf in seinen Arm schoß. Einen Augenblick lang fühlte es sich an, als hätte er seine Hand in glühende Kohlen gehalten. Ein ähnlicher Zauber bewachte die Feuerstellen in den beiden Räumen. Vannor fand mit schmerzhaften Experimenten heraus, daß er aus kurzer Entfernung Holzscheite in die Flammen werfen konnte, aber er selbst konnte sich dem Kamin nicht einmal auf Armeslänge nähern. Damit schied Feuer als Waffe also aus, und in den Kammern war absolut nichts, was er sonst hätte benutzen können. Selbst die Bettdecken, mit denen er gehofft hatte, sich zu erhängen, wenn ihm nichts anderes mehr übrigblieb, glitten einfach aus jedem Knoten, den er zu machen versuchte, wieder heraus.

Mit heißen Flüchen rieb sich der Kaufmann seine brennenden Finger und sank dann schließlich in einen Sessel neben dem Feuer, verbarg sein Gesicht in den Händen und verfluchte sich für seine Dummheit. Die Angst um Zanna mußte seinen Verstand getrübt haben, als er sich auf den Weg gemacht hatte, um sie zu finden. Sein Plan war ihm damals so einfach erschienen. Nach Nexis zurückkehren, sich maskieren und vorsichtig Kontakt zu seinen alten, vertrauenswürdigen Kameraden unter den Händlern aufnehmen. Es hätte wirklich nicht weiter schwierig sein dürfen, ein junges Mädchen, das hier in Nexis untergetaucht war, wiederzufinden. Was er leider nicht in Betracht gezogen hatte, war die Möglichkeit, daß mindestens einem seiner alten Bekannten nicht mehr zu trauen war.