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Das schlanke, wendige Schiff der Nachtfahrer mit seinen schattenhaft grauen Segeln glitt lange nach der Abenddämmerung in den Hafen von Norberth und machte an einer verlassenen Mole an der Südseite des Hafens fest. Das furchtbare Wetter hatte in diesem Jahr dem Handel ein Ende gesetzt, und die Stadt erschien mit den wenigen Fenstern, in denen noch Licht war, still und seltsam gedämpft. Auf der Handvoll Schiffe, die an der Nordseite des Hafens lagen, bewegte sich nichts, und auch die Kais waren vollkommen menschenleer. Remana, die am Bug des Schmugglerschiffes stand, zog sich tiefer in ihren schweren Umhang zurück und schauderte. Es wurde bereits wieder Herbst, obwohl es in diesem Jahr einen Sommer nicht gegeben hatte.

Remana dachte sehnsüchtig an Fionals Beschreibung des Tals, wo dieser unheimliche Winter keine Macht hatte. Vom Deck des Schiffs hörte sie gedämpftes Scharren und Rasseln und schließlich das Quietschen des Seils, als das Beiboot mit einer Leichtigkeit, die lange Übung verriet, in die Dunkelheit hinuntergelassen wurde. Neben ihr trat eine Gestalt aus der Düsternis heraus, und Remana, die eigentlich Yanis erwartet hatte, war überrascht, die Stimme von Tarnal zu hören, dem treuen, jungen Nachtfahrer, der Zanna das Reiten beigebracht hatte.

»Bist du bereit zu gehen?« flüsterte er.

Remana nickte und verspürte einen Anflug von Aufregung, bevor ihr klar wurde, daß Tarnal sie in der Dunkelheit kaum sehen konnte. »Ich bin bereit«, flüsterte sie. »Wo ist Yanis?«

»Er wartet im Boot – hat sich immer noch nicht mit dem Gedanken abgefunden, daß du wirklich gehen willst«, erwiderte Tarnal. »Wäre da nicht Gevan gewesen mit seinem ewigen Gewinsel darüber, daß seine Frau keine Männerarbeit tun solle, hättest du ernste Probleme gehabt. Aber du weißt ja, wie Gevan unserem Anführer unter die Haut geht.« Er kicherte. »Yanis wird dich also mitnehmen, und sei es nur, um sich ihm zu widersetzen.«

»Das ist nicht Yanis’ Entscheidung – ebensowenig wie die von diesem Idioten Gevan!« erwiderte Remana mit scharfer Stimme. Dann kletterte sie in das Ruderboot, wobei sie zutiefst dankbar dafür war, daß sie Reithosen trug statt ihrer Röcke, obwohl ihre Kleidung Gevan mit neuerlichen Gründen zur Unzufriedenheit versorgt hatte. Sie seufzte, verärgert darüber, daß jeder glaubte, Yanis nehme sie nur mit, um seinen unleidlichen Kameraden zu ärgern. Seit ihr geliebter Leynard ertrunken war, wollten sie sie alle am liebsten in Watte packen wie ein Baby.

»Komm schon, Mama«, zischte Yanis. »Was hat dich so lange aufgehalten?« Seine Worte trugen nicht gerade dazu bei, Remanas Laune zu verbessern, aber sie holte tief Luft und unterdrückte den eisigen Kommentar, der ihr auf den Lippen gelegen hatte. Nur durch ihr Verhalten konnte sie beweisen, daß sie als Nachtfahrerin genauso wichtig sein konnte wie die Männer.

Mit Tarnal und Yanis an den Rudern und Remana, die auf ihr eigenes Verlangen hin am Steuer stand, glitt das Beiboot im Schutz der hohen Lagerhäuser um die Docks herum auf den großen, weißen Brückenbogen zu, der die Flußmündung ankündigte. Es dauerte nicht lange, da waren die vereinzelten Lichter von Norberth hinter ihnen verschwunden. Nebelschwaden stiegen von dem dunklen Wasser auf und verhüllten die Oberfläche des Flusses wie glitzernde Seide. Remana, die in die Düsternis hineinspähte, biß sich auf die Zungenspitze und konzentrierte sich ganz auf ihre Arbeit. Falls sie das Boot auf Grund setzte oder einen Felsen rammte, würden diese verflixten Schmuggler ihr das bis an ihr Lebensende vorhalten, allen voran Gevan.

Nach dem Schnaufen der beiden Männer zu urteilen, war es harte Arbeit, das Boot stromaufwärts zu rudern. Es dauerte auch erheblich länger, als Remana gedacht hätte. Als sie endlich das Tosen des über das Wehr strömenden Wassers hörte, war sie aus ganzem Herzen erleichtert. Da Yanis ihr mitgeteilt hatte, was auf sie zukommen würde, steuerte sie das Boot in ruhigere Gewässer längs des Ufers, weit weg von den reißenden Wasserstrudeln, und die beiden Männer versuchten nun nach Kräften, das Boot ruhigzuhalten, während sie an Land ging. Mit gedämpftem Stöhnen und Fluchen zogen sie das Gefährt aus dem Wasser und trugen es auf das Ufer und ums Wehr herum, wo sie es an einer Stelle, an der der wilde Strom ihm nichts anhaben konnte, wieder ins Wasser gleiten ließen.

Remana verlor jedes Zeitgefühl, während Yanis und Tarnal das Boot mit rhythmischen Schlägen auf Nexis zusteuerten. Trotz der warmen Handschuhe, die eine der alten Nachtfahrerfrauen für sie gestrickt hatte, war die Hand, mit der sie die Ruderpinne festhielt, halb erfroren – beinahe so kalt wie ihr Gesicht und ihre Füße. Als die ersten verstreuten Häuser von Nexis durch den Nebel hindurch zu sehen waren, freute sie sich aus ganzem Herzen darüber. Plötzlich jedoch setzte Remana sich mit einem Ruck auf und beäugte argwöhnisch die von Fackeln erleuchtete Szene, die plötzlich hinter einer Biegung des Flusses sichtbar wurde. Als ihre Hand sich an der Ruderpinne unwillkürlich zusammenkrampfte, kam das Boot plötzlich vom Kurs ab. »Was, im Namen der Götter, ist das da?« ächzte sie.

Yanis stieß einen Fluch aus und griff nach dem Ruder, das ihm bei der abrupten Bewegung des Bootes aus der Hand geglitten war. An seinem Stirnrunzeln erkannte Remana, daß er drauf und dran gewesen war, eine vernichtende Bemerkung über ihre Steuerkünste zu machen, sich dann aber zu seinem Glück eines Besseren besonnen hatte. Tarnal hatte sich jedoch über seine Schulter hinweg umgesehen, und sein erschrockener Aufschrei lenkte die Aufmerksamkeit des jungen Nachtfahrers von seiner Mutter ab.

»Yanis – sieh nur! Sie haben die alte Mauer wieder aufgebaut!«

Schon lange vor Remanas Zeit hatte die Stadt Nexis die engen Grenzen ihrer altertümlichen Mauern gesprengt. Im Norden und Osten der Stadt gab es zwar noch verfallene Überreste dieser Mauer, dort, wo das steile, zerklüftete Gelände allen Bauversuchen getrotzt hatte, aber Generationen von Kaufleuten hatten sich mit Vorliebe ihre Häuser auf den terrassenförmigen Hängen am Südufer des Flusses erbaut, und die aufblühende Stadt hatte sich auch nach Westen ausgedehnt, wo das Land weniger steil abfiel, der Fluß breiter und das Tal offener wurde. Aber während Remanas Abwesenheit hatte man die ursprünglichen Befestigungen mit massiven Blöcken aus roh gemörtelten Steinen wiederhergestellt und weiter ausgebaut. Die neue Mauer hatte nun ungefähr die Höhe von drei Männern.

Eine neue Brücke spannte sich als Fortsetzung der Mauer über den Fluß; am anderen Ufer schloß sich ein völlig neues Teilstück der Befestigung an und lief auf der Südseite des Tals um die Villen der Kaufleute herum. Den Aufgang zur Brücke blockierte ein riesiges Gittertor, das zu beiden Seiten in tiefen Fundamenten ruhte. Über diesem Tor, auf der Brücke selbst, befand sich ein stabil aussehendes Gebäude, das wahrscheinlich irgendeinen Hebemechanismus beherbergte, um zugelassenen Flußbooten die Durchfahrt zu ermöglichen.

»Wie ist es möglich, daß sie das so schnell bauen konnten?« ächzte Yanis. Hastig paddelte er das kleine Boot in den Schutz von Bäumen am Nordufer, so daß irgendwelche Wachen, die vielleicht auf der Brücke stationiert waren, sie nicht sehen konnten.

»Das haben die Magusch gemacht«, meinte Tarnal. »Man braucht schon Magie, um diese Blöcke zu befestigen.« Er runzelte die Stirn. »Aber warum haben sie es getan? Bei der Macht, über die Miathan gebietet, kann er doch unmöglich Angst davor haben, angegriffen zu werden?«

Remana schüttelte den Kopf. »Vielleicht wurde diese Mauer nicht erbaut, um Leute aus Nexis fernzuhalten, sondern um sie darin festzuhalten.«

Welches auch der Grund für ihren Bau sein mochte, die neue Mauer stellte sie vor ein Problem. Remana, die nicht mehr weiterwußte, machte ein finsteres Gesicht. »Wie sollen wir denn jetzt zu Jarvas kommen?«

»Ein Nachtfahrer kann immer ungesehen nach Nexis hinein- und wieder herauskommen«, versicherte Yanis ihr mit diesem boshaften Grinsen, das sie so sehr an seinen Vater erinnerte. Er machte das Boot an seinem Versteck fest und holte etwas aus einem Bündel, das am Boden des Bootes lag. Zu Remanas Verwirrung war es eine Laterne, die die Schmuggler für ihre Signale benutzten. Yanis führte Remana und Tarnal über das Ufer zu der neuen Brücke hin, die es unmöglich machte, den Fluß zu überqueren. In der Nähe der Brücke kletterte er das steile Ufer hinunter, und die anderen folgten ihm mit einiger Mühe, wobei sie sich an Grasbüscheln festhalten mußten, um auf dem schlammigen Grund nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Alle drei waren sie dankbar für den gescheckten Baumschatten, der sie beinahe unsichtbar machte.