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Als Student hatte A. E. da V. Williams den Propter gegründet und herausgegeben, der, wie die Granta vor ihm, schnell zur angesehensten aller akademischen Universitätszeitungen wurde. Dr. Williams, MA, PHD und berühmt mit siebenundzwanzig, schlug eine Dozentur ab, ließ Cambridge und die akademische Welt hinter sich, verdingte sich bescheiden als freier Journalist mit Kommentaren und Kritiken, bis die Dynastie der Cotswold Voice Gefallen an seinem Stil fand und ihn — ein verlegerisches Wagnis — engagierte.

Da er sein hitziges Temperament durch Neigung und Gewohnheit größtenteils unter Kontrolle gebracht und nach innen gerichtet hatte, verbrachte Bill Williams seine Ferien (und einen großen Teil seines Lebens) allein. Aber im Gegensatz zu vielen Einzelgängern plätscherte bei ihm dicht unter der Oberfläche ein selbstkritischer Sinn für Humor, der ihn daran hinderte, sich selbst allzu ernst zu nehmen: Was auch der Grund war, warum er in jenem August des von ihm später so bezeichneten» Sommers der Verlorenen Voice «beschloß, seine geruhsamen Pläne für den einwöchigen Urlaub nicht zu ändern. Er würde sich trotz allem am Oberlauf der Themse einen Stocherkahn mieten, ganz wie er es beabsichtigt hatte, und ihn mit der Strömung nach Oxford staken.

Es war ein pragmatischer Gedanke, aber da er nun einmal die Dinnerverabredung mit dem wenig zufriedenstellenden Mischkonzern in einem Restaurant getroffen hatte, das von Oxford aus flußabwärts lag, und da er keinen Job hatte, zu dem er eiligst hätte zurückkehren müssen, würde er seine Flußreise zeitlich und streckenmäßig ausdehnen. Er konnte die Gelegenheit nutzen, um seinen angeknacksten Ambitionen eine Ruhekur zu verschaffen und gleichzeitig die Möglichkeiten zu durchdenken, wie man einem steinharten Mischkonzern etwas Saft abpreßte.

In Lechlade, der Stadt am höchsten befahrbaren Punkt der Themse, hatte der Bootsverleiher einen seiner frisch überholten Kähne für Mr. Williams reserviert — eingedenk der Tatsache, daß dieser eine zusätzliche Gebühr dafür entrichtet hatte, nur das Allerbeste zu bekommen. Der Lack auf dem soliden Holz war kräftig und dunkel, und der breite, bequeme Sitz, den man zum Schlafen zu einer Matratze ausziehen konnte, war mit einem neuen, blauen Samtpolster versehen.

Von beiden Enden des Kahns aus konnte man eine Persenning aufspannen, die in der Mitte mit der anderen zusammentraf, um die Nacht und den Regen auszusperren; überdies stellte der Bootsverleih auch Festmacher, eine Gaslampe, Riemen und Dollen als alternativen Antrieb, einen sechs Fuß langen Bootshaken und einen zwölf Fuß langen Staken zum Antrieb des achtzehn Fuß langen Flachbodenkahns zur Verfügung.

Bill Williams hatte das Staken auf den Backs gelernt, dem Altwassersystem des Flusses in Cambridge, und er fühlte sich absolut zu Hause auf diesem Boot ohne Riemen noch Motor, da er das Staken dem Rudern ohnehin bei weitem vorzog. Von tiefer Zufriedenheit erfüllt, roch er den frischen Lack und testete das Gewicht, die Flexibilität und die Balance des langen Stakens. Er stellte Fragen, die die Leute vom Bootsverleih beruhigten, und kaufte sich in deren Laden einige Grundnahrungsmittel. Sie hatten nur selten Kunden, die so weit flußabwärts fahren wollten, wie er es vorhatte, aber sie waren gern bereit, seinen Wagen in ihre Obhut zu nehmen, solange er unterwegs war, und ihn und ihr Boot zurückzuholen, wann immer er genug hatte.

Zur zivilisatorischen Grundausstattung, die ihr Kunde mitnahm, gehörten ein Schlafsack, ein Fernrohr, Badehosen, Stifte und Schreibpapier, saubere Kleidung, ein batteriebetriebener Rasierapparat und zehn Bücher. Nachdem all das sicher verstaut war, zog er seinen Pullover aus und sprang in Jeans, T-Shirt und Turnschuhen leichtfüßig auf die Stakplattform an einem Ende des Boots. Er wirkte jung und bedeutungslos und nicht im mindesten wie der Chefredakteur einer Zeitung, schon gar nicht der florierenden, erfolgreichen Cotswold Voice.

Er stakte sein flaches Boot mit einer Mühelosigkeit durchs Wasser, die dem Personal vom Bootsverleih ein anerkennendes Nicken entlockte, und die Leute schauten ihm nach, bis er an der ersten sachten Biegung außer Sicht geriet. Bill Williams, der über die Felder hinweg noch einmal zu der kleinen Stadt mit ihrem im Nachmittagslicht glitzernden Kirchturm zurückblickte, verspürte ein gewaltiges Gefühl der Erleichterung. Kein Mühlrad hing um seinen Hals, keine Krise verlangte seine Rückkehr an den Schreibtisch: Er hatte wohlüberlegterweise nicht einmal sein Handy und die dazugehörige Batterie aufgeladener Akkus mitgenommen — für gewöhnlich die ersten Dinge, die er einpackte.

Zwei Tage zuvor war seine Samstagsausgabe — seine letzte — ein Triumph gewesen, ausverkauft bis auf das letzte Blatt. Er hatte alles an Ideen hineingepackt, was den Lesern gefiel, Ideen, die er in früheren Jahren über den ganzen Herbst verteilt hätte. So aber hatte er mit pulstreibendem Entzücken am Fenster eines Pubs gegenüber einem großen Zeitungskiosk gesessen und am frühen Abend zugesehen, wie eine Voice-Ausgabe nach der anderen davongetragen wurde. Mundpropaganda in Reinkultur, hatte er gedacht. Absolut umwerfend, wunderbar.

So stakte Bill Williams am Montag, während die Abenddämmerung des langen Augustabends sich dahinzog, seinen geruhsamen Kahn still und zufrieden über den Fluß, hielt auf einen süßduftenden Abschnitt des Ufers zu und machte dort an einer jungen Weide fest. Die leisen Geräusche der Wasservögel, die sich für die Nacht in ei-nem Schilffeld niederließen, das Wispern des schwachen Windhauchs in den toten, vertrockneten Grasstengeln am Ufer, das sanfte Glucksen der Strömung, während der Fluß friedlich an seinem trägen Boot vorüberstrich, all die winzigen, natürlichen Dinge verschlangen für eine Weile das Getöse der rauhen Außenwelt, mit der man fertig werden, in der man leben und die man — wenn nur irgend möglich

— verbessern mußte. Vor langer Zeit hat der junge Dr. A. E. da V. et cetera zu seiner Überraschung zu der Selbsterkenntnis gefunden, daß er um einer gerechten Sache willen sogar jemanden umbringen würde.

Aber dazu kam es in dieser Woche auf der Themse nicht; lediglich die» Flußwut «lernte er kennen, schlechte Manieren wie bei Autofahrern, die sich in erhobenen Stimmen und Fäusteschütteln Luft machten. Der Kahn war langsam. Schnelle Fiberglaskreuzer voller Urlauber glitten eilig und mit dröhnenden Lautsprechern vorbei. Angler, die halb versteckt auf Hockern entlang des Ufers saßen (und geduldig darauf warteten, Uneßbares an den Haken zu bekommen), beschimpften den lautlosen Kahn, der ihre Angelschnüre durcheinanderbrachte. Schleusenwärter unterdrückten ihre Ungeduld, während er das Boot lediglich mit dem Staken durch die schwierigen Strudel am Eingang und Ausgang der Schleusen manövrierte.

Obwohl er sich auskannte, zog Bill Williams allerlei Beschimpfungen auf sich.

Auf der Habenseite standen die Sonnenuntergänge, die er beobachten konnte, wenn auf dem befahrenen Fluß Ruhe einkehrte; er lauschte den Gänsen, die auf den Wiesen oberhalb von Oxford schrien, und aß in einem Gasthaus mit Pfauen auf dem Dach. Einmal bemerkte er sogar, halb ungläubig, das hellblaue Aufblitzen eines der seltenen Eisvögel auf dem Jagdflug.

Er lebte inmitten von Teichhühnern, mit Löwenmäul-chen und wildem Mohn direkt neben sich. Er schwamm Augapfel in Augapfel mit übellaunigen, zischenden Schwänen und sah sich dem hochmütigen Blick aufgeschreckter Reiher gegenüber, die geziert ihre Füße hoben und davonstolzierten.

Als Bill Williams die öffentliche Anlegestelle in Oxford erreichte, waren seine Gedanken voller Heiterkeit, und seine Arme waren kräftig und durchtrainiert vom Schwingen und Ab stoßen des Stakens. Er hatte einen Leitartikel verfaßt (aus Gewohnheit) und neun Bücher gelesen.